NSA-Enthüller Edward Snowden: Hero oder Zero?
NSA-Whistleblower Edward Snowden ist über Nacht zum Volkshelden geworden. Wenn jetzt mehr folgen soll als Entsetzen, müssen andere übernehmen.
WASHINGTON taz | Edward Snowden hat dem alten Kampf um das Recht auf Privatsphäre sein junges Gesicht gegeben: Er scheint genau zu wissen, was er (nicht) will. Er kann es auf den Punkt bringen. Er ist moralisch entrüstet, aber beherrscht. Er ist selbstbewusst, ohne eitel zu wirken. Und er ist – offenbar allein – gegen einen mächtigen Geheimdienstapparat angetreten.
Diese Dinge – gepaart mit den einige Tage vorausgegangenen spektakulären ersten Enthüllungen über die milliardenfache NSA-Datenschnüffelei – machen den Whistleblower umgehend zu einem internationalen Star. Als hätte die Welt auf ihn gewartet, geht Momente, nachdem er sich selbst am Sonntag im Guardian geoutet hat, ein Sturm des Beifalls durch die sozialen Netze, entstehen die ersten Wikipediaeinträge über ihn und tauchen „Danke“-Unterschriftenlisten sowie Aufrufe zum Geldsammeln für seine Verteidigung auf.
Am Montagmittag findet in New York die erste Demonstration zugunsten des weniger als 24 Stunden zuvor völlig Unbekannten statt. Auf den Transparenten ist neben dem „Nein zum Überwachungsstaat“ auch ein Satz zu lesen, der weltweit im Zusammenhang mit dem 29 Jahre alten Ex-CIA-Agenten und -Internetexperten im Dienste des NSA wiederholt wird: „Snowden ist ein Held.“
Während die eine Seite Snowden auf den Heldensockel gestellt hat, bemüht sich die anderen, ihn zu zerstören. Er hat „eine aufgeblasene Vorstellung von seiner Macht“ und „ist kein glaubwürdiger Zeuge“ sagt der frühere Direktor der Nationalen Nachrichtendienste, Dennis Blair. Er ist „ein grandioser Narzisst, der ins Gefängnis gehört“, schreibt der New Yorker.
Seit die Enthüllungen einen Namen, ein Gesicht und eine Stimme haben, verlagert sich die öffentliche Debatte auf die Person des Whistleblowers. Von den Inhalten der Enthüllung auf den persönlichen Mut, der sich möglich gemacht hat. „Hero or Zero?“ – Held oder Luftnummer? – lautet die Leitfrage zahlreicher Call-In-Radiosendungen am Tag danach. Die Mehrheit der AnruferInnen – wie auch der LeserbriefschreiberInnen – tendiert in Richtung „Held“.
Mythos vom Cowboy
Manche Beschreibungen lassen an einen modernen Cowboy denken. Während der ganz allein auf dem Pferderücken in den Weiten des „Wilden Westens“ unterwegs war, tut Snowden es mit der Maus vor dem Computerbildschirm und am Telefon. In den USA – aber auch in den Medien, die jetzt alle auf Snowden gestürzt sind – ist der einsame Held ein beliebtes Leitmotiv.
Es ist die Geschichte eines Aufrechten, der mit Instinkt, Mut und geistiger und körperlicher Kraft Ungerechtigkeiten zu Fall bringt, die viel größer sind als er selbst. Der allein vorprescht, um Ungerechtigkeiten offenzulegen, Korrupte an den Pranger zu stellen – stellvertretend für die vielen, die es nicht können oder wollen.
Doch der Einzelkampf bis zum Erfolg ist ein Mythos. Erfolgreich konnte der Cowboy nur sein, weil viele andere seinen Eroberungszug gen Westen und Südwesten unterstützt haben. Ähnliches gilt jetzt auch in der Causa NSA. Snowden hat sein Lasso geschwungen und ist jetzt abgetaucht. Wenn aus seinen Enthüllungen mehr folgen soll als nur das schiere Entsetzen, müssen jetzt andere den Staffelstab übernehmen. Snowden selbst hat ein Scheitern nicht ausgeschlossen. In dem Guardian-Interview hat er gesagt, am schlimmsten wäre es, wenn sich gar nichts ändert.
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