Mutter über Mütter: Diktatoren und Kampfhunde
Menschen mit Kindern nerven nicht nur. Sie leiden auch: unter meckernden Omas, vollen Fahrstühlen und unter dem Druck der eigenen Spezies.
Rücksichtslose, Kinderwagen schiebende Nachtwesen. Eltern sind Menschen, denen man es nie recht machen kann und die immer noch mehr verlangen. Dabei nervt kaum etwas mehr als ein schreiendes Baby in der Schlange an der Kasse oder das aufgeregte „Dutzidutzidu“ einer Mittdreißigerin im Berufsverkehr. Doch wer etwas sagt oder die Augen verdreht, wird umgehend mit Blicken getötet.
Und auch ich finde manchmal: Dummheit und Intoleranz sind da noch die schwächste Form der möglichen Beschimpfungen. Bei so wenig Nächstenliebe gegenüber Müttern wie mir wünsche ich mir manchmal klarere gesellschaftliche Normen, die uns alle besser miteinander umgehen lassen. In dunklen Momenten, wenn niemand mir Platz gibt, wünsche ich mir gar die Diktatur der Eltern.
Es ist früh, ich habe es eilig. Rasend nähern mein Kinderwagen und ich uns dem Aufzug. Tür schließt, ich draußen, drinnen zehn Menschen, die eindeutig auch laufen könnten. Bevor sie hinabsinken, werfe ich jedem Einzelnen von ihnen noch meinen gefürchteten Todesblick zu. Schmoren sollt ihr in der Hölle. Eine Frau mit türkis getuschten Lidern blickt mich erschrocken an. So weit ist es gekommen: Menschen haben Angst vor Eltern. Vor allem vor solchen im öffentlichen Raum.
Ich verstehe die Gefühle den gemeinen Eltern gegenüber. Unsympathisch bis bemitleidenswert sind sie. Meistens wissen wir ja selbst nicht, wer oder was oder wie wir sein möchten. Auf der einen Seite der Skala befinden sich die dogmatischen Super-Eltern, die ihre in Nachfolgemenschen verwandelte DNA als einen Schatz betrachten, den zu würdigen der Rest der nichtsnutzigen Menschheit nicht in der Lage ist. Tausend Euro für einen recycelbaren Kinderwagen sind bei ihnen keine Investition, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Auf der anderen Seite tummelt sich die Gattung der MmKs – Menschen mit Kindern. Das sind Erwachsene, die aus unerfindlichen Gründen kleine Menschen bei sich führen, die leider auch Raum und Verständnis in Anspruch nehmen. Dazwischen befinden sich viele seltsame Mischformen, die irgendwie versuchen, weder in die eine noch in die andere Schublade zu passen.
Keine Zeit zum Coolsein
Dabei rutschen sie aber, so wie ich, ständig hin und her. Mal erwarte ich größten Respekt und bloß keine Widerrede. Ein anderes Mal möchte ich einfach nur zur großen Gruppe der Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs gehören. Ich verbringe so viel Zeit mit dem Gefühl, mich einordnen zu müssen, dass mir keine Zeit zum Coolsein bleibt.
Die blaugeschminkte Dame aus dem Lift tut mir umgehend leid. Ich könnte ja auch einfach geduldig auf den blöden Fahrstuhl warten. Die Minute macht den ohnehin schon großen Zu-spät-komm-Kohl nun auch nicht mehr fett. Ich rege mich aber darüber auf, dass dieser Lift eigentlich für Menschen wie mich gemacht ist. Und für Rollstuhlfahrer. Nicht für faule, kerngesunde Alleinstehende ohne Gepäck. In deren Augen sind Eltern doch nur diejenigen, die schubsen, drängeln und Platz wegnehmen. Die haben doch keinen Respekt vor mir. Aus der Reue ist umgehend wieder Wut geworden.
Hanna Maier hat eine Tochter und eine Mutter. Zusammen mit Letzterer, Anja Maier, hat sie ein Buch über die Erstere geschrieben: „Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam“ (Piper). Am 25.3. lesen die beiden um 19 Uhr im taz Cafe in Berlin.
Und wozu führt diese Unsicherheit mit der eigenen Rolle? Dass ich manchmal selbst Angst vor anderen Eltern habe, also vor meiner eigenen Spezies. Ich fühle mich von anderen Kindsbehütern beobachtet, bewertet und abgemahnt. Obwohl ich doch faktisch zu ihnen gehöre.
Schippe auf Po
Ich spüre die Blicke, die amüsiert auf meiner dreckigen Hose und den wirren Haaren ruhen. Ich nehme wahr, dass Eltern sich scheuen, ihre Kinder zu schimpfen, weil die mit der Schippe auf meinen Po eindreschen: „Das macht der immer so. Ist ja noch ein Kind.“ Ich wiederum habe Scheu, mit meiner Tochter und anderen Kindern zusammen zu spielen. Die Befürchtung, deren Eltern könnten mein unausgeklügeltes Spielkonzept, das ich „Labern“ nenne, als pädagogisch wertlos verurteilen, ist zu groß.
Als ich an dem Tag des vollen Fahrstuhls dann doch noch vom Bahnsteig runterkomme, gesellt sich eine andere Kinderwagenfrau mit selbst gestrickter, bunter Bommelmütze, Getränkehalter und Ökofußsack fürs Kind zu mir. Alles sieht lustig aus, als wäre sie die beste Freundin ihres Kindes. Ich weiß aber, dass sie hart dafür arbeitet, möglichst entspannt auszusehen. Eindeutig befindet sie sich näher als ich am Skalenende der Hyper-Eltern.
Sie will sich mit mir solidarisieren und sagt halbherzig mit Münchner Näseldialekt: „Die Leute sind überhaupt nicht umsichtig. Keiner hilft uns. Schlimm ist das.“ Ich muss mich kurz wegdrehen, um für mich die Augen aufzureißen. Vielleicht wird es tatsächlich immer schlimmer, dann aber weil Frauen wie diese Dame einfach zum Fürchten sind. Hätte ich keine Kinder, würde ich auch machen, dass ich von Furien wie der wegkomme. Weil ich sie nicht beleidigen will, schweige ich ein Loch in den Fahrstuhl. Ich fühle mich in diesem kleinen auf und ab gleitenden Glasgehege ein bisschen wie im Zoo.
Spielplatz-Challenge
Kinderlosen, die sich an Sonntagen langweilen, rate ich oft, doch mal beim Spielplatz vorbeizuschauen. Da ist es nämlich ein bisschen wie im Affengehege. Ein großes Behüten, Verteidigen und Auffallen durch Geschrei. Wo auch sonst, es gibt ja kaum soziale Rückzugsorte, wo wir Eltern einfach mal so sein können, wie wir sind. Hinter den Kampfhund-Abwehrzäunen haben Eltern endlich die Gelegenheit, soziale Verhaltensmuster auf niedrigstem Niveau zu reproduzieren.
Ein Beispiel: Wenn Eltern eine Stunde lang mit mir zusammen in der Kälte gestanden haben, jedes Rutschen kommentiert und auf Knien nassfeuchten Sand in Förmchen gesteckt haben, entwickelt sich eine Art wortlose Challenge: Wer zuerst nach Hause geht, hat verloren.
An dem Wochenende vor der Fahrstuhlfahrt nahm ich an einem Dreiercontest teil – eine Mutter, ein Vater und ich schubsten fröstelnd die Schaukeln an. Endlich blies die andere zum Abmarsch, nur noch der Vater und ich kämpften unerbittlich um den Titel „Bester Elternteil des Abends“. Das Kind der Gehenden schien geradezu erleichtert und fragte mit bläulichen Lippen: „Ja, ich will nach Hause. Krieg ich dann meinen Rapunzel Schlaftee?“ Statt einfach zuzustimmen, säuselt die perfekt geschminkte Mutter mit inszenierten Schmolllippen: „Aber ich dachte, wir malen noch mit Fingerfarben.“
Ich musste eine Runde mit Anschubsen aussetzen, mich wegdrehen und für mich die Augen aufreißen. Damit hatte sie die Challenge eindeutig gewonnen. Einen Teufel würde ich tun, mich jetzt noch mit meiner Tochter zu Hause hinzusetzen, um ihre Feinmotorik zu trainieren, indem ich mit Küchenpapier alle zwei Sekunden die Kolorierung unseres Wohnzimmers zu verhindern suche.
Schlechtes Gewissen? Ja
Als sich hinter Super-Mom endlich das winzige Schwingtürchen des Spielplatzzauns schloss, schlichen der Vater und ich, die beiden Superversager, umgehend nach Hause. Kind noch schnell waschen, wickeln, ab ins Bett und mit einem Glas Wein raussetzen, vielleicht noch eine rauchen. Genau so würde mein Abend aussehen. Und ich freute mich darauf. Schlechtes Gewissen? Ja. Wie so oft fühlte ich mich beobachtet, in dem, was ich tue und wie ich es tue.
Als die Fahrstuhltür sich schließlich öffnet und die andere Mutter und ich endlich auf der Straße angekommen sind, frage ich sie, was sie von einer Diktatur der Eltern halten würde. Ihre großen Kulleraugen starren mich erschrocken an, ich muss mich wohl erklären.
„Oft träume ich von einem System, in dem meine Rolle als Mutter klar definiert ist“, beginne ich. „Ich will nicht mehr zweifeln. Ich will die Diktatur der Eltern. In der Diktatur der Eltern gibt es nämlich eigene Gehwegabschnitte für Kinderwagen. In der Diktatur der Eltern gibt es weder Barrieren noch meckernde Omas noch Regenwetter. In der Diktatur der Eltern ist es ganz einfach, abends um sechs auch mal mitten im Supermarkt stehen zu bleiben, weil das Kind gerade rumheult. Niemand wird die Augen verdrehen, genervt mit der Zunge schnalzen oder sich gerade noch an einem vorbeiquetschen. Die Sterneköche werden ungewürztes Tatar für die kleinen Gäste anbieten, und Gefahren wie Autos, Hunde oder heiße Herdplatten werden einfach abgeschafft.“
Während am Ende meines Plädoyers die Autos für uns am Zebrastreifen halten, überlegt sie kurz. Sie wägt ab, sagt dann aber entschlossen: „Es ist doch bereits so. Die Welt wird immer kinderfreundlicher. Du verlangst nur noch mehr, als es ohnehin schon gibt, und deshalb bist du unzufrieden.“ Sofort ist sie mir wieder unsympathisch. Ich soll unzufrieden sein – dass ich nicht lache! Ich blicke zu den immer noch wartenden Autos, nicke ihnen dankend zu, denke aber bei mir: „Möchte ja wohl sein!“
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