NS-Vergangenheit des Baukonzerns Matthäi: Werder-Sponsor ließ zwangsarbeiten

Ein Historiker weist dem Baukonzern Matthäi nach, stärker vom NS-Staat profitiert zu haben als zugegeben. Das Unternehmen zeigt sich „sehr dankbar“.

Der Sachsenhain in Verden

Pseudo­germanische Kultstätte, von der Firma Matthäi errichtet: Der Sachsenhain in Verden Foto: Ingo Wagner / DPA

BREMEN taz | Werder Bremens neuer Hauptsponsor Matthäi war doch tiefer in das NS-Regime verstrickt als bisher bekannt. Das ist das Ergebnis intensiver Forschungen des Verdener Regio­nalhistorikers Joachim Woock.

Das 1933 gegründete Verdener Bauunternehmen, das heute rund 3.000 Mit­ar­bei­te­r:in­nen beschäftigt und im vergangenen Jahr 815 Millionen Euro umsetzte, geht mittlerweile offen mit diesen Erkenntnissen um. Auch für die Firma seien sie neu, man sei aber „sehr dankbar“ darüber und wolle die eigene Geschichte nun „weiter aufarbeiten“, heißt es auf Nachfrage der taz aus der Firmenzentrale.

Das war nicht immer so. Zwar bekennt sich der Konzern zu der Verantwortung dafür, „das nationalsozialistische Regime unterstützt und davon wirtschaftlich profitiert zu haben“. Diese Verantwortung werde man „nicht vergessen“, heißt es in einer Erklärung: „Totalitarismus, Rassismus, Hass und Ausgrenzung treten wir offen entgegen.“ Woocks Forschungen indes hat Matthäi sehr lange nicht unterstützt. Sondern ignoriert.

Über drei Jahre hinweg wandte sich Woock immer wieder an die Firma, sechs Schreiben aus den Jahren 2018 bis 2021 sind dokumentiert. Immer geht es darin um Zwangsarbeiter, um französische und später auch sowjetische Kriegsgefangene, die für Matthäi arbeiten mussten, um einen Zugang zum Firmenarchiv. Nie in all den Jahren bekam Woock darauf eine Antwort.

40 sowjetische Kriegsgefangene starben

Er beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs in der Region Verden, 2004 wurde er an der Uni Hannover mit einer einschlägigen Arbeit promoviert. Er hat zwei Fachaufsätze im Jahrbuch für den Landkreis Verden veröffentlicht, die Matthäis NS-Vergangenheit näher beleuchten.

Im ersten geht es um die Dörverdener Baustelle der Schießpulverfabrik Eibia, eine Tochtergesellschaft der Firma Wolff aus Walsrode, deren Großaktionär wiederum die I.G. Farben AG war. Bis zu 300 sowjetische Kriegsgefangene mussten für Eibia schuften, mindestens 40 Männer verstarben. Etwa 30 Leichen wurden vor dem Lagergebäude des Arbeitskommandos auf einem neu angelegten „Russenfriedhof“ anonym verscharrt. Nach dem Krieg wurden die Opfer von einer britischen Spezialeinheit exhumiert und umgebettet.

Die Kriegsgefangenen arbeiteten Woock zufolge aber nicht nur für die Rüstungsfabrik – sondern auch für Subunternehmer. Ein Stunden-/Wochenzettel von 1943 belegt, dass das Straßen- und Tiefbauunternehmen Hermann Matthäi, wie es damals noch hieß, 20 sowjetische Kriegsgefangene beschäftigte. Pro Wochentag mussten sie neun, am Samstag viereinhalb Stunden arbeiten. 16 Männer konnte Woock namentlich ermitteln, zwei von ihnen überlebten den Krieg nicht.

Zeit­zeu­g:­in­nen berichteten, dass die Kriegsgefangenen „Blätter, Blüten und Rinde von Bäumen und Sträuchern aßen, um ihren Hunger zu stillen“. Das Mittagessen bestand nur aus einer dünnen Kohlsuppe. Woock zitiert aber auch einen Zeitzeugen, der wiederum von einem Bauern erzählt, seinem Schwiegervater: Dessen Pferdegespann mit frisch geernteten Kartoffeln wurde 1942 von „abgerissenen Gestalten aus dem Wald“ überfallen, „die sich die Taschen mit Kartoffeln vollstopften“. Der Bauer „ließ sie gewähren“, als er erkannte, dass es sowjetische Zwangsarbeiter waren, die große Not litten.

Auch in den Bau der Weser-Staustufe in Cluvenhagen war die Firma Matthäi involviert, und zwar im Lager des Neubauamtes für die Weserkorrektur. Für die Baustelle gab es eine Schlafbaracke für 75 und eine Wirtschaftsbaracke für 150 Mann – der Auftrag, das Gelände nahe des Etelser Bahnhofs für das Lager herzurichten, ging 1937 an Matthäi. 1940 hatte das Neubauamt der Firma dann im Zuge der Baumaßnahmen an der Weser 110 französische Kriegsgefangene aus einem Lager in Nienburg zugeteilt.

Matthäi war vor 90 Jahren von den Brüdern Hermann und Rudolf Matthäi gegründet worden. Ersterer fiel 1945, sein Bruder Rudolf, der wohl Mitglied in der NSDAP war, führte die Firma alleine weiter. Hermann Matthäi wiederum, so berichteten die Verdener Neuesten Nachrichten 1933, kandidierte bei der Bürgervorsteher-Wahl in jenem Jahr auf der „Nationalen Bürgerliste“ und schloss sich dann der ­NSDAP-Fraktion an.

Schon im selben Jahr – das war schon bisher bekannt gewesen – gab es für Matthäi einen Bauauftrag von der NS-Führung, und zwar vom „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler. Es ging dabei um den sogenannten „Sachsenhain“, einer von der faschistischen Ideologie geprägten Gedenkstätte für die angeblich beim „Blutgericht von Verden“ von Karl dem Großen hingerichteten Sachsen. Dafür wurden 4.500 Findlinge ausgegraben und für den Bau dieser Stätte verwendet.

Persönliche Entschuldigung

Nachdem Woock von Matthäi nie Antworten auf all seine Anfragen bekommen hatte, wandte er sich an Karin Matthäi, Namensgeberin der „Gerhard und Karin Matthäi Stiftung“, die sich für die Bildung von Jugendlichen engagiert. Gerhard Matthäi war der Sohn des Firmengründers Rudolf, unter seiner Führung wuchs das Unternehmen zu seiner heutigen Größe. Karin Matthäi „fühlte sich von der Angelegenheit überfordert“, berichtet Woock.

Mittlerweile hat sich ein Sprecher der Firma aber bei Woock persönlich entschuldigt – und ihm sogleich angeboten, die Firmenchronik zu schreiben. Er habe „unter Vorbehalt zugesagt“, sagt Woock – ihm sei versprochen worden, dass seine Arbeit unzensiert bleiben werde. „Wir haben ein Interesse, Klarheit zu bekommen“, heißt es bei Matthäi.

Das Firmenarchiv ging weitgehend verloren

Bei der weiteren Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Firma müsse man sich aber „stark auf externe Archive konzentrieren“, da die eigenen zu großen Teilen beim Abriss eines Lagers verloren gegangen seien. Woock hat das Firmenarchiv mittlerweile gesichtet – viel mehr als ein Karteikasten aus der Nachkriegszeit sei da nicht mehr übrig. „Da steht viel Archivarbeit an“, sagt Woock.

Auch eine „angemessene Reaktion“ auf die Frage der Entschädigung der Zwangsarbeiter versprach Matthäi auf Nachfrage der taz. In den Fonds der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter und anderer NS-Opfer hat Matthäi offenbar nicht eingezahlt.

Die NS-Vergangenheit ist für den Bremer Herrenfußball-Bundesligisten kein Grund, nicht mit Matthäi zusammenzuarbeiten. „Das ist nicht unproblematisch“, sagt ein Werder-Sprecher, „aber viel wichtiger ist, wie sie jetzt damit umgehen.“ Und Matthäi zeige einen „reflektierten, selbstkritischen Umgang“.

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