Nach 50 Jahren Laufzeit: Belgien schaltet das AKW Tihange ab
Mit der Abschaltung des Kernreaktors schließt Belgien ein weiteres Kapitel des Atomausstiegs ab. Die Betreiber setzten sich gegen die Regierung durch.

Nach der Schließung des Reaktors Tihange 2 Anfang 2023 behält das an der Maas nahe Liège gelegene AKW, knapp 100 Kilometer von Aachen entfernt, damit noch einen Reaktor. Tihange 3 hat eine Restlaufzeit bis 2035.
Neben dem AKW in Tihange verfügt Belgien noch über eine zweite Anlage in Doel am Rand des Antwerpener Hafens. Zwei der dortigen vier Reaktoren sind bereits abgeschaltet, Ende November soll der dritte folgen. Die Abschaltung von Tihange 1 beschließt nun ein weiteres Kapitel in der überaus komplexen Geschichte des belgischen Atomausstiegs – zumindest vorläufig. Dieser wurde 2003 beschlossen, im Mai dieses Jahres jedoch zurückgenommen. Im Zuge der europäischen Energiekrise setzt auch Belgien wieder verstärkt auf Atomkraftwerke.
Die zu Jahresbeginn angetretene Fünf-Parteien-Koalition unter dem flämisch-nationalistischen Premier Bart De Wever ist eine ausgesprochene Befürworterin von Atomenergie und plant neue Kraftwerke. Nicht nur das – sie will auch die Restlaufzeiten der beiden verbliebenen Reaktoren verlängern und selbst die abgeschalteten – wie Tihange 1 – wieder in Betrieb nehmen. Energieminister Mathieu Bihet vom liberalen Mouvement Réformateur (MR) führte noch im September entsprechende Gespräche mit den Betreibern Engie und EDF – ohne Erfolg.
Weiterbetrieb „wirtschaftlich nicht machbar“
Eine Sprecherin von Engie bestätigte der taz einen Tag vor der Abschaltung, man werde Tihange 1 „definitiv vom Netz nehmen“, auch wenn der Energieminister „soviel AKWs wie möglich offenhalten“ wolle. Sie betonte auch, der Reaktor habe bereits eine zehnjährige Laufzeitverlängerung bekommen. Auch die Laufzeit von den Reaktoren in Doel wurde in den 2010er-Jahren um zehn Jahre verlängert, um Energieknappheit zu verhindern.
Rikkert Wyckmans, Betriebsdirektor in Tihange, sagte der Tageszeitung Het Nieuwsblad, Tihange 1 weiterzubetreiben sei wirtschaftlich nicht machbar, weil die nötigen Investitionen zu hoch seien. Wegen zwei neuer Gaskraftwerke in der Umgebung habe das Hochspannungsnetz zudem keine Kapazitäten mehr.
Das langjährige Hin und Her um den belgischen Atomausstieg spiegelt einen Diskurs wider, in dem sich erhebliche Bedenken um die Sicherheit der veralteten Meiler und die Angst vor einem Blackout gegenüberstanden.
Neben tausenden von Haarrissen in den inzwischen abgeschalteten Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 sorgten auch die wiederholten Störfälle, weswegen immer wieder Reaktoren heruntergefahren wurden, an beiden Standorten für große Sorgen bei Bevölkerung und Umweltorganisationen in der gesamten Grenzregion. Für den „letzten Atemzug“ von Tihange 1 riefen Anti-AKW-Aktivist*innen aus Aachen zu einem Grillabend am gegenüberliegenden Maas-Ufer auf.
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