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NRW-KommunalwahlenKein einziges Rathaus für die AfD

Die AfD verliert in Gelsenkirchen deutlich die Stichwahl gegen Sozialdemokratin Andrea Henze. Doch der Verlust Dortmunds verhagelt der SPD den Abend.

Stichwahlen nach der Kommunalwahl in NRW: Andrea Henze, SPD-Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin, setzt sich durch Foto: Bernd Thissen/dpa

Gelsenkirchen taz | Am Sonntagabend kurz vor 18 Uhr ist im denkmalgeschützten Gelsenkirchener Rathaus die Spannung fast mit Händen zu greifen: Wird es die rechtsextreme AfD zumindest hier, in der von der höchsten Arbeitslosigkeit in Deutschland gebeutelten Ruhrgebietsstadt, schaffen, das Amt des Oberbürgermeisters zu erobern?

Im ersten Wahlgang am 14. September hatte der AfD-Kandidat Norbert Emmerich in Gelsenkirchen 29,75 Prozent eingefahren – und war damit nah an die Sozialdemokratin Andrea Henze herangerückt, für die sich 37,04 Prozent entschieden. Noch bedrohlicher für die Ge­nos­s:in­nen wirkte das Stadtratswahlergebnis: Gerade mal 30,36 Prozent wählten in der einstigen roten Hochburg noch die SPD – und die AfD lag mit 29,92 Prozent nur minimal dahinter.

Am Wahlabend spiegelt schon die Raumverteilung die bisherigen Machtverhältnisse: Im großen Ratssaal im zweiten Stock fiebern mehr als 300 Genoss:innen. Die AfD muss dagegen mit einem „Sitzungszimmer“ in der 4. Etage vorliebnehmen. Und als nach 18:15 Uhr immer mehr Ergebnisse aus den Wahllokalen eintrudeln, wird klar: Die AfD bleibt auch in Gelsenkirchen eine Loser-Partei.

Nicht ein einziges Rathaus haben die Rechtsextremen in Nordrhein-Westfalen erobert. Auch der Gelsenkirchener AfD-Mann Emmerich kommt bei der Stichwahl gegen Andrea Henze nur auf 33,07 Prozent. Die Sozialdemokratin fährt eine satte Zweidrittelmehrheit ein – allerdings nicht nur mit Unterstützung der Grünen, als deren gemeinsame Kandidatin sie schon im ersten Wahlgang angetreten war. Auch fast alle anderen demokratischen Parteien haben dazu aufgerufen, bei der Stichwahl Henze zu wählen. Nur die Linke und das BSW konnten sich nicht zu einer offiziellen Wahlempfehlung durchringen.

„Sieg für unsere Demokratie“

Mit Standing Ovations wird die künftige SPD-Oberbürgermeisterin um 18:40 Uhr von ihren Ge­nos­s:in­nen dann im großen Ratssaal empfangen. Fast bricht ihre Stimme, als sie erklärt, sie freue sich „über alle Maßen über dieses deutliche Vertrauen“. Der Sieg über die AfD sei „nicht nur ein Erfolg für unsere Stadt“, sondern auch „für unsere Demokratie“ und ein „Zeichen der Stärke unserer Stadtgesellschaft“ – schließlich hatten auch Gewerkschaften, Sozialverbände, Vereine für Henze mobilisiert.

Gelsenkirchen habe „in seiner Geschichte schon einmal bewiesen, dass ein Aufstieg möglich ist“, sagt die künftige Rathauschefin, um den Bür­ge­r:in­nen der noch immer vom beschönigend „Strukturwandel“ genannten Ende der einstigen Lebensgrundlagen Kohle und Stahl gebeutelten Stadt Mut zu machen. Schon ihr Wahlprogramm stand unter den Slogans „Anpacken“ und „Aufstieg“ – auch eine Anspielung an den identitätsprägenden Fußballclub FC Schalke 04, der gerade von einem Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga träumt. Die bisherige Sozialdezernentin Henze versprach deshalb nicht nur bessere Bildung, sondern auch eine Stärkung der Wirtschaftsförderung und damit die Hoffnung auf neue Jobs.

Bei der AfD im 4. Stock gibt es dagegen lange Gesichter. Schon vor Eintreffen der ersten Ergebnisse hatte die Kreisvorsitzende Enxhi Seli-Zacharias in Interviews mit der rechten Medienbubble die immergleiche Opfererzählung der AfD wiederholt: Schlecht stehe ihre Partei nur da, weil sich alle anderen gegen sie vereint hätten, erklärte die stellvertretende AfD-Landtagsfraktionschefin, die 1993 in der albanischen Hauptstadt Tirana geboren wurde. Auch AfD-Landeschef Martin Vincentz klagt, die Wahlbeteiligung sei leider gerade in benachteiligten Stadtteilen, wo die AfD stark sei, schwach – und lästert über „die anderen Parteien, die alles versprochen und nichts gehalten“ hätten.

CDU-Flimmern in der SPD-Herzkammer

Doch auch bei den So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen ist der Jubel nicht grenzenlos. Vor den Kameras der großen TV-Sender spricht SPD-Landeschefin Sarah Philipp um 19:38 Uhr von einem „Abend mit Licht und Schatten“. Zwar haben die Ge­nos­s:in­nen nicht nur Nordrhein-Westfalens größte Stadt Köln, sondern auch Wuppertal, Oberhausen und Mülheim zurückerobert.

Nach 80 Jahren verloren hat die Partei aber Dortmund, das einmal als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ galt. Dort verlor der blass wirkende amtierende Oberbürgermeister Thomas Westphal mit 47,08 Prozent gegen Herausforderer Alexander Kalouti. Der von der FDP zur CDU gewechselte 57-Jährige fuhr mit 9.170 Stimmen Vorsprung 52,92 Prozent ein.

Gewonnen hat die CDU auch in Düsseldorf, Essen und in Hagen, wo der Christdemokrat Dennis Rehbein mit 71,7 Prozent deutlich vor dem AfD-Mann Michael Eiche landete. Nicht umsonst reiste der aus Nordrhein-Westfalen stammende Kanzler Friedrich Merz am Montag prompt nach Düsseldorf, um sich in den Wahlsiegen seiner Partei zu sonnen.

Grüne Niederlagen und Trostpflaster

Bitter war der Wahlabend dagegen für die Grünen, die in Wuppertal, Bonn und Aachen die Rathäuser verloren. Immerhin gab es ein Trostpflaster: Im westfälischen Münster stellen sie mit Tilman Fuchs, der mit 57,9 Prozent deutlich vor dem Christdemokraten Georg Lunemann liegt, erstmals den Oberbürgermeister.

Auch im erzkatholischen Paderborn gelang den Grünen ein Achtungserfolg: Hier fuhr ihr Kandidat Frank Wolters 46,5 Prozent ein – was in der tiefschwarzen Heimat von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fast eine Sensation bedeutet. Der aus NRW stammende grüne Bundeschef Felix Banaszak erklärte deshalb, er sei „nicht bereit, die Geschichte erzählen zu lassen, dass alles kaputt ist“.

Verloren hat die AfD auch in Banaszaks Heimatstadt Duisburg. AfD-Mann Carsten Groß, der im Wahlkampf extrem siegessicher und breitbeinig aufgetreten war, kam in der mehr als 500.000 Menschen zählenden Großstadt nur auf 21,4 Prozent. Mit 78,6 Prozent klar gewonnen hat damit der amtierende SPD-Oberbürgermeister Sören Link. Der 49-Jährige warnt dort seit Jahren immer wieder vor „Sozialmissbrauch“, also der von Hintermännern gesteuerten Einwanderung ärmster Menschen vor allem aus Südosteuropa, deren Sozialleistungen dann von mafiösen Strukturen abkassiert werden.

Rolemodel „Trump von Duisburg“

Unter So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen gilt Link, der einmal als „Trump von Duisburg“ geschmäht wurde, damit plötzlich vielen als Vorbild. Gewonnen hätten „diejenigen von uns, die das klare Wort nicht scheuen“, sagt auch SPD-Landeschefin Sarah Philipp am Sonntagabend in Duisburg. Allerdings: Es bleibe „Aufgabe aller Parteien“, die AfD zurückzudrängen. Dazu müsse das Sondervermögen des Bunds, die für die Kommunen vorgesehenen 100 Milliarden Euro, schnell vor Ort ankommen, um in „Infrastruktur, Bus und Bahn, die Sanierung von Schulen, in Sicherheit und Sauberkeit“ zu investieren, mahnt Philipp in Richtung Bundesregierung.

In Gelsenkirchen sieht die SPD-Basis das genauso. „Ich bin extrem erleichtert, dass die AfD hier so deutlich verloren hat“, sagt Thomas Stollmann. „Als einfaches Parteimitglied“ ist der 69 Jahre alte Rentner extra ins Gelsenkirchener Rathaus gekommen, um der künftigen Oberbürgermeisterin Henze zu gratulieren. „Die AfD“, sagt Stollmann, „ist für mich einfach nur ein Albtraum“.

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