Die Kongresshalle am Teich mit Gänsen im Vordergrund

Blick auf die Kongresshalle in Nürnberg am Dutzendteich Foto: Martin Siepmann/imago

NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg:Altbau mit Nazivergangenheit

In der Kongresshalle auf dem Reichs­parteitagsgelände in Nürnberg sollen bald Opern aufgeführt werden. Ein Sieg der Kultur oder Geschichtsvergessenheit?

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9.7.2024, 14:01  Uhr

Schön hässlich ist es hier. Kira Krüger, Florin Weber und Max Pospiech stehen auf der kleinen Aussichtsplattform am Rande des Innenhofs der Nürnberger Kongresshalle. Die jungen Künstler schauen in das Halbrund dieses Mega-Kolosseums. Ein Bauwerk, das sie im vergangenen Jahr schwer beschäftigt hat – und noch immer nicht loslässt. Dort unten sieht man vereinzelt Bauarbeiter herumlaufen, ein Bagger schüttet einen Erdhaufen auf, ein Teil der Fassade ist eingerüstet.

Für nicht Ortskundige sollte man es vielleicht sicherheitshalber erklären: Es handelt sich bei der Kongresshalle nicht um irgendein Messezentrum, wie der Name einen anzunehmen verleiten könnte. Vielmehr ist die Kongresshalle nach dem von der NS-Organisation Kraft durch Freude errichteten Ostseebad Prora auf Rügen der größte erhaltene Monumentalbau der Nazis. Wobei: „Erhalten“ trifft es nicht ganz. Denn obwohl die Nazis schon seit 1933 hier in Nürnberg ihre Reichsparteitage abhielten, wurde nur ein kleiner Teil des 11 Quadratkilometer großen Geländes bis Kriegsausbruch tatsächlich fertiggestellt: das Zeppelinfeld mit der Zeppelintribüne etwa. Auch die Luit­poldarena stand bereits und beherbergte zunächst – quasi provisorisch – die Parteikongresse. Das Deutsche Stadion oder das Märzfeld, wo eine Fläche für gigantische Aufmärsche und Schaumanöver entstehen sollte, blieben dagegen unvollendet. Auch die Kongresshalle wurde nie fertig gebaut.

Dennoch ist es ist ein monströser, dem Kolosseum in Rom nachempfundener, hufeisenförmiger Bau, neoklassizistisch bis zum Gehtnichtmehr, 39 Meter hoch. Fast doppelt so hoch hätte er werden sollen, obendrüber hatten sich die Baumeister der Nazis ein riesiges, freitragendes Dach vorgestellt. Hitler wollte hier seinen eigenen Tempel errichten, vor der Kulisse herrschaftlicher Architektur die Parteikongresse der NSDAP inszenieren. Doch kurz nach Kriegsausbruch kamen die Bauarbeiten zum Erliegen.

Nach dem Krieg ging die Halle wie der Großteil des Geländes in den Besitz der Stadt über. Die erste Reaktion in den 50er und 60er Jahren war, die unliebsamen Erinnerungsstücke zu beseitigen, als könnte man mit den Bauten auch die Vergangenheit selbst eliminieren. So wurde die Luitpoldarena abgerissen; die Türme des Märzfeldes und die Pfeilerkolonaden der Zeppelintribüne wurden ebenfalls gesprengt.

Das Gelände wurde zur Naherholung genutzt, auch das Nürnberger Volksfest, ein Autorennen und Konzerte fanden hier statt. 1978 stand auf dem Zeppelinfeld Bob Dylan auf der Bühne – vor 70.000 Leuten und genau gegenüber der Bühne, auf der sich einst Hitler hatte bejubeln lassen. Er wisse, wo und warum er diesen Song heute spiele, kündigte er „Masters Of War“ an. Seit 1997 findet auf dem Gelände auch das Open-Air-Festival „Rock im Park“ statt.

Und die Kongresshalle? Stand da so rum.

Immer wieder hat sich die Stadt die Frage gestellt: Was tun mit diesem steinernen Koloss? Eine quälende Frage

Immer wieder hat sich die Stadt die Frage gestellt: Was tun mit diesem steinernen Koloss? Eine quälende Frage. Mal überlegte man sich, die Halle in ein Fußballstadion umzufunktionieren, mal, ein Einkaufszentrum daraus zu machen. Die Pläne zerschlugen sich allesamt, stammten auch aus einer Zeit, in der man so etwas wie Erinnerungskultur kein allzu großes Gewicht beimaß. Was man stattdessen knapp 80 Jahre lang tat, war – nichts. Ein paar der Räumlichkeiten wurden zu Lager­zwecken vermietet, etwa an den Kanu­verein, der seine Bötchen gleich nebenan auf dem Dutzendteich zu Wasser lassen konnte. Oder an Schausteller, die ihre Buden dann auf dem Volksfest hinter der Halle aufbauten.

Erlebbarer Größenwahn

Neuen Schwung bekam die Debatte erst, als die Stadt im Jahr 2021 die Idee gebar, ihrem Opernhaus hier ein zumindest zeitweiliges Obdach zu gewähren. Vom „Operninterim“ ist seither die Rede. Obwohl die Sache mit dem Interim … aber dazu kommen wir noch. Und nicht nur die Oper sollte hier einen Platz finden. In einem Teil der Halle, so dachte man sich, könnte man auch ein paar Ateliers, Proberäume und Galerien unterbringen. Ein richtiges Kulturzentrum eben. Oberbürgermeister Marcus König (CSU) gab die passende Parole dazu aus: einen Ort der Unkultur mit Kultur besetzen.

Max Pospiech, Kira Krüger und Florin Weber halten wenig von diesem Ansatz. „Es geht der Stadt doch nur darum, diesen Ort zu heilen, um ihn verwertbarer zu machen“, sagt Pospiech. Krüger klagt, dass zu wenig auf das NS-Erbe eingegangen werde, und Weber erinnert an die Sprengung der Türme auf dem nahen Märzfeld in den 60er Jahren. Das sei dasselbe Prinzip gewesen: „Historische Nazistätten sollen unsichtbar gemacht werden.“

Drei Menschen verlieren sich im Säulengang der Kongresshalle

Das menschliche Maß verloren: NS-Architektur will es megaloman wie im Säulengang der Nürnberger Kongresshalle Foto: panthermedia/imago

Die drei haben im vergangenen Herbst mit fünf Mitstreitern, allesamt Studentinnen und Studenten der Kunstakademie Nürnberg, im Kunstverein Nürnberg eine Ausstellung zum Thema gemacht. Zur Geschichte der Kongresshalle, aber auch zu der nun geplanten Nutzung.

Jetzt also stehen sie hier und blicken in das Innere dieses riesigen Hufeisens. Für sie hat vor allem diese Ödnis eine ganz besondere Bedeutung, dieses Nichts an der Stelle, an der die National­sozialisten sich so Pompöses ausgemalt hatten, dem Führerkult huldigen wollten. „Das macht einerseits diesen Größenwahn erlebbar“, sagt Pospiech, „andererseits aber auch dieses Scheitern. Das ist ja ein Unterschied, ob ich da eine Tafel lese oder persönlich spüre, was das bedeutet.“ Dieses Erleben würde doch stark beeinträchtigt, findet der 28-Jährige, wenn da nun ein Opernhaus in dem Halbrund stünde. Leer ist was anderes.

Eine Art Schlussstrich?

In der Tat soll das neue Opernhaus direkt in den Hof der Kongresshalle gebaut werden, an die nordwestliche Seite. Das steht bereits fest. Wie allerdings das Gebäude aussehen wird, ist noch nicht bekannt. Erst am 10. Juli wird der von einer Kommission ausgewählte Entwurf präsentiert. Eine Woche später soll ihn der Stadtrat absegnen. Das Gebäude soll jedenfalls, so die Vorgabe, den eigentlichen Theaterraum sowie eine Probebühne und einen Orchesterprobensaal beinhalten, die weiteren notwendigen Räumlichkeiten sollen im bestehenden Rundbau der Kongresshalle selbst untergebracht werden.

Dort sollen auch die Ateliers und Proberäume Platz finden, von „Ermöglichungsräumen“ sprechen sie im Rathaus gern. Für sie sollen 4 der 16 Segmente des Rundbaus hergerichtet werden – eine Fläche von insgesamt 7.000 Quadratmetern. „Ein einzigartiger und innovativer Kulturort“ solle es werden, der „mit den Mitteln der Kunst eine zukunftsgerichtete Auseinandersetzung mit der Geschichte fördert“, heißt es in der Rathaus-PR.

Wenn allerdings die Auseinandersetzung mit der Geschichte allzu sehr in die Zukunft gerichtet ist, so fürchten nun Kritiker, könnte der so wichtige Blick in die Vergangenheit getrübt werden. „Das ist, glaube ich, eher eine Art Schlussstrich, der hier gezogen werden soll“, meint auch Pospiech. „Die Stadt versteht das jetzt als freie, neutrale Fläche, und die soll genutzt werden.“ Viel länger und breiter hätte man seiner Meinung nach über das Bauprojekt diskutieren müssen. „Jetzt wird es einfach gemacht – noch dazu unter einem Zeitdruck, der hausgemacht ist.“

Mit dem hausgemachten Zeitdruck spielt Pospiech darauf an, dass die Stadt sich anfangs durchaus Zeit gelassen hat. Denn dass das bisherige Opernhaus in einem sehr maroden Zustand ist und dringend einer Sanierung unterzogen werden muss, ist seit vielen Jahren bekannt. Doch lange tat sich nichts. Erst als vor drei Jahren die Überlegung aufkam, der Oper im Hof der Kongresshalle eine neue Heimstatt zu bieten, ging plötzlich alles ganz schnell. Noch im Dezember 2021 entschied der Stadtrat einmütig, dass die Oper während der Sanierung und Erweiterung des Stammhauses dorthin ziehen solle.

Wort aus Stein

Die Architektur war bedeutsamer Bestandteil des nationalsozialistischen Regimes. Gern rühmten sich die Machthaber in der Propaganda ihrer Bauleistungen als „Wort aus Stein“. Wobei die Nationalsozialisten dann in Wirklichkeit statt Wohnungen doch mit einem weitaus größeren Engagement Kasernen bauten. „Die deutsche Nation“, begeisterte sich Alfred Rosenberg, führender Ideologe der NSDAP, „ist eben drauf und dran, endlich einmal ihren Lebensstil zu finden … Es ist der Stil einer marschierenden Kolonne.“ Der Stiefelschritt wird Maß für die Architektur. Die uniformierte und disziplinierte Masse ist in den großen und repräsentativen Bauten des NS-Regimes immer schon mitgedacht. Zusammen mit dem Bild der marschierenden Massen sind die NS-Bauten erst komplett.

Monumentale Bauten

Stilbildend für die Repräsentationsarchitektur war der gleich ab 1933 errichtete sogenannte Führerbau am Königsplatz in München nach Plänen des Architekten Paul Ludwig Troost. Der verstarb 1934, danach trat Albert Speer die Rolle als Lieblingsbaumeister von Adolf Hitler an. Von Speer stammt die Grundkonzeption des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg, er entwarf die monumentalen Bauten für die Reichsparteitage der NSDAP wie die Zeppelintribüne. Die Kongresshalle dort war mit Platz für 50.000 Menschen geplant. Sie wurde nicht fertiggestellt, der Entwurf stammt von den Architekten Ludwig und Franz Ruff.

Der Krieg einkalkuliert

In Berlin sind als Hinterlassenschaften der Nazis noch der Flughafen Tempelhof, das Olympiastadion und vor allem das ehemalige Reichsluftfahrtministerium in der Wilhelmstraße zu sehen – zu DDR-Zeiten das „Haus der Ministerien“ und heute Sitz des Bundesfinanzministeriums. In einer wiederum von Albert Speer vorangetriebenen Planung sollte aus Berlin die Reichshauptstadt Germania werden mit architektonischen Vorhaben, für die das Wort „gigantomanisch“ nicht mehr wirklich ausreicht. In den Kosten dieser Umgestaltungsplanungen für ganz Deutschland war der Krieg einkalkuliert. Getragen werden sollten sie schließlich von den „Besiegten“. (tm)

Ihrer Ausstellung haben die Studenten den Titel „Always complain, always explain“ gegeben – in Anspielung auf die PR-Maxime des britischen Königshauses („Never complain, never explain“). „Wir haben das umgedreht“, erzählt Florin Weber, „als eine Art von Aufforderung, aber auch als eine Art Kritik.“ Denn einen Mangel an Erklärungen, an Transparenz halten die jungen Leute auch ihrer Stadt vor. Einen Impuls habe man mit der Ausstellung geben wollen und den Menschen etwas Informationen an die Hand.

Denn die hat bislang nicht jeder. So sollen sich Stadträte nach der entscheidenden Sitzung beschwert haben, dass ihnen ein kritischer Bericht einer Oberkonservatorin des Landesamts für Denkmalpflege vorenthalten worden sei. Hätten sie diesen gekannt, hätten sie womöglich anders abgestimmt. Auch dass sich Angestellte der Stadt, etwa Mitarbeiter des Dokumentationszentrum zu der Sache öffentlich nicht äußern dürfen, monieren die Künstlerinnen und Künstler, sprechen von einem „Maulkorb“.

In der Ausstellung konnten Besucherinnen und Besucher auch Fragebogen ausfüllen, Fragen beantworten wie: „Wann haben Sie von dem Bauvorhaben erfahren?“ Oder – überhaupt nicht suggestiv: „An welcher Stelle wären, Ihrer Meinung nach, die 211 Mio. in der freien Kunst- und Kulturszene besser investiert?“ Die Fragebogen sollen nun in eine Zeitkapsel gesteckt und auf dem Gelände der Kongresshalle als „Grundstein vor dem Grundstein“ vergraben werden.

Es ist freilich nicht nur eine Handvoll Studierender, die an dem Projekt Anstoß nimmt. So glaubt der Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis, bis vor kurzem Direktor des Kunstvereins Nürnberg, dass die Stadt Nürnberg mit ihrer Entscheidung in Sachen Erinnerungskultur einen großen Schritt rückwärts geht. Kultur statt Unkultur? Die Kunstgeschichtsforschung habe in den vergangenen 20 Jahren sehr viel erreicht und gezeigt, dass man sich mit dem Thema NS-Kunst auch anders beschäftigen könne als mit Schwarz-Weiß-Malerei. „Und jetzt wird das wieder aus der Mottenkiste gezogen. Ich fürchte, dass die Komplexität da flöten gehen könnte.“

Wiedergutwerdung eines Nazibaus?

Es ist die Befürchtung, dass die Kunst von dem, was ihr da abverlangt wird, überfordert sein könnte, die einige der Kritiker umtreibt. Er habe zwar grundsätzlich schon den Eindruck, dass das Thema Nationalsozialismus in Nürnberg sehr ernst genommen werde, aber wie nun quasi eine „Wiedergutwerdung“ eines Nazibaus mit Mitteln der Kunst erreicht werden solle, überzeuge ihn nicht. „Jetzt kommt da die Kultur wie das Kaninchen aus dem Hut und soll diese Leerstelle, von der ich gar nicht glaube, dass es sie gibt, füllen. Wie man da so generalstabsmäßig auf die Kunst setzen kann, ist mir etwas rätselhaft.“

Auch der Verein Geschichte Für Alle, der historische Führungen durch Nürnberg veranstaltet, hatte die Pläne von Anfang an kritisiert. Als dann die Entscheidung für das Operninterim im Innenhof gefallen war, nahm man dies „mit Bedauern zur Kenntnis“. Der Lernort ehemaliges Reichsparteitagsgelände werde dadurch dauerhaft und unwiderruflich verändert. „Als Bildungsträger, der jährlich Hunderttausenden Gästen aus aller Welt einen vertieften Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus bei Führungen über das Gelände ermöglicht, wissen wir dabei gerade um den hohen Stellenwert des (leeren) Innenhofs der Kongresshalle.“ Wenn schon Operninterim an diesem heiklen Ort, dann, so argumentierte der Verein, wäre eine Variante, die von außen an den Rundbau angedockt hätte, vorzuziehen gewesen.

Daraufhin, so berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ), seien die Vertreter des Vereins als „Ewiggestrige der Erinnerungskultur“ diffamiert worden, man habe ihnen sogar Eigennutz unterstellt, da sie angeblich nur um die Attraktivität ihrer Führungen fürchteten. Auf Nachfrage sagt man im Verein inzwischen nur noch, dass man zu dem Thema nichts mehr sage.

Wunsch nach einer kulturellen Nutzung

Einer, der die Kongresshalle ebenfalls besonders gut kennt, ist Hans-Christian Täubrich. Er war Gründungsdirektor des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände und bis 2014 dessen Chef, hat sogar ein 180 Seiten starkes Buch über die Kongresshalle herausgegeben. Er könne sich nicht vorstellen, ließ er die SZ im Interview wissen, dass Nachfahren von NS-Opfern es goutieren würden, wenn da plötzlich Menschen in Abendgarderobe in den Innenhof der Kongresshalle kämen, um Hitlers geliebtem Wagner zu lauschen.

Auch Täubrich verweist auf die Einzigartigkeit des Nazibaus. Es sei eben nicht irgendeine NS-Kaserne, wie es sie in jeder größeren Kleinstadt gebe. Hier seien beim Reichsparteitag im September 1935, demselben Reichsparteitag, bei dem der Grundstein für die Halle gelegt worden sei, auch die Rassengesetze der Nazis verkündet worden.

Das alles kann man natürlich auch ganz anders sehen. Und das tut Julia Lehner. Sie ist Nürnbergs Zweite Bürgermeisterin und für die Kultur zuständig. Manchen gilt die CSU-Politikerin gar als die Erfinderin des Opern­interims in der Kongresshalle.

Luftaufnahme von der Kongresshalle macht Hufeisenform klar

Viel historische Leere: Blick von oben auf die Kongresshalle Foto: Norbert Probst/imago

Von mangelnder Transparenz will Lehner nichts hören. Das Gegenteil sei schließlich der Fall. Schon im Zuge der Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2019 habe man in einem sehr offenen und partizipativen Prozess sich auch dem Thema Erinnerungskultur gewidmet. Und dabei habe sich immer mehr herauskristallisiert, dass der Wunsch besteht, diese bislang der Öffentlichkeit überwiegend verschlossenen Räume einer weiteren kulturellen Nutzung zuzuführen. „Zunächst hat man da an Ateliers, an Proberäume, einfach Räume, durch die Kunst ermöglicht werden kann, gedacht.“

Bürgermeisterin will kulturelle Gräben überwinden

Gleichzeitig habe man sich aber auch auf der Suche nach einem neuen Ort für die Oper befunden, da das alte Opernhaus überaus sanierungsbedürftig gewesen sei und schon damals absehbar war, dass es schon allein aus Gründen des Brandschutzes bald nicht mehr genutzt werden könne. Die Stadt habe daher geprüft, ob die Oper in eine alte Fabrikhalle ziehen könnte oder in einen Zeltbau. Doch es hätten sich keine entsprechenden Gebäude oder Flächen gefunden.

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So kam man auf die Kongresshalle. „Für mich war das dann plötzlich sehr schlüssig“, sagt Lehner. Das Areal gehöre ohnehin der Stadt, Miete falle also nicht an; es gebe keine weitere Versiegelung von Flächen, das Ganze sei also eine nachhaltige Angelegenheit. „Außerdem entspricht es meiner kulturpolitischen Haltung: den Graben zwischen Hochkultur, Subkultur, Breitenkultur und vermeintlich elitärer Kultur zu überwinden. Durch die sogenannte freie Szene in den Ermöglichungs­räumen und die Oper kommt hier räumlich einiges zusammen.“

Auch dass die Kongresshalle dann in puncto Erinnerungskultur ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen könne, will die Politikerin nicht gelten lassen. „Ich bin selbst Historikerin, und ich habe mich schon während meines Studiums mit diesem Gelände und seiner Geschichte auseinandergesetzt.“ Sie habe Zweifel, dass sich Besuchern der diktatorische, menschenverachtende Ansatz der Nazis allein durch das Betreten und Betrachten des Innenhofs vermittle. Nichtsdesto­trotz sei ja auch dies weiterhin möglich. „Ich glaube nicht, dass sich die ästhetische Schönheit dieses Areals jetzt so sehr ändern wird, dass man sagt: Ach, das haben die Nazis aber furchtbar nett gemacht, das ist ja richtig heimelig.“ Die Kongresshalle werde ja nicht umgebaut.

Ein in Lehners Augen sehr wichtiger Punkt ist, dass in der Kongresshalle im Unterschied zum Zeppelinfeld und der Zeppelintribüne nie Geschichte geschehen sei. Natürlich könne man anhand des unvollendeten Baus „diese Mission dieser Gigantomanie“ nachvollziehen, aber es habe hier eben nie ein Parteikongress stattgefunden.

Kein Masterplan Erinnerungskultur

In der Tat macht es ja für den Umgang mit einer Örtlichkeit einen Unterschied, was dort geschah oder eben auch nicht geschah. War es ein Opferort? Ein Täterort? Oder nur ein Möchtegernort? Eine Frage, für die Jörg Skriebeleit Experte ist. Er leitet die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Es gebe keinen Masterplan Erinnerungskultur, sagt Skriebeleit, der festlege, welche Stätten in dieser oder jener Form konserviert werden müssten. Ein solcher Ansatz sei ahistorisch und apolitisch.

„Solche monströsen Täterhinterlassenschaften wie die Kongresshalle üben eine Anziehungskraft aus – nicht wegen der Faszination des Grusels, sondern wegen der erhofften historischen Nähe.“ Skriebeleit, selbst bekennender Opernbanause, war Mitglied der Jury, die entschied, wo auf dem Kongresshallengelände der Opernbau stehen soll. „Ich persönlich habe zugestimmt, weil ein Interim eine Übergangslösung ist und die immer wieder notwendige Befragung ermöglicht“, sagt Skriebeleit. „Ich halte es tatsächlich für notwendig, dieses Areal, auch die Kongresshalle, immer wieder neu zu dimensionieren, zu befragen, ohne es zu zerstören.“ Erinnerungsarbeit solle heute viel stärker Laborcharakter haben. Vor dem Hintergrund des Interims sehe er den Opernbau daher unproblematisch.

Aber was hat es denn nun mit dem Interim tatsächlich auf sich? Nach 10 Jahren, hieß es anfangs, könne die Oper ja in ihr dann saniertes Stammhaus zurückkehren, das neue Gebäude in der Kongresshalle wieder entfernt werden. Davon ist längst keine Rede mehr. Ministerpräsident Markus Söder, zwar nicht unmittelbar zuständig, aber immerhin Nürnberger, ließ die Öffentlichkeit wissen, dass das neue Haus natürlich bleiben werde. Kulturstaatsministerin Claudia Roth will sogar, dass die Oper dauerhaft in der Kongresshalle bleibt. Fakt jedenfalls ist, dass die Stadt den Bau ohne Fördermittel des Freistaats nicht wird stemmen können – und die können nur fließen, wenn das Gebäude mindestens 25 Jahre steht. So lange wird es also mindestens werden. Und die Vorstellung fällt schwer, dass sich danach noch jemand an diesen besonderen Blick in die Leere erinnert und für einen Abriss plädiert.

Präsenter wird jetzt erst einmal das Wirken der Oper an ihrer neuen Stätte sein. Die Erwartungen jedenfalls sind hoch. „Kultur hat ja immer die Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen“, erklärt Bürgermeisterin Lehner, und KZ-Gedenkstättenleiter Skriebeleit glaubt: „Jeder Mensch, der dort in eine Oper geht, ob er Wagner hört oder sonst was, wird diese Oper anders hören, als wenn er auf den grünen Hügel in Bayreuth geht, weil er der Unmittelbarkeit dieses nazistisch ideologischen Großrelikts gar nicht ausweichen kann.“

Noch drastischer formuliert es Staats­intendant Jens-Daniel Herzog. „Wir werden unsere Arbeit als permanenten Exorzismus verstehen, einen andauernden Anti-Reichsparteitag“, kündigte er in der SZ an. Das werde viel mit Humor zu tun haben, denn den hätten die Nazis nicht gehabt. Man werde es dabei aber nicht an Respekt dem Gebäude gegenüber fehlen lassen. „Aber auch nicht an Respektlosigkeit.“

Dem Exorzismus Herzogs setzt der frühere Dokumentationszentrumsleiter Täubrich eine Portion Sarkasmus entgegen. Er wolle sich dem Willen der Stadtratsmehrheit beugen, sagt er, zuvor jedoch noch einen Vorschlag zur Güte machen: Opernbesucher sollten künftig von einer großen Tafel, womöglich aus Flossenbürger Granit, im riesenhaften Ausmaß empfangen werden, mindestens 7 Meter hoch. „Darauf steht zu lesen: Herzlich willkommen im Opernhaus Nürnberg! Der Grundstein zu diesem Bau wurde 1935 gelegt, als anlässlich des NS-Parteitages auch die Rassengesetze verlesen wurden. Darunter klein der Hinweis: Zur Sektbar geht’s rechts rüber. Und dann ab in die ‚Zauberflöte‘.“

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