NSU erneut vor Gericht: Er bereut nichts
Der Bundesgerichtshof verhandelt noch einmal das Urteil gegen NSU-Helfer André Eminger. Die Bundesanwaltschaft und er selbst hatten Revision eingelegt.
Am Donnerstag könnte André Eminger wieder vor Gericht erscheinen, diesmal in Karlsruhe, beim Bundesgerichtshof, Saal E101. Er würde es wohl wie üblich breitbeinig tun und ungerührt. Aber noch ist nicht klar, ob er tatsächlich kommt – es ist ihm freigestellt. Die Verhandlung aber wird sich nur um ihn drehen, gut 60 Journalisten wollen die Verhandlung im Saal oder in einem Medienraum verfolgen. Für Eminger, der momentan auf freiem Fuß ist, geht es um viel: Er könnte doch noch einmal für etliche Jahre hinter Gitter wandern.
Es dürfte das letzte Mal sein, das noch einmal umfangreicher über den Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ verhandelt wird. Zehn Morde, drei Anschläge und 15 Raubüberfälle verübte die Gruppe, die schwerste Rechtsterrorserie der Bundesrepublik. Als darüber bis 2018 im Münchner NSU-Prozess verhandelt wurde, ging es schon einmal um Eminger: Er war, neben Beate Zschäpe, einer der fünf Angeklagten.
Bis zum Schluss soll Eminger den untergetauchten Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geholfen haben. Und dennoch wurde er von den meisten Vorwürfen freigesprochen, kam mit der mildesten Strafe davon: zweieinhalb Jahre Haft. Das Gericht glaubte, dass der heute 42-Jährige lange nicht in die Terrorpläne eingeweiht war. Emingers Haftbefehl wurde noch im Saal aufgehoben. Auf der Tribüne brachen angereiste Neonazis in Jubel aus.
Die Bundesanwaltschaft hatte dagegen 12 Jahre Haft für Eminger gefordert, ihn als mögliches viertes Mitglied des NSU ins Spiel gebracht – und ging deshalb in Revision. So wie Eminger selbst auch, der einen Freispruch wollte. Als der BGH im August die Urteile gegen Zschäpe und die anderen für rechtskräftig erklärte, entschied er im Fall Eminger: Hierüber müsse tatsächlich noch einmal mündlich verhandelt werden. Was nun am Donnerstag passiert.
Das Urteil wird Folgen haben
Der Ausgang wird folgenreich sein. Denn noch immer sind neun Verfahren gegen NSU-HelferInnen offen, darunter auch gegen Emingers Frau Susann, der engsten Freundin Zschäpes nach dem Abtauchen. Die neun Unterstützer sollen dem Kerntrio Wohnungen, Papiere oder Waffen beschafft haben. Sollte nun aber nicht mal André Eminger, der treueste Freund der Rechtsterroristen, verurteilt werden, dürfte es auch in den anderen Fällen keine Anklagen mehr geben.
Edith Lunnebach fürchtet dieses Szenario. Die Kölner Anwältin vertritt eine Deutschiranerin, die bei einem Bombenanschlag des NSU, am 19. Januar 2001 in Köln, schwer verletzt wurde – André Eminger hatte für die Rechtsterroristen damals ein Wohnmobil angemietet. Die Betroffene möchte ihren Namen nicht mehr öffentlich genannt wissen. „Meine Mandantin hofft sehr, dass André Eminger doch noch zu einer angemessenen Haftstrafe verurteilt wird“, sagt aber Lunnebach. „Dass ausgerechnet er so glimpflich davonkam, war für sie eine bittere Enttäuschung und ein ganz schlechtes Signal an die Naziszene.“
Für den Anschlag hatten die Rechtsterroristen einen Sprengsatz in einer Christstollendose versteckt. Er verbrannte der damals 19-Jährigen das Gesicht, die Augen schmolzen zu, Splitter bohrten sich in ihren Kiefer. Die Frau lag anderthalb Monate im Koma, bis heute hat sie Narben. Im Münchner NSU-Prozess war sie Nebenklägerin. Und ihre Anwältin Lunnebach wird nun auch am Donnerstag bei der Eminger-Verhandlung in Karlsruhe sein.
Immer wieder half er dem NSU
Eminger soll auch vor zwei Banküberfällen für den NSU Wohnmobile angemietet haben. Zudem vermittelte er dem Trio schon nach dem Abtauchen 1998 eine Wohnung in Chemnitz, überließ ihnen Bahncards. Als die drei 2007 wegen eines Wasserschadens in seinem Zwickauer Unterschlupf aufzufliegen drohten, war er es, der Zschäpe zur Polizei begleitete und sie als seine Frau ausgab. Und noch am Tag des tatsächlichen NSU-Auffliegens 2011 half Eminger Zschäpe bei der Flucht, fuhr sie aus der Stadt und gab ihr neue Kleidung von seiner Frau Susann.
Im NSU-Prozess schwieg Eminger zu all dem. Aber er ließ keinen Zweifel, dass er nichts bereut. Schon in den Neunzigern führte er im Erzgebirge eine Kameradschaft an, welche die US-Rechtsterroristen „The Order“ pries, die für Morde und Anschläge eintraten – das NSU-Konzept. „Die Jew Die“, steht auf Emingers Bauch tätowiert. Sein eigener Anwalt nannte ihn einen „Nationalsozialisten mit Haut und Haaren“. Noch während des NSU-Prozesses besuchte Eminger einen Anti-Asyl-Aufmarsch und ein rechtsextremes Festival in Themar. Und als Ermittler 2013 seine Wohnung in Zwickau nochmals durchsuchten, entdeckten sie im Wohnzimmer eine Kohlezeichnung mit den Gesichtern von Mundlos und Böhnhardt, dazu der Schriftzug: „unvergessen“.
Heute wohnt Eminger in einem kleinen Ort vor Zwickau. Er falle dort bisher nicht auf, sagt die Bürgermeisterin. Öffentliche Szeneauftritte mied Eminger zuletzt. Mit der Presse redet er nicht, auch Gesprächsversuche der taz wehrte er in der Vergangenheit ab. Als ihn die Zeit zuletzt zu Hause aufsuchte, sagte seine Frau nur: „Wir haben mit nichts und niemandem mehr zu tun.“
Ein ideologisch gefestigter Rechtsextremist
Ein Szeneausstieg? Dafür spricht nichts. Auch Sicherheitsbehörden halten das nicht für glaubwürdig. Eminger sei zwar gegenwärtig keine Szenegröße mehr, erklärt der sächsische Verfassungsschutz auf Nachfrage. Es sei aber davon auszugehen, dass es sich bei ihm „nach wie vor um einen ideologisch gefestigten Rechtsextremisten handelt“. Es lägen dem Amt zumindest „keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er der rechtsextremistischen Szene abgeschworen hätte“. Auch die Polizei sieht das so: Dort ist Eminger nach taz-Informationen gar als rechtsextremer Gefährder eingestuft, dem weiter schwere Straftaten zuzutrauen seien – als einer von nur 75 bundesweit.
Tatsächlich zeigte sich Eminger bis vor einiger Zeit auch noch in Shirts der rechtsextremen Gefangenenhilfe oder der völkischen „Artgemeinschaft“. In Sachsen besuchte er einen Vortrag des rechtsextremen Bombenbauers Josef Kneifel. In Thüringen hielt er Kontakt zu dem mitverurteilten NSU-Helfer Ralf Wohlleben und besuchte dort ein Konzert der Turonen, denen heute auch Drogenhandel und Prostitution vorgeworfen werden. In Bayern wiederum suchte er die Nähe zu der früheren „III. Weg“-Aktivistin Susanne G., die im Sommer wegen Anschlagsplanungen zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Sie holte ihn am Tag des NSU-Urteils auch aus der Haft ab.
In Briefen an sie klagte Eminger über „Antifanten“, „Linksterroristen“ oder „linksversiffte besetzte Häuser“. Zu einem Aufmarsch hoffte er, dass „alle vereint marschieren“. Für einen anderen Aufzug wünschte er G. „viel Erfolg“. Und Susanne G. beantragte, als sie selbst in der JVA saß, für Eminger eine Besuchserlaubnis. Ein Szeneausstieg wirkt anders.
Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt
Und die Bundesanwaltschaft glaubt auch nicht, dass ausgerechnet Eminger nicht in die NSU-Terrorpläne eingeweiht war. Das Münchner Urteil sei in diesem Punkt rechtsfehlerhaft und widersprüchlich, heißt es in ihrer bisher nicht öffentlichen Begründung zur Revision – die sie wohl auch am Donnerstag vortragen wird. Eminger habe einen deutlich intensiveren Kontakt zum Kerntrio gehabt, als vom Gericht behauptet, ist die Behörde überzeugt. So habe dieser nicht nur die Anmietungen getätigt und Papiere überlassen, sondern das Trio auch mehrmals im Monat getroffen, Einkäufe übernommen – und die terroristische Gesinnung geteilt.
Mindestens die Raubüberfälle hätten sich für ihn dabei aufdrängen müssen. Denn Eminger habe gewusst, dass das Trio wegen Sprengstoffbesitzes untergetaucht war und – fahndungsbedingt – keine legale Beschäftigung möglich war. Gleichzeitig müsse er bemerkt haben, dass die Wohnungen und Ausgaben der Untergetauchten immer größer wurden – was Fragen aufgeworfen haben müsse. Und schon aus eigenem Interesse müsse der damals arbeitslose oder geringverdienende Eminger gefragt haben, wie er das Geld für die Wohnung oder Wohnmobile zurückbekomme. Umso mehr, da die Anmietungen für Eminger ein Risiko waren, etwa im Fall eines Unfalls. Dass er dieses Risiko nur für Freizeitausflüge des Trios einging, sei fernliegend.
Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass Eminger die Terrortaten willentlich unterstützt habe. Sie erinnert auch daran, wie der Zwickauer dem Trio das „Turner-Tagebuch“ übergab – ein in der Szene gefeierter Roman über einen Rechtsterroristen, der Überfälle, Anschläge und willkürliche Morde begeht. Die Parallelen zum NSU-Terror müssten für Eminger auf der Hand gelegen haben, so die Behörde.
Ein Eingeweihter
Emingers Anwalt war dazu nicht zu erreichen. Für Opferanwältin Lunnebach aber ist klar: „Natürlich wusste André Eminger vom NSU-Terror. Er war der Vertraute der Untergetauchten, teilte die Ideologie. Wer, wenn nicht er, war eingeweiht?“ Auch sei dessen bis heute ungebrochen rechtsextremes Auftreten für ihre Mandantin „unerträglich“, so Lunnebach. „Wir hoffen sehr, dass er und die anderen Helfer des NSU-Terrors noch für ihre Taten belangt werden.“
Kommt es so, könnte es auch für Emingers Frau Susann noch einmal eng werden – die zu dem Vorwurf, dass sie Zschäpe Papiere überließ, ebenfalls bis heute schweigt. Andernfalls könnte André Eminger in Sachsen auf freiem Fuß bleiben, das Paar hätte wohl nichts mehr zu befürchten. Die zweieinhalb Jahre Haft hätte Eminger durch seine frühere Untersuchungshaft bereits abgesessen.
Die Deutschiranerin, die beim Kölner Anschlag schwer verletzt wurde, wird all das nur aus der Ferne verfolgen. Sie habe abgeschlossen mit der Tat und arbeite heute erfolgreich als Ärztin, sagt Lunnebach. Im Juni 2014 sagte die Frau noch selbst aus, im NSU-Prozess. Als klar wurde, dass Rechtsterroristen hinter dem Anschlag steckten und sie töten wollten, habe sie zuerst daran gedacht, Deutschland zu verlassen, berichtete sie dort. Aber das wäre ja genau das Ziel dieser Leute gewesen. Dabei sei ihr Leben hier, ihre Freunde. Da sei klar gewesen: Sie lasse sich nicht vertreiben. „Jetzt erst recht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste