Nach Attac-Urteil zu Gemeinnützigkeit: Politische Vereine erstmal sicher
Einigung von Bund und Ländern: Bis Ende 2021 soll keinen weiteren Organisationen aufgrund des Attac-Urteils die Gemeinnützigkeit entzogen werden.
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Bis Ende 2021 sollten bei bereits gemeinnützigen Organisationen „aus Vertrauensschutzgründen“ zunächst keine Konsequenzen mehr aus dem Urteil ziehen, heißt es zur Begründung in einem Schreiben des Ministeriums, das der taz vorliegt. Damit solle bis zu einer gesetzlichen Lösung die „erhebliche Verunsicherung“ beseitigt werden, die das Urteil ausgelöst habe. Im Dezember war dieser Vorschlag noch am Widerstand einzelner Länder gescheitert. Bei einem Treffen auf Abteilungsleiterebene in Berlin trugen ihn am Freitag dann aber alle mit, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums.
Der Bundesfinanzhof hatte vor einem Jahr entschieden, dass politische Bildungsarbeit nicht als gemeinnützig gilt, wenn damit ein bestimmter politischer Kurs vertreten wird. Zudem dürfe auch bei anderen gemeinnützigen Zwecken wie dem Umweltschutz die politische Lobbyarbeit nicht im Vordergrund stehen.
Das globalisierungskritiche Netzwerk Attac hatte deshalb die Gemeinnützigkeit verloren. Dadurch sind Spenden für das Netzwerk nicht mehr steuerlich absetzbar und Projekte können nicht mehr von gemeinnützigen Stiftungen mitfinanziert werden.
Später war die Gemeinnützigkeit aufgrund dieser Entscheidung auch der Organisation Campact entzogen worden. Viele weiteren Verbände fürchteten bei der nächsten turnusmäßigen Verlängerung der Gemeinnützigkeit in diesem Jahr die gleiche Konsequenz.
Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, in der sich zahlreiche Organisationen zusammengeschlossen haben, geht von hunderten betroffenen Organisationen aus. Diese sind durch den aktuellen Beschluss der Finanzministerien von Bund und Ländern nun geschützt.
Für Vereine wie Attac und Campact, bei denen eine Entscheidung bereits getroffen wurde, sowie für neu gegründete Vereine gilt die Anordnung nicht. Attac war erst vor einer Woche mit einer Klage vor dem hessischen Finanzgericht gescheitert.
Auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) profitiert nicht von der Vereinbarung der Finanzminister. Ihr war Ende 2019 die Gemeinnützigkeit entzogen worden, weil sie im bayerischen Verfassungsschutzbericht als linksextrem eingestuft worden war. Nach heftigem gesellschaftlichen Protesten hatte das zuständige Finanzamt hier allerdings eine Steuernachforderung vorerst ausgesetzt.
Bislang kein Gesetzentwurf
Finanzminister Scholz hatte als Konsequenz aus der breit kritisierten Attac-Entscheidung angekündigt, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren und weitere Förderzwecke aufzunehmen. Aus der Union gibt es dagegen Forderungen, die Anforderungen weiter zu verschärfen. Ein Gesetzentwurf liegt darum bislang nicht vor.
Für Stefan Diefenbach-Trommer von der Rechtssicherheits-Allianz ist das Problem darum mit dem aktuellen Beschluss noch nicht gelöst. „Das Moratorium gibt den Verbänden eine Atempause“, sagte er der taz. Nun müsse aber die Gesetzesänderung folgen und deutlich gemacht werden, welches Engagement gefördert werden soll. „Sonst beschädigt die Regierung das Engagement derjenigen, die unsere Demokratie verteidigen, frei von eigenen Interessen oder Machtansprüchen.“
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