Muslimische Jugendliche in Deutschland: Vom Straßenlärm übertönt
Seit dem Gazakrieg wird über Antisemitismus diskutiert. Muslimische Jugendliche klagen, dabei werde viel über sie, aber wenig mit ihnen geredet.
BERLIN taz | Faten El-Dabbas ist als Tochter palästinensischer Flüchtlinge in Berlin aufgewachsen, in Potsdam studiert sie Politikwissenschaften. Seit zwei Jahren macht die zierliche, schüchtern wirkende junge Frau außerdem beim muslimischen Poetry-Slam-Format i,Slam mit. Anfang Juli, als der Krieg in Gaza begann, organisierte sie mit ihren Slam-Kollegen auf dem Berliner Alexanderplatz ein öffentliches Poetry Slam, bei dem sie ein Gedicht mit dem Titel „Wir Palästinenser sind Menschen“ vortrug.
Im Internet findet sich eine Aufnahme. „Seit über 65 Jahren versuche ich dich, Deutschland, zu wecken. Doch du stellst eher Fragen, ob ich zu dir gehöre oder nicht“, deklamiert die 24-jährige da, mit einem Palästinensertuch um den Hals, vor rund hundert Zuhörern, während ihre Stimme gegen den Straßenlärm ankämpft: „Ob ich Muslim wäre oder ein versteckter Terrorist, ob ich Deutsche sein darf oder für immer ein Ausländer, nur weil meine Eltern aus Ländern kamen, die du nicht kennst.“
Seit dem jüngsten Gazakrieg wird in Deutschland über Antisemitismus debattiert. Dabei geht es vor allem um Jugendliche mit arabischem oder türkischem Background, die sich mit den Palästinensern solidarisieren. Viele von ihnen weisen den Vorwurf des Antisemitismus jedoch von sich – und klagen, dass zwar viel über sie, aber wenig mit ihnen gesprochen werde.
Auch Faten El-Dabbas hat im Sommer an Demonstrationen gegen den Gazakrieg teilgenommen. Wie in den Medien darüber berichtet wurde, macht sie wütend. „Es ist, als würde man uns als eine Masse von Menschen wahrnehmen, die nicht im 21. Jahrhundert lebt, nie die Schule besucht hat und nichts von der deutschen Geschichte weiß“, ärgert sie sich. „Da fühle ich mich einfach nur blöd.“
Sie könne sehr gut zwischen israelischer Politik und Judentum unterscheiden, stellt sie klar. Zwar habe es bei einigen dieser Kundgebungen auch judenfeindliche Parolen gegeben, räumt sie ein, aber die seien klar in der Minderheit gewesen. Die meisten Medien hätten sich jedoch allein auf diese Ausfälle gestürzt.
Nicht gehört werden
Schon an der Schule habe sie das Gefühl gehabt, nicht gehört zu werden. Vom Leid der Juden während der Nazizeit habe sie dort das erste Mal gehört. Das habe sie sehr berührt – und Fragen aufgeworfen: „Wie kann man das Leid der Palästinenser in Kauf nehmen, wenn man selbst einmal so großes Leid erfahren hat?“ Doch ihre Versuche, auch ihre eigene Familiengeschichte in den Unterricht einzubringen, hätten nicht nicht weit geführt, sagt sie: Was nach 1945 kam, wurde in der Schule nicht besprochen. Und wenn es um aktuelle Konflikte wie in Gaza ging, sei das dortige Leid stets relativiert worden. Das habe sie frustriert.
Die Debatte über einen spezifisch muslimischen Antisemitismus habe sich in den letzten zehn Jahren zugespitzt, findet die 31-jährige Wissenschaftlerin Anna Esther Younes. Antisemitismus würde dabei immer mehr als ein rein muslimisches Problem beschrieben. Das füge sich „zum Bild des nicht integrierbaren Muslims, der zudem als sexistisch, homophob und kriminell markiert wird.“ Das ginge so weit, dass die Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft daran geknüpft werde, sich von diesem Zerrbild zu distanzieren. Im Einbürgerungstest Hessens etwa bezögen sich gleich mehrere Fragen darauf, ob der Holocaust und das Existenzrecht Israels anerkannt werden.
Anna Younes ist als Tochter eines Palästinensers im Osten Berlins aufgewachsen. Beim Treffen in einem Café in Berlin-Kreuzberg krault sie ihren Hund Toni, der sie überallhin begleitet. Sie promoviert an der Universität Genf über Rassismus und Antisemitismus in Deutschland, die US-amerikanische Philosophin Judith Butler unterstützt sie.
Kriminalisierung für Parteinahme
In der deutschen Erinnerungskultur werde die deutsche Zeit zwischen 1933 und 1945 als Zivilisationsbruch und Ausnahme von der Regel gesehen, sagt Younes. Darum sei es verpönt, zwischen dem Rassismus der Nazizeit, dem Kolonialrassismus, der ihm vorausging, und dem strukturellem Rassismus von heute Verbindungen zu ziehen. Und darum sei es in Deutschland beinahe unmöglich, am Kampf der Palästinenser gegen die israelische Besatzung deren antikoloniale und antirassistische Anteile zu sehen. Ein Grund, warum sich hierzulande fast nur Einwanderer aus muslimischen Ländern offen mit den Palästinensern solidarisieren würden.
Der Rapper Kaveh ist seit gut 15 Jahren in der politischen HipHop-Szene Berlins aktiv und arbeitet in der Jugendbildung. Antijüdische Ressentiments bei Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund führt er auch auf deren eigene Ausgrenzungserfahrungen zurück, ein ideologisch gefestigter Antisemitismus sei das meist nicht. „Sie können durch Bildungsarbeit leicht ausgehebelt werden“, ist er deshalb überzeugt. „Und das ist, was ich zu tun versuche.“ Viele dieser Jugendlichen fühlten sich unverstanden. Auf sie würde in der Schule zu selten eingegangen, oder es werde einseitig für Israel Partei ergriffen. „Dann suchen sie sich eben andere Plattformen. Das kann dann in eine Art Radikalisierung oder Parallelgesellschaften führen. Eine Entwicklung, die vermeidbar wäre.“
Wie schnell man für seine Parteinahme für Palästina kriminalisiert werden kann, hat der im Iran geborene Rapper kürzlich selbst erlebt. Nach einem Auftritt bei einer Demonstration nahm die Polizei seine Personalien auf, weil er in einem seiner Songs von einem „Genozid in Gaza“ gesprochen hatte. Das wurde ihm als Volksverhetzung ausgelegt, später zog die Polizei diese Anschuldigung zurück.
Kaveh lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. „Sogar die Polizei ist verunsichert“, glaubt er. Auch weil ihr vorgeworfen wurde, nicht hart genug gegen antisemitische Parolen vorgegangen zu sein, habe sie hier überreagiert.
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