NS-Belastung an Hochschulen: Erschreckende Zahlen
Als erste deutsche Hochschule prüft die Uni Hannover systematisch die NS-Vergangenheit ihres akademischen Personals. Die Ergebnisse sind düster.
![Die Leibniz Universität Hannover Die Leibniz Universität Hannover](https://taz.de/picture/4645936/14/Leibniz-Universitaet-Hannover-1.jpeg)
Man sollte meinen, eine solche Karriere verbiete eine anschließende Beschäftigung als Professor an einer Universität. Tatsächlich wurde der Oberbaurat 1945 von der US-Militärregierung in Deutschland entlassen, sein Antrag auf Wiedereinstellung als Baudirektor in Bremen zwei Jahre später abgelehnt. Nicht anders erging es damals 13 Professoren an der Technischen Hochschule (TH) Hannover – sie wurden 1945/46 wegen erheblicher Verstrickungen im NS-Staat aus der Uni entfernt. Doch bald wehte ein anderer Wind. Der Kalte Krieg hatte begonnen, die Bundesrepublik genoss eine eingeschränkte Souveränität. Eine NS-Vergangenheit war nicht mehr so wichtig.
Schon in den 1950ern erhielt Wortmann einen Lehrstuhl für Städtebau, Wohnungswesen und Landesplanung an der TH Hannover. Von 1963 bis 1965, dem Jahr seiner Emeritierung, wirkte er als geachteter Direktor dieses Instituts, 1964/65 war er zugleich Dekan der Fakultät. Seine Veröffentlichungen zwischen 1933 und 1945 ließ Wortmann bei dieser Karriere unter den Tisch fallen.
Der Aufstieg des 1995 Verstorbenen steht exemplarisch für die Mehrheit der Professoren an der TH Hannover, die inzwischen Leibniz Universität heißt. Sie zählt zugleich zu den verborgenen Biografien deutscher Wissenschaftler in der Nachkriegszeit. Denn bisher hat keine bundesdeutsche Hochschule eine systematische Untersuchung der NS-Belastung ihres akademischen Personals gewagt. Die Leibniz Universität hat nun einen solchen Schritt getan – mit eindeutigen Ergebnissen.
Fast Dreiviertel waren belastet
Zwischen 1945 und 1957 waren demnach unter den Professoren der TH Hannover 53 Prozent „substantiell belastet“, das heißt, sie waren eingeschriebene Mitglieder von NSDAP, SS oder SA. Weitere 21 Prozent gelten als „formal belastet“, wie es in der kürzlich veröffentlichten Studie „Eine neue Zeit. Ein neuer Geist? Eine Untersuchung über die NS-Belastung der nach 1945 an der Technischen Hochschule Hannover tätigen Professoren unter besonderer Berücksichtigung der Rektoren und Senatsmitglieder“ heißt.
Die Beschäftigung ehemaliger Nationalsozialisten blieb keine Angelegenheit der 1950er Jahre: Von 1945 bis 1978 lag der Anteil der substantiell belasteten Hochschullehrer noch immer bei 38 Prozent.
Und: Der Fisch stank vom Kopf her. 70 Prozent der Rektoren an der Technischen Hochschule Hannover hatten zwischen 1945 und 1975 eine einschlägige NS-Vergangenheit, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass der Anteil von NSDAP-Mitgliedern in der gesamten erwachsenen deutschen Bevölkerung wesentlich geringer ausfiel. Nur zwei der 20 Rektoren im Zeitraum zwischen 1945 und 1978 hatten sich von jeglichen NS-Organisationen ferngehalten.
Die der Studie beigefügten Kurzbiografien der Professorenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg machen das ganze Elend der „Vergangenheitsbewältigung“ in der jungen Bundesrepublik deutlich – es gab sie kaum. Stattdessen konnten Wissenschaftler ungeachtet ihrer NS-Verstrickungen Karriere machen. Unter ihnen waren sicher auch kleine Fische. Aber eben auch Personen, die den Massenmord an Juden in Osteuropa vorangetrieben hatten.
Dazu zählt etwa ein gewisser Konrad Meyer. Zwischen 1956 und 1968 wirkte Meyer als ordentlicher Professor für Landesplanung und Raumforschung. Davor aber zählte er im Rang eines SS-Oberführers und im Auftrag von Heinrich Himmler zu den Autoren des „Generalplan Ost“, der zugleich die „Germanisierung“, Vertreibung und Ermordung der einheimischen Bevölkerung in Teilen Osteuropas vorsah. Es hat ihm nicht geschadet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören