Muslimischer Schüler als Terrorist hingestellt: Yasins zu wachsame Lehrerin
Wegen einer Ethik-Klausur unter Terrorismusverdacht. Und das ist nicht alles: Statt die Schulleitung zu kontaktieren, meldete die Lehrerin den Schüler gleich mal bei der Polizei.
GARBSEN taz | Wachsam zu sein gegenüber muslimischen Mitbürgern, das empfehlen Innenpolitiker immer wieder, nicht erst, seit in Deutschland Terrorwarnungen ergehen. Wozu dieses Klima führen kann, hat ein türkischstämmiger Oberstufenschüler aus dem niedersächsischen Garbsen erfahren müssen. Im Sommer 2008 bereits hatte eine Lehrerin ihn anonym der Polizei gemeldet: Er sei Mitglied einer islamistisch-terroristischen Vereinigung.
Einziger Anhaltspunkt war eine Klausur, die er in ihrem Unterricht geschrieben hatte. Nach einer zweimonatigen Überprüfung stellte der Staatsschutz aber fest: Nichts dran an dem Vorwurf, der Schüler völlig harmlos. Erst jetzt wandte der inzwischen 21-Jährige sich an die Öffentlichkeit.
Die Schule hat Yasin Celik mittlerweile geschmissen. In den vergangenen zwei Jahren schlug er sich als Lagerarbeiter durch, seit Anfang 2011 ist er arbeitslos. Kurz vor seinem Abitur hat er die Integrierte Gesamtschule (IGS) Garbsen verlassen: Nach Bekanntwerden des Vorfalls sei er auf dem Schulhof als "Osama bin Laden" und "Terrorist" beschimpft worden.
Der katholische Theologe ist Initiator des Projekts.
Sein Ziel war es nicht, eine Einheitsreligion zu schaffen, sondern verbindende Normen und Werte zu formulieren.
Wichtigste Gemeinsamkeit: Das Prinzip der Goldenen Regel, das Gewaltlosigkeit und Toleranz untereinander propagiert.
Im Sommer 1993 trafen sich in Chicago Vertreter verschiedener Religionen, um ein gemeinsames Regelwerk zusammenzustellen.
In der "Erklärung zum Weltethos" einigten sie sich auf vier Weisungen: Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen und nicht Unzucht treiben.
Kritiker, unter anderen der Philosoph Robert Spaemann, behaupten, das Projekt entspränge zu stark westlichen Denkweisen und berücksichtige weder Atheisten noch Agnostiker.
Vorangetrieben wird das Projekt als "Stiftung Weltethos".
"Ich war psychisch am Ende, die Lehrerin hat mir meine Zukunft verbaut" - davon ist Celik überzeugt. Am liebsten würde er sein Abitur nachholen und dann studieren, aber mit dem schlechten Zeugnis, das er damals hatte, will ihn keine Schule mehr. Auch ein Ausbildungsplatz ist nicht in Sicht.
Celik ist Moslem, aber damals, vor zwei Jahren, war der Gang in die Moschee für ihn eher die Ausnahme. "Ich habe zu der Zeit noch nicht mal richtig praktiziert", erzählt er. Lieber ging er auf Partys oder ins Sportwettbüro. Wie die Lehrerin zu ihrem Verdacht kam, kann er sich nicht erklären: "Ich verachte Terrorismus in jeglicher Form und dass Unschuldige dabei zum Opfer werden."
Die Klausur, die alles ins Rollen brachte, hatte Hans Küngs "Weltethos" zum Thema. Die Menschen könnten das von Küng entwickelte Regelwerk nicht annehmen, schrieb Celik, weil sie bisher "zu frei gelebt" hätten. "Das Weltethos ist zu spät bei den Menschen angekommen", heißt es weiter. Man könne doch von Christen nicht verlangen, die islamischen Werte anzunehmen.
Diese Passagen schienen der Lehrerin zu genügen, ihren Verdacht zu formulieren. Zu einer Stellungnahme war sie bisher nicht bereit. Laut der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zufolge hat die Lehrerin selbst ein Buch über das Weltethos geschrieben - mit einem Vorwort von Hans Küng. Für seinen Aufsatz gab sie Yasin Celik damals eine 5.
Dass seine Lehrerin ihn angeschwärzt hatte, erfuhr Celik zwei Monate später von der Polizei. Observiert hatte die ihn aber gar nicht: "Wir sind lediglich dem anonymen Hinweis nachgegangen und haben die Sache fallen lassen, weil sie unbegründet war", sagt der Sprecher der Polizei Hannover, Thorsten Schiewe. Die Beamten erzählten Celik von den Vorwürfen, er brachte seine Lehrerin als mögliche Urheberin ins Spiel. Gegenüber der Polizei gab sie dann zu, ihren Schüler anonym denunziert zu haben.
Celik erstattete Strafanzeige wegen Verleumdung. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen nach sechs Monaten ein: Es mangele an einem hinreichenden Tatverdacht, die Lehrerin sei von einer ernsthaften Bedrohung ausgegangen.
An der IGS Garbsen, die mit dem Spruch "Verschieden sein, gemeinsam lernen" für sich wirbt, zeigt man sich entsetzt. Der Schulleiter Günther Herweg rügt die Aktion der Lehrerin als "nicht gerechtfertigt". Auch er hatte von dem Vorfall erst von der Polizei erfahren und ihn dann der Landesschulbehörde übergeben.
Laut deren Sprecher Christian Zachlod wurde im September 2009 ein Disziplinarverfahren gegen die Lehrerin eingeleitet. "Dem Ergebnis des noch laufenden Verfahrens können wir aber nicht vorgreifen", sagt er. Derzeit unterrichtet die Lehrerin weiter an der Schule Ethik und Mathematik.
Die Opposition im niedersächsischen Landtag kritisiert den Vorfall lautstark, allen voran Filiz Polat. Die migrationspolitische Sprecherin der Grünen sagt: "Die Stigmatisierung muslimischer Bürger als potenzielle Terroristen ist wohl auch bei Lehrkräften angekommen." Die Grünen sind jetzt dabei, eine Anfrage an die Landesregierung und das Kultusministerium zu formulieren.
Sie wollen unter anderem wissen, inwiefern Lehrer geschult werden, deren Schüler unterschiedlichen Konfessionen angehören. Auch aus SPD und Linkspartei wird Kritik laut. "Innenminister Schünemanns Denunziations- und Bespitzelungskampagne gegen junge Muslime zeigt offensichtlich Wirkung", sagt Pia Zimmermann, innenpolitische Sprecherin der Linken.
Dass seine Lehrerin wachsam war, ist nicht, was Yasin Celik stört. "Ich sage doch nichts dazu, dass sie reagiert hat", sagt Celik. "Nur, wie sie es getan hat." Sie hätte einfach nur mit ihm reden sollen. Oder mit dem Schulleiter. Oder mit den Eltern. Entschuldigt hat sie sich bei Yasin Celik bis heute nicht.
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