NDR-Doku über deutsche Kolonialzeit: Schuldfrage ohne Zwischentöne
Der Film „Deutsche Schuld“ befasst sich mit der Kolonialzeit im heutigen Namibia. Insbesondere die Rolle der Missionare wird dabei stark vereinfacht.
Als Aminata Belli die Landfrage stellt, gerät Markus Lägel in Erklärungsnot. Das wertvolle Farmland ist in Namibia mehrheitlich in der Hand weißer Farmer, und das ist eines der großen Politika des Landes. Nur etwa 5 Prozent der namibischen Bevölkerung sind weiß.
Lägel, der erst seit einem Jahr in Namibia lebt und als Jugenddiakon der Evangelisch-Lutherischen Kirche arbeitet, verweist auf die Verantwortung des namibischen Staates. Er halte es für vermessen, sich zum Dauerkonflikt zu positionieren. Anders Moderatorin Belli. Während sich Lägel weiter erklärt, übertönt ihn Belli aus dem Off, wirft ihm Ausweichmanöver vor, wo die Ungerechtigkeit doch auf der Hand liege.
Die Art, mit der Aminata Belli in der NDR-Dokumentation „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ ihrem Gesprächspartner über den Mund fährt, sagt viel über den Film in Regie von Silvia Palmigiano. Die Rollen sind klar verteilt. Für Zwischentöne ist kaum Platz. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Frage der Verantwortung der christlichen Mission an der Kolonisierung auf dem Gebiet des heutigen Namibias und dem Völkermord an Ovaherero und Nama.
Die Zuschauer:innen müssen sich auf die persönliche Annäherung an die Vergangenheit durch die Influencerin und Moderatorin Aminata Belli verlassen. Dabei ist belegt, dass Missionare mit der Verwaltung der Kolonie Deutsch-Südwestafrika kooperierten, indem sie im Kolonialkrieg ab 1904 das über Jahrzehnte genährte Vertrauensverhältnis zu ihren Gemeinden nutzten und Ovaherero überredeten, die Waffen niederzulegen.
Die Missionare legten Sammellager an, um jenen Ovaherero, die sich ergaben, Zuflucht zu gewähren. Von dort aus überführte sie jedoch das deutsche Militär, unter Protest der Mission, in koloniale Konzentrationslager, wo die Internierten Zwangsarbeit leisteten und zuhauf starben. Dort unterstützten die Missionare die Gefangenen seelsorgerisch und materiell, linderten so einiges Leid, mussten dem Sterben sonst aber weitgehend tatenlos zusehen.
Partei für die Ovaherero
Trotzdem waren es auch die Berichte der Missionare, die die deutsche Öffentlichkeit von den Gräueltaten gegen Ovaherero und Nama unterrichteten und so allmählich die Stimmung im Reich kippen ließen. Solche Einzelheiten spart die Doku aus.
Dabei trifft Moderatorin Belli auf die Künstlerin Imke Rust, eine Nachfahrin des Missionars August Kuhlmann. Es hätte gelohnt, sich seiner Biografie eingehender zu widmen, weil sie für die Ambivalenz der damals für die Kirche Tätigen steht. Als sich die Ovaherero im Januar 1904 gegen die Deutschen erheben, notiert Kuhlmann in sein Tagebuch: „Wie soll ich mich als Hirte zu meiner Gemeinde verhalten?“ Später wird der Missionar offen Partei für die Ovaherero ergreifen und bei der deutschen Heeresführung um Amnestie für sie bitten.
Statt solchen Geschichten nachzugehen, kratzt die Doku an der Oberfläche. Und das ruft nun in Namibia Protest hervor. So erhielt die Intendanz des NDR einen offenen Brief, welcher dem Film „ideologische Scheuklappen“ und eine „völlig unreflektierte“ Darstellung vorwirft. Unterzeichnet haben ihn rund 160 Personen aus Namibia und Deutschland; sie fordern eine Überarbeitung der Doku. Unter den Unterzeichnern finden sich der ehemalige deutsche Botschafter in Namibia, Christian M. Schlaga, ehemalige Mitglieder der Nationalversammlung Namibias, verdiente Kolonialhistoriker:innen wie Ulrich van der Heyden und Wolfram Hartmann sowie zahlreiche Vertreter:innen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia.
Der Großteil von ihnen gehört zu den rund 20.000 deutschsprachigen Namibier:innen. Dass Vertreter:innen dieser Minderheit in der NDR-Doku pauschal als „Deutsche“ bezeichnet werden, obgleich sie mehrheitlich in Namibia geboren und aufgewachsen sind, ignoriert ebenjene lange Geschichte deutscher Einwanderung, die der Film zu thematisieren vorgibt.
Ungereimtheiten in dem Film
Man mag das als Flapsigkeit abtun, die in einer Reihe steht mit der Frage nach dem angeblich fehlenden Denkmal für die getöteten Ovaherero und Nama. Das jedoch befindet sich vor der Alten Feste in Windhoek und dürfte dem Filmteam kaum entgangen sein. Es sind solche Ungereimtheiten, auf die sich der Beschwerdebrief stützt.
Man muss nicht jedem Punkt des Briefes zustimmen. So wird das Scheitern der Verhandlungen zwischen Namibia und Deutschland zum Umgang mit dem Völkermord allein der namibischen Regierung zugeschrieben. Dies jedoch ignoriert die berechtigten Forderungen der betroffenen Bevölkerungsgruppen, an den Verhandlungen beteiligt zu werden, während Deutschland stets betont hat, nur auf Regierungsebene zu verhandeln.
Zwar erkennen die Verfasser:innen des Briefes die von den Deutschen begangenen Verbrechen an, konnten sich aber offenbar nicht dazu durchringen, den Völkermord als solchen zu benennen. Etwa die Hälfte der Ovaherero und Nama wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts ermordet.
Der Bischof wollte sich äußern
Schwer wiegt dennoch der Vorwurf, die Doku würde falsche Behauptungen aufstellen. Im Film heißt es, von der deutschsprachigen Kirche hätte sich niemand äußern wollen. Dem widerspricht Burgert Brand, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia. Am 27. April habe er mit Regisseurin Silvia Palmigiano ein zweistündiges Gespräch über die historische Rolle der Kirche geführt und sich bereit erklärt, dies auch vor der Kamera zu tun.
„Wir leben in diesem Land, wir verantworten, was in diesem Land passiert, und haben Rede und Antwort zu stehen“, sagt Brand der taz am Telefon und spricht von einer „rufschädigenden Behauptung“. Seine Kirche befasse sich seit 2004 mit dem historischen Verhältnis von Kirche und Kolonisierung.
Auf Nachfrage der taz erklärt der NDR, Palmigiano habe mehrmals erfolglos versucht, Bischof Brand zu erreichen, und deshalb davon ausgehen müssen, dass er zu einem weiteren Gespräch nicht bereit sei. Dass die Doku korrigiert wird, will der Sender nicht ausschließen und betont, dass der Film dezidiert auf ein jüngeres Publikum abziele. Hieraus ergebe sich die prominente Rolle Aminata Bellis als Presenter und ebenso die Auswahl der Gesprächspartner:innen.
Das koloniale Missverständnis
So wie Naita Hishoono. Sie ist eine Sympathieträgerin des Films und wird von Belli mehrfach interviewt. Hishoono leitet das Namibia Institute for Democracy und ist eine der wenigen, die in der Doku konkret über die Folgen der Kolonialzeit sprechen. Aber sie wolle sich nicht instrumentalisieren lassen, sagt Hishoono am Telefon. „Es gab Momente, in denen mir die Fragen das Gefühl gaben, dass ich wütend und aufgebracht reagieren soll.“
Sie lege Wert auf eine sachliche Diskussion und verweist auf die Politik der nationalen Versöhnung, der sich Namibia seit seiner Unabhängigkeit 1990 verschrieben hat. Dennoch sei sie froh über jeden Beitrag, der die Kolonialzeit aufgreift, denn noch immer werde darüber in Namibia kaum gesprochen.
Dass die Doku dazu beiträgt, ein Gespräch zu eröffnen, darf bezweifelt werden. Meilenweit bleibt sie etwa hinter Jean-Marie Tenos Dokumentation „Das koloniale Missverständnis“ (2004) zurück. In der hatte der kamerunische Filmemacher sich bereits vor 20 Jahren des Themas angenommen. Teno besuchte das Archiv der Rheinischen Mission in Wuppertal, interviewte Historiker:innen und ließ Raum für die individuelle Positionierung deutscher Missionare.
Zugegeben, Tenos Film hat nicht den Pep der NDR-Produktion und mag in seiner Informationsdichte ein junges Publikum ohne Bezug zum Thema eher abschrecken. Nur wäre es falsch, Zugänglichkeit über Oberflächlichkeit zu erkaufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen