piwik no script img

Nach Abschiebung aus Frauenhaus„Die Kinder hatten riesige Angst“

Wenn gewalttätige Expartner ihre Kinder sehen, ist das oft ein Sicherheitsrisiko für ein Frauenhaus. Auch Abschiebungen erschweren den Gewaltschutz.

Ein Frauenhaus sollte auch für Kinder ein sicherer Ort sein. In Hamburg wurde ein Tabu gebrochen Foto: Ina Fassbender/dpa
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Frau Ziemba, im November wurde in Hamburg eine Frau mit zwei kleinen Kindern (6 und 8 Jahre alt) abgeschoben, die in einem Frauenhaus lebten. Waren Sie dabei?

Anika Ziemba: Nein, die Frau ging an dem Tag allein mit ihren Kindern in die Ausländerbehörde, um ihre Duldung zu verlängern. Die Betroffene und die Mitarbeiterinnen, die an dem Tag im Dienst waren, gingen davon aus, dass es ein Standardtermin war und verabschiedeten sich mit den Worten: „Bis später.“ Nach einigen Stunden kam der Anruf aus der Behörde, dass die Frau in Gewahrsam genommen wurde und abgeschoben werde.

taz: Konnten Sie sie noch sprechen?

Ziemba: Nein, sie musste ihr Handy abgeben. Außerdem musste sie sich in der Behörde für eine Leibesvisitation ausziehen. Sie und die Kinder durften die Toilette nur bei geöffneter Türe nutzen. Das ist für jeden entwürdigend, aber die allermeisten Frauen, die bei uns Schutz suchen, haben sexualisierte Gewalt erlebt. Für so jemanden ist das sehr schlimm und wahrscheinlich retraumatisierend.

taz: Haben Ihre Kolleginnen versucht zu intervenieren?

Ziemba: Natürlich, aber es war nichts zu machen. Ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde wollte die Adresse des Frauenhauses haben, damit die Frau noch ein paar Sachen holen könne. Natürlich können wir die Adresse nicht rausgeben. In der Ausländerbehörde wurde die Frau dann so unter Druck gesetzt, dass sie die Adresse preisgab.

taz: Wo ist die Frau jetzt?

Ziemba: Sie ist nach der Dublin-Regelung nach Österreich gebracht worden. Dabei hatte sie gerade ihre freiwillige Rückkehr in die Türkei vorbereitet. Die Beamten der Ausländerbehörde meinten nur: „Tja, wir sind ihr zuvorgekommen.“ Das ist so unsinnig. Ob sie jetzt noch in die Türkei will, weiß ich nicht. Die Kinder werden ja auch jedes Mal aus ihrem Umfeld gerissen. Auch für sie war das Ganze traumatisierend. Der Bus, in dem sie abgeschoben wurden, glich einem Gefangenentransport.

taz: Konnten Sie sich noch am Bus verabschieden?

Ziemba: Wir konnten einen Termin vereinbaren, um der Frau ihre Koffer zum Bus zu bringen. Erst durfte sie nicht zur Tür kommen, dann wurde sie doch mit zwei Sicherheitsbeamten zur Tür gebracht und wir konnten sie kurz umarmen. Die Kinder haben hinten gesessen und nur starr aus dem Fenster geguckt. Die wussten überhaupt nicht, wie ihnen geschieht. Die Gepäckablage des Busses war komplett leer – die anderen Geflüchteten, die mit abgeschoben wurden, hatten keine Leute, die ihnen noch Koffer gepackt haben. Es war so bedrückend. Eine ekelhafte Politik.

taz: Wie geht es der Frau und den Kindern?

Ziemba: Wir stehen mit ihr im Kontakt und wissen, dass es ihr schlecht geht. Sie hat immer wieder Albträume von den Szenen in der Ausländerbehörde und im Bus. Sie hat den maximalen Kontrollverlust und damit eine Retraumatisierung erlebt. Aber sie hat sich jetzt rechtliche Unterstützung geholt und versucht, sich neu zu sortieren. Den Kindern geht es auch nicht gut, sie konnten sich von niemandem verabschieden. Wie soll man sechs- und achtjährigen Kindern so etwas erklären?

taz: Wo hält sich der gewalttätige Ex-Mann auf?

Ziemba: Der Hamburger Senat geht davon aus, dass er sich noch in Hamburg aufhält. Aber wie will man da sicher sein? Es könnte ja auch jemand die Frau erkennen, der noch Kontakt zu dem Mann hat, und ihm Bescheid sagen.

taz: Wie hat die Abschiebung die Arbeit der Frauenhäuser verändert?

Ziemba: So etwas ist in den fast 50 Jahren, in denen es die Hamburger Frauenhäuser gibt, noch nie passiert. Wir waren alle total geschockt. Es war ähnlich wie beim Kirchenasyl ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Menschen in Ruhe gelassen werden. Wir verstecken auch niemanden, sondern bemühen uns mit den Betroffenen um einen legalen Aufenthalt. Wir müssen jetzt gucken, wie wir noch Sicherheit herstellen können. Zum Beispiel lassen wir Frauen im Dublin-Verfahren jetzt nicht mehr allein in die Ausländerbehörde gehen, sondern begleiten sie mit zwei Kolleginnen.

Bild: privat
Im Interview: Anika Ziemba

36, Mitarbeiterin des 4. Hamburger Frauenhauses, aus dem im November eine türkische Mutter mit zwei kleinen Kindern abgeschoben wurde. Das 4. Frauenhaus gehört zu den Autonomen Frauenhäusern, die sich als politische Projekte verstehen und die strukturelle Dimension patriarchaler Gewalt in ihre Arbeit einbeziehen.

taz: Wie gehen die schutz­suchenden Frauen mit der ­Situation um?

Ziemba: Sie haben es natürlich aus der Presse erfahren und sind sehr verunsichert. Auch Frauen, die eigentlich einen sicheren Aufenthaltsstatus haben, fragen sich: „Wie lange habe ich den noch?“ Auch im Team ist die psychische Belastung seit der Abschiebung sehr hoch. Unser Anliegen ist, die Frauen, die aus einer gewaltvollen Situation ausbrechen, zu stabilisieren. Aber wir können nicht mehr ruhigen Gewissens vermitteln: „Hier seid ihr sicher.“ Auch die Kinder haben viele Fragen und wollen wissen, warum die Abgeschobenen nicht mehr da sind.

taz: Wie erklären Sie es ihnen?

Ziemba: Ich habe gesagt, dass es in Deutschland Gesetze gibt und Menschen, die denken, sie könnten entscheiden, wer hier leben darf und wer nicht. Und das manchmal bedeutet, dass Menschen andere Leute wegschicken, auch wenn das total fies und unfair ist.

taz: Wie läuft der Kontakt zur Ausländerbehörde normalerweise?

Ziemba: Die Frauen, die bei uns leben, haben als Meldeadresse eine Postfachadresse, damit die Straßenadresse anonym bleibt. In der Ausländerbehörde sehen die Mit­ar­bei­te­r*in­nen eine Auskunftssperre und den Vermerk, dass die Frau im Frauenhaus lebt. Trotzdem sind die Termine dort oft problematisch.

taz: Warum?

Ziemba: Wenn eine Frau ihre Duldung verlängern muss, muss sie an einem bestimmten Tag dorthin, bekommt aber keinen Termin. Das heißt, sie muss fünf, sechs Stunden dort warten – mit den Kindern. Sie sind verpflichtet mitzukommen. Sie sitzen dann in der Eingangshalle und wissen nicht, ob der gewalttätige Ex-Mann jeden Moment zur Tür reinkommt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass seine Duldung am gleichen Tag ausläuft, wenn sie vorher zusammen den Aufenthalt beantragt haben. Das ist eine unzumutbare und gefährliche Situation.

taz: Wie könnte es besser geregelt werden?

Ziemba: Indem die Frauen einen festen Termin bekämen und direkt in das Zimmer des Sachbearbeiters durchgehen könnten. Außerdem müssten die Kinder von der Erscheinungspflicht befreit werden. Es ergibt keinen Sinn, dass sie die Schule für einen so belastenden Behördentermin verpassen.

taz: Setzt Hamburg die Istanbul-Konvention gut um?

Ziemba: An vielen Stellen leider nicht. Es gibt zu wenig Frauenhausplätze und zu wenig Ressourcen. Wir arbeiten mit einem Betreuungsschlüssel von eins zu acht. Das ist eine Katastrophe. Wir brauchen einen Betreuungsschlüssel von eins zu vier, um Familien so begleiten zu können, wie es nötig wäre. Außerdem findet Prävention bei uns nicht statt, wir sind eine Kriseneinrichtung, wo Menschen hinkommen, die Gewalt schon erlebt haben. Aber die Frauen bringen ihre Kinder mit.

taz: Das heißt?

Ziemba: Wir wissen aus der Forschung, dass Kinder, die in gewaltsamen Beziehungen aufgewachsen sind, dazu neigen, später wieder gewaltsame Beziehungen zu führen. Im Frauenhaus müsste viel mehr präventive Arbeit mit den Kindern stattfinden, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Dafür braucht es aber Ressourcen, die wir nicht haben. Ein weiteres Problem ist der Umgang der Gerichte mit Sorgerechts- und Umgangsverfahren.

Es ist irrsinnig, dass jetzt auf die vulnerabelsten Menschen zugegriffen wird – im Kirchenasyl, im Frauenhaus oder anderen Schutzeinrichtungen

taz: Also wenn vor Gericht darüber gestritten wird, inwieweit ein Vater Umgang mit seinen Kindern haben soll.

Ziemba: Genau, die weitaus meisten Frauen wollen, dass die Kinder ihren Vater sehen. Aber wenn sie zu uns kommen, haben sie oft schon kurze Zeit später den ersten Gerichtstermin, wo sie dem gewalttätigen Mann gegenüberstehen. Umgangsverfahren werden als Eilverfahren priorisiert, aber den Frauen geht das meistens viel zu schnell, sie müssen sich erst mal stabilisieren. Weil die Gerichte die Fälle aber schnell abarbeiten wollen, ist es gängige Praxis, einfach einen begleiteten Umgang anzuordnen.

taz: Was heißt das?

Ziemba: Zu den Terminen, an denen der Vater die Kinder sieht, kommt eine pädagogische Fachkraft, die das Ganze beaufsichtigt. Außerdem kommt der Vater eine Viertelstunde früher und bleibt auch länger, sodass er die Frau nicht verfolgen kann oder sieht, wo sie hingeht.

taz: Klingt doch ganz okay.

Ziemba: Für die Frauen und Kinder ist es oft überfordernd und belastend. Frauen, die zu uns kommen, haben sich gerade erst aus einer fürchterlichen Situation befreit. Die Kinder haben die Gewalt in der Regel miterlebt. Oft gab es vorher Kontakt zum Jugendamt, das gesagt hat: „Sie müssen die Kinder schützen.“ Kurze Zeit später soll die Frau den Kindern einen guten Kontakt zum Vater ermöglichen. Das bedeutet nicht nur, die Kinder zum Termin zu bringen, sondern die erzählen ja auch und stellen Fragen.

taz: Aber wenn die Frauen den Umgang mit dem Vater auch wollen …

Ziemba: In manchen Fällen passt es auch, aber es ist kein gutes Schutzkonzept für alle Familien. Wir hatten es schon, dass nach einem begleiteten Umgang ein Tracking-Gerät in den Sachen des Kindes versteckt war. Eine Frau, die bei uns lebte, wurde nach dem begleiteten Umgang von drei Freunden ihres Ex-Mannes gestellt. Sie solle die Kinder dem Mann geben, sonst passiere etwas Schlimmes, drohten sie. Die Kinder standen daneben und hatten riesige Angst. Der Umgang wurde trotzdem weitergeführt.

taz: Der Umgang ist also ein Sicherheitsrisiko für die Frauenhäuser.

Ziemba: Wenn in der Vergangenheit ein Mann die ­Adresse ­eines unserer Frauenhäuser herausgefunden hat, war es über den Umgang. Für die Frauen und Kinder hat das schwere Konsequenzen. Wenn die Schutz­adresse bekannt wird, müssen sie umziehen. Das heißt: wieder eine neue Schule oder Kita für die Kinder, wieder neu irgendwo ankommen. Es gibt so wenig Frauenhausplätze, dass es keine Auswahl gibt, damit die Kinder und Mütter keine ewig langen Wege auf sich nehmen müssen.

taz: Haben solche Vorfälle für die Väter Konsequenzen?

Ziemba: Meistens nicht. In der Regel sind die Väter von sich aus auch nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. Zum Beispiel habe ich es in den zwölf Jahren meiner Arbeit noch nie erlebt, dass ein Vater zu den Kindern sagt: „Du hast wirklich schlimme Sachen erlebt und was ich Mama angetan habe, tut mir leid. Ich verspreche, dass es nie wieder passiert.“ Stattdessen sagen die Väter meistens: „Die Alte ist total irre, lügt und ist sowieso suizidgefährdet.“

taz: Aber man kann ja niemanden zur Einsicht zwingen.

Ziemba: Nein, aber man könnte es zur Voraussetzung für den Umgang machen. Reflexionsfähigkeit ist ja auch ein Merkmal von Erziehungsfähigkeit. Warum gewaltvolles Verhalten gegenüber der Ex-Partnerin, in den meisten Fällen im Beisein der Kinder, nicht als Hindernis gilt, verstehe ich nicht. Der Schritt von „Ich schreie meine Partnerin zusammen, schlage sie und beschimpfen sie als dreckige Schlampe“ zu „Ich schreie meine Kinder zusammen, schlage sie oder sperre sie ein“ ist nicht weit.

taz: Sie fordern also mehr Täterarbeit.

Ziemba: Es gibt nicht umsonst Täterberatungen. Die sind nur viel zu schlecht ausgestattet und oft nicht zugänglich für Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen. Ausreichende Angebote für Täter vorzuhalten, ist aber Bestandteil der Istanbul-Konvention.

taz: Sind die Fachkräfte in den Behörden und der Justiz, die etwa über den Umgang entscheiden, ausreichend ­geschult?

Ziemba: Was Gewaltdynamiken oder Strategien der Traumabewältigung von Kindern angeht, fehlt leider oft das Fachwissen. Zum Beispiel laufen Kinder mitunter auf ihren Papa zu, umarmen ihn, und alle denken: „Prima, das Kind freut sich.“ Dabei kann das auch eine Strategie sein, den Vater zu besänftigen – in der Illusion, weitere Gewaltausbrüche zu verhindern.

taz: Haben Sie das Gefühl, Gewaltschutz wird auf politischer Ebene nicht ernst genommen?

Ziemba: Es ist nicht so, dass der Hamburger Senat sich nicht für das Thema interessiert. Trotzdem sind die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, nicht die richtigen. Wir bekommen einfach zu wenig Geld. Dabei ist Hamburg eine reiche Stadt. Warum unter einer rot-grünen Regierung so am Sozialsektor gespart wird, ist mir ein Rätsel.

taz: Sind Sie zu dem Fall der abgeschobenen Frau noch in Kontakt mit den Behörden?

Ziemba: Wir hatten Gespräche mit der Sozialbehörde, aber die signalisiert uns nur, dass sie nichts gegen die Innenbehörde ausrichten kann. Wir würden gern Innensenator Andy Grote persönlich fragen, wie er sich das mit dem Gewaltschutz unter den Umständen vorstellt, die er schafft. Aber bisher hat er, kein Interesse an einem Gespräch gehabt. Bis heute haben wir kein Zeichen der Einsicht vom Senat vernommen, dass das, was passiert ist, nicht richtig war. Stattdessen wird immer gesagt, die Entscheidung sei richtig gewesen und es könnte jederzeit wieder passieren.

taz: Was erwarten Sie zukünftig in Sachen Gewaltschutz?

Ziemba: Wir erwarten, dass der Senat alles tut, um Schutzbedürftige zu schützen. Dieses Wettrennen um die Erfüllung irgendwelcher Dublin- Abschiebequoten darf nicht auf dem Rücken von gewaltbetroffenen Menschen ausgetragen werden. Es ist irrsinnig, dass jetzt auf die vulnerabelsten Menschen zugegriffen wird – im Kirchenasyl, im Frauenhaus oder anderen Schutzeinrichtungen. Selbst wenn die Frau keine Frauenhausbewohnerin gewesen wäre, hätte sie immer noch zwei kleine Kinder. Kinder im Grundschulalter auf diese Weise abzuschieben – da frage ich mich, was das für eine weltoffene Stadt sein soll, die so etwas macht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!