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Mythos oder RealitätVerklären wir die Geburt?

Wir feiern an Weihnachten eine Geburt. Doch bis heute reden wir nicht darüber, was in diesen Stunden wirklich passiert.

Das soll ein Bild nach der Geburt sein? Wo ist das Blut? Der Schleim? Die Käseschmiere? Foto: dpa

Als die Hirten die Stalltür öffnen, schlägt ihnen der Geruch von Blut und Erbrochenem entgegen. Vorn senkt eine Kuh mit lautem Schnaufen ihren Kopf über ein Stück Fleisch, das im Mist liegt. Es ist dunkelrot mit einer daumendicken Ader daran. Die Nachgeburt.

In der Holzkrippe liegt ein verrunzeltes, rotes Bündel, kaum als Mensch zu erkennen. Ein winziger Hundertjähriger mit zugeschwollenen Augen, ein paar Halme Heu kleben an dem mit Käseschmiere, Schleim und Blut verschmierten Kopf. Er schläft.

Auch Josef ist vor Erschöpfung im Stroh eingeschlafen. Er hat sich neben dem Futtertrog zusammengekauert, sein Mund steht offen, das Hemd riecht nach Schweiß und Angst.

Maria kann nicht schlafen. Nicht nach dieser Nacht. Sie hat sich ein paar Meter von der Stelle weggeschleppt, an der das Fruchtwasser ins Stroh gesickert ist. Irgendwann gegen Abend musste sie sich in den Wehen übergeben. Später hat der Druck des Kindes den letzten Kot aus ihrem Darm herausgepresst. Sie merkte es nicht. Ihr Damm, das Stück Haut zwischen Vagina und After, wurde von Jesus‘ Kopf so sehr gedehnt, dass es am Ende einriss. Das Blut an ihren Beinen ist schon getrocknet, jetzt kommt langsam der Schmerz.

Nachttaz 24.12.

Nachts sind wir freier - und ehrlicher. Deshalb widmet die taz.am wochenende ihre Weihnachtsausgabe vom 24./25./26./27. Dezember 2015 der Dunkelheit und erzählt gute Nachtgeschichten. Wir treffen Sebastian Schipper, der den Nachtfilm des Jahres gedreht hat und sich wie ein Staubsaugervertreter fühlt. Wir sitzen nachts in einem Callcenter auf den Philippinen, wo Anrufe aus den USA ankommen. Und: Unsere Autorin schreibt über die schlimmste Nacht ihres Lebens - die Geburt ihrer Tochter. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Der kleine Kopf sieht so verloren in der Krippe aus. In ihr drin fühlte er sich an wie eine mit Chili eingeriebene Wassermelone, die sie heraus kacken musste. Jesus.

Sie ist unendlich erschöpft

Es fällt ihr immer noch schwer diesem Kind in Gedanken einen Namen zu geben. Es soll nun plötzlich ein ganzer Mensch sein? Wie kann irgendjemand auf dieser Welt so etwas schaffen? Gerade war er noch in ihrem Bauch. Wie konnte er da nur herauskommen? Sie muss Gott sein. Sie ist unendlich erschöpft.

Und warum in Gottes Namen, geht jetzt schon wieder die Tür auf? Wer um Himmels Willen hat Besuch hereingelassen?

Maria versucht etwas zu sagen, aber die Schreie dieser Nacht haben sie heiser gemacht. Sie ist zu schwach zu protestieren, auszurasten. Diese verdammten Hirten, diese vermaledeiten Könige, diese verfluchten Engel zum Teufel zu schicken.

Also lächelt sie einfach.

Milliarden Menschen auf der Welt feiern an Weihnachten eine Geburt. Was sie allerdings dabei vor Augen haben, erinnert an das Bild, das Marc Zuckerberg und seine Frau Priscilla Chan mithilfe eines Profi-Fotografen von sich inszenieren ließen: Glückliche Blicke, die auf einem rosigen Säugling ruhen. Aber Eltern nach einer Geburt sehen anders aus.

In der taz.am wochenende schreibt Emilia Smechowski ihre persönliche Geschichte einer heiligen Nacht auf. Sie nennt sie die schlimmsten Stunden ihres Lebens.

„Noch heute, wenn ich den Kopf meiner Tochter betrachte, wenn ich über ihr Haar streiche und die Schädelknochen spüre, wird mir manchmal schlecht. Weil sich mein Körper an den Schmerz erinnert. Einen Schmerz, auf den ich nicht vorbereitet war“, beginnt sie.

Was dann kommt, ist keine Geschichte besonders seltener Komplikationen, sondern die einer Geburt, die quasi problemlos verlief. Aus Sicht der Mediziner.

Die Antworten: nebelig

Emilia Smechowski hatte einen Geburtsvorbereitungskurs besucht, war neugierig, was auf sie zukommt. Die Antworten blieben nebelig. Die Hebamme: Du schaffst das! Andere Frauen: Wenn du das Kind dann im Arm hältst! Und alle, die Autorin inklusive, waren sich einig: Für eine natürliche Geburt braucht man keine Schmerzmittel.

Dann kamen die Schmerzen. „Glaube, ich platze. Alles ist eins, ein großes Loch, das immer weiter gedehnt wird. Und noch weiter. Und noch weiter. Und ja: noch weiter.“

Heute, etwas mehr als ein Jahr später, schreibt Emilia Smechowski: „Die Geburt ist ein Gewaltakt. Was, wenn wir in Zukunft nicht mehr lächeln und beschwichtigen, wenn es um Geburtsschmerzen geht? Wenn wir aufklären, sagen, was ist?“

Es ist eine Gratwanderung: Viele Hebammen betonen, wie wichtig positive Geburtsberichte sind. Gerade um Frauen, die vor ihrer ersten Geburt stehen, nicht noch mehr Angst zu machen. Gerade in einer Gesellschaft, in der die Kaiserschnittrate immer weiter steigt, in der Geburt mehr und mehr Sache von Medizinern, Zusatzuntersuchungen und Risikofaktoren wird.

Negative Erlebnisse, so argumentieren Hebammen, sollten im geschützten Rahmen besprochen werden. Oder mit einer Traumatherapeutin.

Aber gehören nicht bei so einem individuellen Thema viele unterschiedliche Erfahrungsberichte nebeneinander? Slogans wie: „Dein positives Geburtserlebnis bestimmst du selbst“ können Kraft geben. Bauen aber auch Druck auf. Hat eine Frau, die ihre Geburt nicht als pures Glück beschreiben kann, etwas falsch gemacht?

Was meinen Sie?

Verklären wir die Geburt? Bringen Geschichten wie die von Emilia Smechowski noch mehr Frauen dazu, die Geburt lieber gleich dem Chirurgen zu überlassen? Oder führen sie gerade dazu, die Geburt zurückzuholen aus der Welt von Himmel und Hölle – ins normale Leben?

Diskutieren Sie mit!

Die ganze Geschichte „Es ist ein Ziegelstein“ lesen Sie in der Weihnachtsausgabe der taz.am wochenende vom 24./25./26. und 27. Dezember.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Zunächst: An Weihnachten wird nicht eine Geburt gefeiert, sondern die Wintersonnenwende. Alles andere ist Märchenquatsch.

     

    Zur natürlichen Geburt: Wir haben verlernt, unsere Körper zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Die moderne Zivilisation, die für jedes Weh ein Pülverchen hat, hat es überflüssig gemacht, sich mit dem eigenen Körper zu beschäftigen. Unaushaltbare Schmerzen bei der Geburt sind nicht natürlich, sondern ein Zivilisationseffekt.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Warum die Kerle immer die Frauen erklären müssen? Obsession, Komplexe, Herrschaftsanspruch, Angst, Empathie? Eine logische Antwort ist in meinem Gehirn nicht angelegt. Aber die Logik haben wir ja eh nicht erfunden, sondern die Männer die wissen wie 'Frau' geht. Kinder sind da und ich muss in die Küche. Was sonst?

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Was ist das denn bitte für eine dumme Aussage?

      Weder wissen Sie, wie sich eine Geburt vor 100 Jahren angefühlt hat, noch wissen Sie, wie sich eine Geburt heute anfühlt und erfahren werden Sie es wahrscheinlich auch nie. Da lässt sich als Mann so ein "Stellt euch nicht so an!" ja schnell und einfach mal raushauen.

  • Nur weil gerade mal Weihnachten im Kalender steht, und das von vielen auch ein große Rolle soielt, wird das zweifelsohne spannende Thema so aufgemacht? Zur Geburt Jesu gibt es keinen einzigen überlieferten Augenzeugen. Die Evangelien wurden Jahrhunderte später geschrieben und mit vielen Fantasien versehen. Der Stall- und Krippenkult entstand so erst vor 200 Jahren. Damit sollte die 'heilige Familie' als allgemein gültige, und ausschließlich männliche Herrschaftsidee, für immer zementiert werden. Verklärung ist ja weder unbewiesen, da historisch, noch im tatasächlich erlebten weiterführend, macht aber nichts. Wer es im Nachherein tut, soll das auch dürfen. Es tut ja, glaube ich zumindest, keinem weh, das Glück nachträglich zu entfalten. Bei der Geburt unserer Tochter war ich so sehr mit der 'Arbeit' und dem Geschehen beschäftigt, dass da weder 'Glück', was immer das sein mag, noch andere Gefühle abgingen. Es war eine Dimension von Anstrengung und Schmerzen, die so noch nicht erlebt wurden. Das war alles. Die Erschöpfung nach ambulanter Geburt und das gesunde Kind im Wäschekorb auf der Rücksitzbank (vor 35 Jahren war das so) und das 'Schweben' nach Hause, das waren die Glücksgefühle des Einsseins der kleinen Familie.

    • @Frau Jenny:

      Sorry für meine Tippfehler oben. War beim Backen.

      • @Frau Jenny:

        ;)

        Egal - ansonsten doch alles

        Gebacken gekriegt!

        So - können die Tage doch

        Prima länger werden.

        (mal so aus der Lamäng -

        Als - Zaungast;)