NDR-Comedy Serie „Jennifer“: Comedy vom flachen Land
Klaas Heufer-Umlauf hat drei neue Folgen „Jennifer – Sehnsucht nach was Besseres“ produziert und spielt auch selbst mit. Auch Olli Dittrich ist dabei.
Die Kunst von Olli Dittrich ist es, immer noch die Kurve zu kriegen. Seine Charaktere, in diesem Fall der Friseur Dietmar, wirken zunächst so überdreht, so plump, so stereotyp, so nervig, dass man sich nicht vorstellen kann, es länger als fünf Minuten mit diesen Abziehbildern auszuhalten. Dietmar ist affektiert, schwul, zickig – der tuntige Homo-Friseur halt. Doch Dittrich schafft es, den Figuren gerade noch so viel Würde zu verleihen, so viel Respekt entgegenzubringen, dass sie eben nicht wie der Kichergruft entstiegene Zombies wirken, sondern wie: Menschen. Halbwegs ernstzunehmende Menschen.
Und das trifft auf alle „Jennifer“-Charaktere zu: Die namensgebende Hauptprotagonistin (gespielt von Katrin Ingendoh), ihre beste Freundin Melanie (Laura Lo Zito), Jennifers Oma Margret (Doris Kunstmann) oder der von Klaas Heufer-Umlauf gespielte Ex-Reality-TV-Star und in den Friseurberuf zurückgekehrte Ingo – sie alle schrammen knapp am mit brennenden Kerzen und Glaskugeln behangenen Klischeeweihnachtsbaum vorbei. Aber eben nur knapp.
„Jennifer“, in der die ungelernte Fiseurgehilfin immer wieder nach Auswegen aus der Provinztristesse von Neu Wulmstorf sucht – in den drei neuen Episoden der dritten Staffel als Hundefriseurin, Songschreiberin und indem sie das Salonteam zu Regionalmeisterschaften treibt –, ist nicht der feine Diamantbohrer, mit dem die Zahnärztin versucht, möglich präzise die schimmeligen Stellen aus dem Gebiss zu entfernen, sondern der 14-Millimeter-Hammerbohrer für den Wanddurchbruch.
Als im Dezember in einem kleinen Berliner Kino die dritte Staffel gezeigt wird, kichern Klaas Heufer-Umlauf und Olli Dittrich bei jedem Witz. Vielleicht müssen sie das, weil es Teil der Werbestrategie ist, aber es wirkt eher, als würden sie tatsächlich gern an die Dreharbeiten zurückdenken. Dittrich ist seit Folge eins dabei, war zwischenzeitlich mal raus und kehrt nun zurück. Heufer-Umlauf stieg nach der ersten Staffel, die 2015 lief, ein. Weil er es unbedingt wollte, sagt er. Diese dritte Staffel hat er nun gar produziert, gemeinsam mit Regisseur Lars Jessen.
Der echte Norden
Und Jessen weiß, was er tut, wenn er die norddeutsche Provinz in Szene setzt. Jessen wuchs selbst in Schleswig-Holstein auf. In Dithmarschen, ziemlich weit im Norden, wo einen nur noch (das etwas schönere) Nordfriesland von Dänemark trennt. Jessen hat „Dorfpunks“ gedreht, die Mockumentary „Fraktus“, einen Kieler „Tatort“, „Jürgen – Heute wird gelebt“ (nach dem Roman von Heinz Strunck) und zuletzt „Wildes Herz“, die Doku über die Band Feine Sahne Fischfilet, produziert.
„Jennifer – Sehnsucht nach was Besseres“, Mittwoch, 2. Januar, und Donnerstag, 3. Januar, 22 Uhr, NDR.
Vieles spielt also im Norden, dem echten Norden. In diesen Provinzdörfern, die nicht die Küste, das Wasser, die Deiche, die Schafe, das idyllische Postkartenbild widerspiegeln, sondern in Orten wie Neu Wulmstorf, wo „Jennifer“ spielt. Orte mit gelb verklinkerten Häusern, in denen früher mal der Schmied wohnte oder die Post war oder der Spar-Laden. Aber Schmied und Post und Spar gibt es halt nicht mehr im Ort. Geblieben sind die gelben Häuser, vielleicht ein Nagelstudio oder ein Friseursalon und ein Penny neben einem Aldi im ortsnahen Industriegebiet. Und wenn Jessen bei der Premiere über „Jennifer“ spricht, klingt er auch nicht viel anders als seine ProtagonistInnen. Da kann er nichts für.
Auch die Autoren sind langjährige Beobachter der Provinz auf dem sehr platten Land: Andreas Altenburg und Harald Wehmeier schrieben schon gemeinsam die NDR-Radio-Comedy „Frühstück bei Stefanie“, und Wehmeier war vorher für das (deutlich lustigere) „Stenkelfeld“ verantwortlich, in der in Radioreportagen, -features und -liveberichten aus dem fiktiven Dorf Stenkelfeld berichtet wird: aus der Jürgen-Koppelin-Bildungsstätte, dem Claudia-Schiffer-Gymnasium oder der Martin-Luther-Kaserne.
„Jennifer“ ist allerdings – anders als das häufig sehr politische „Stenkelfeld“ – nicht die Serie mit der zweiten Ebene. Aber eine Comedyreihe mit dem Titel „Sehnsucht nach was Besseres“ lässt wohl auch nichts anderes erwarten. Manche Witze sind flacher als das Neu Wulmstorf umgebende Land. Dennoch schafft es auch die Serie als Gesamtwerk immer noch irgendwie, die Kurve zu kriegen und nicht ins Draufhauen auf die vermeintliche Unterschicht abzudriften.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen