NSU-Dokumentationszentrum in Chemnitz: Ein Blick zurück, einer nach vorn
In Chemnitz entsteht ein NSU-Dokumentationszentrum als Pilotprojekt. Auch der Bund plant ein solches Zentrum, aber wohl nicht in Sachsen.
![Luftbild von Chemnitz. Luftbild von Chemnitz.](https://taz.de/picture/6946527/14/35111366-1.jpeg)
Das Interim-Dokumentationszentrum zum NSU-Terror soll am Dienstag in Chemnitz vorgestellt werden. Anreisen werden dafür Gamze Kubaşık, Tochter des 2006 in Dortmund erschossenen Mehmet Kubaşık, die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) und Juliane Seifert (SPD), Staatssekretärin im Bundesinnenministerium. Im Juni soll das Richtfest folgen. Das Projekt wird Teil des Chemnitzer Programms zur „Kulturhauptstadt 2025“.
Die Ausstellungen im NSU-Dokumentationszentrum wollen den Fokus auf die Betroffenen richten und den NSU-Terror kritisch aufarbeiten. Zentral soll auch eine „Assembly“ werden, ein Begegnungsraum für Betroffene von rechter Gewalt und für Projekte der Selbstorganisation oder Jugendarbeit. Auch ein Archiv für Recherchen ist angedacht.
Sachsens Justizministerin Katja Meier sagte der taz, sie sei „froh, dass wir in Chemnitz einen angemessenen Ort gefunden haben“, der sich „kritisch-selbstreflexiv“ mit Rassismus und Rechtsextremismus auseinandersetzen werde. „Wir tragen eine Verantwortung hinsichtlich der Aufarbeitung des NSU-Komplexes und der zukünftigen Verhinderung rassistisch motivierter Straftaten.“
Im Bund soll bis 2027 ein Zentrum entstehen
Die Idee eines NSU-Dokumentationszentrums kam schon vor Jahren auf. Thüringen, wo das NSU-Kerntrio 1998 abgetaucht war, brachte bereits 2017 einen NSU-Gedenkort und ein Archiv auf den Weg. Sachsen beschloss 2019 ein NSU-Dokumentationszentrum – und legte 2023 eine Machbarkeitsstudie vor, die einen Doppelstandort in Chemnitz und Zwickau empfahl, wo das Trio jahrelang im Untergrund lebte. 2021 nahm dann auch die Ampel im Bund die Idee in ihrem Koalitionsvertrag auf. Die Frage ist nun: Lassen sich die Projekte zusammenführen?
Der Bund legte Ende Februar eine eigene Machbarkeitsstudie für ein NSU-Dokumentationszentrum vor, angefertigt von der Bundeszentrale für Politische Bildung. Bis 2027 soll dieses stehen, bis 2030 die Ausstellung fertig sein. Auch dort wird eine Daueraustellung vorgeschlagen, mit Fokus auf die Betroffenen und das Versagen der Sicherheitsbehörden. Ein Archiv soll es ebenso beeinhalten. Empfohlen wird die Gründung einer öffentlich-rechtlichen Stiftung als Träger und ein Mitarbeiterstab von perspektivisch 45 Personen. Im aktuellen Haushalt sind für das Projekt 500.000 Euro eingeplant, etwa für die vorbereitenden Studien. 2027 sollen die Kosten dann 15 Millionen Euro betragen.
Über den Standort hat der Bund bisher nicht entschieden, sagte am Montag ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der taz. Einen Standort lässt auch die Machbarkeitsstudie offen. Sie betont aber, dass entscheidend eine „politische Signalwirkung“ sei, bereits existierende Strukturen vor Ort, das Besucher*innenpotential und die Sicherheit für migrantische Personen. Der Appell: „Die Bedenken der Betroffenen sollten bei der Standortwahl berücksichtigt werden.“
Chemnitz und Zwickau als „Täterstädte“
Tatsächlich hatten sich mehrere Opferangehörige gegen Sachsen ausgesprochen: Chemnitz und Zwickau seien „Täterstädte“, zu schwer erreichbar, sie fühlten sich dort nicht sicher. Einige Angehörige plädierten für Berlin als Hauptstandort – und daneben für ein dezentrales Konzept, in das auch Erinnerungsorte an den Tatorten aufgenommen werden könnten, oder eben das Pilotprojekt aus Chemnitz.
Auch die Machbarkeitstudie des Bundes war dem gefolgt und hatte neben einem zentralen NSU-Dokumentationszentrum eine „dezentrale Verbundstruktur“ empfohlen. Aus dem Bundesinnenministerium hieß es, in eine solche Struktur ließen sich „Vorhaben wie das Pilotvorhaben in Chemnitz grundsätzlich integrieren“. Eine Entscheidung über den Standort werde „voraussichtlich im Laufe des Jahres erfolgen“.
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