NSU-Prozess in München: Zschäpe und das Mädchen
Zschäpes neuer Anwalt hält sich zurück. Dafür sorgt eine Zeugin für Aufsehen: Sie will Zschäpe mit einem kleinen Kind gesehen haben.
Es ist Grasels zweiter Auftritt im NSU-Prozess als neuer, vierter Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten Zschäpe. Deshalb gilt Grasel am Dienstag die Aufmerksamkeit. Sein erster Auftritt war schnell vorbei: In der letzten Woche ernannt, gab ihm das Gericht sieben Tage zur Einarbeitung. Die sind nun rum.
Am Mittag hebt Grasel zu seiner ersten Frage an. Die Vermieterin des letzten Wohnmobils des untergetauchten Trios sitzt zu dieser Zeit im Zeugenstand. Es geht um den Wagen, mit dem die beiden anderen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu ihrem letzten Banküberfall am 4. November 2011 nach Eisenach fuhren – und in dem sie sich, umzingelt von der Polizei, erschossen.
Wer, fragt Grasel, habe denn damals das Geld für den Caravan bezahlt? Die Wagenvermieterin Michele A. hatte von einem Mann und einer Frau berichtet, Letztere war offenbar Zschäpe. Jetzt gibt die Wagenvermieterin die erhoffte Antwort: „Der Mann, glaube ich.“ Grasel ist zufrieden. Von wegen Finanzverwalterin des Trios, so wie die Anklage über Zschäpe schreibt. Keine weiteren Fragen.
Es bleibt ein mehr als unauffälliger Auftritt des Neuverteidigers an diesem Tag. Die meiste Zeit schweigt der 30-Jährige, schaut auf seinen Laptop, tuschelt ab und an mit seiner Mandantin Zschäpe. Kein Wunder: Grasel hat 215 Prozesstage verpasst, für eine wirkliche Einarbeitung wird er weit länger als eine Woche brauchen. An Zschäpes Schweigestrategie, hat Grasel angekündigt, werde sich vorerst aber nichts ändern.
Michele A., Zeugin
Grasels Ernennung ist ein Schlichtungsversuch des Gerichts, nachdem es Zschäpes Anträge gegen ihre drei anderen Anwälte abgelehnt hatte. Für Zschäpes Mitangeklagte wird es indes kein guter Tag. Ein früherer Kameradschaftskollege des Mitangeklagten André E. berichtet, er habe diesen noch Ende letzten Jahres auf einer rechten Demonstration gegen ein „Asylantenheim“ im sächsischen Schneeberg getroffen. Der Polizei hatte Marcel S. bereits erzählt, dass André E. vor Jahren einen Freund gebeten habe, für drei „Kameraden“ eine Wohnung zu mieten, weil sie Probleme mit der Bank hätten. Offenbar waren die untergetauchten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gemeint. „Kann sein“, bestätigt der wortkarge Mann vor Gericht.
Ebenso ungemütlich wird es für Holger G., auch er als NSU-Helfer in München angeklagt. Die Wohnmobil-Vermieterin Michele A. berichtet, der Vertrag über den Wagen sei damals mit „Holger G.“ unterschrieben und ein entsprechender Ausweis vorgelegt worden. Als die Polizei ihr Fotos vorlegte, erkannte sie Holger G.
Ein kleines, blondes Mädchen
Die Ankläger gehen dennoch davon aus, dass es Böhnhardt war, der unter falschem Namen vor Ort war. Er sah Holger G. damals ähnlich und hatte bis zum Schluss dessen Reisepass geliehen. Michele A. schilderte noch etwas Erstaunliches: Bei der Abholung sei damals auch ein kleines, blondes Mädchen dabei gewesen, vier oder fünf Jahre alt. Dieses habe die Frau mit „Mama“ angesprochen, sei unauffällig in die Spielecke gegangen.
Ein Mädchen? Dass Zschäpe Mutter wäre, ist bisher nicht aktenkundig. Bekannt ist, dass der Mitangeklagte und mutmaßliche NSU-Vertraute Ralf Wohlleben zwei kleine Töchter hat. Aber warum sollte Zschäpe eines der Mädchen oder ein anderes mitbringen?
Die Ermittler halten Michele A. für glaubwürdig. Für sie bleibt diese Frage bis heute ein Rätsel. Das Mädchen, so heißt es in der Anklage nur, sei bisher nicht identifiziert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche