Musikfestival in Duisburg: Body Music im Kirchenschiff

In Duisburg sind die Möglichkeiten der Musikszene ziemlich ausgedünnt. Nun fand dort das Avantgarde-Festival „Wildwechsel“ statt.

Auf einer bunt beleuchteten Bühne spielen zwei Musiker.

Zuschauermagnet: das Wildwechsel-Festival 2024 Foto: Dennis Hoeren

In Duisburg wirkt alles etwas zu groß. Am frühen Freitagabend hat man die opulente Breite der Fußgängerzone für sich, die vielen Dutzend Plätze im Café des City Palais bleiben unbesetzt. Auch die Liebfrauenkirche gegenüber wirkt etwas überdimensioniert. Vielleicht liegt es an den meterhohen Plexiglasfenstern, die das Kirchenschiff aus Beton rahmen.

Anfang der Sechziger wurde sie gebaut, die Städte im Ruhrgebiet wuchsen damals noch, ebenso die Kirchengemeinden. Kurz nach der Jahrtausendwende war die Zahl der Mitglieder dann so stark gesunken, dass das Bistum die Kirche aufgeben wollte. Eine Stiftung aus Duisburger Bür­ge­r:in­nen sprang ein, und seitdem wird die Kirche für Kultur genutzt – so wie am Wochenende für das Avantgarde-Musikfestival „Wildwechsel“.

Am Freitagabend füllt nun Mabe Fratti das Kirchenschiff mit ihrer Musik. Die guatemaltekische Cellistin streicht über ihr Instrument, verdoppelt und verdreifacht es mithilfe eines Loop-Pedals und lässt darüber ihre Stimme schweben: abstrakt und emotional und immer mit der Sensibilität einer Avantgarde-Musikerin, die Gespür für die Bedeutung jedes einzelnen Klangs hat. Frattis Mitmusiker halten sich dezent zurück.

Sie wissen, dass eine zu laute Gitarre oder ein zu heftiger Schlag auf die Trommel das feine Klanggewebe zum Reißen bringen könnten. Die Gemeinde ist begeistert: Am Ende von Frattis Set erhebt sie sich und jubelt.

Ein Liebhaberfestival

„Wildwechsel ist ein Liebhaberfestival“, sagt René Schwenk. Mit etwa zehn anderen Menschen organisiert er ehrenamtlich das Festival, das dieses Jahr zum ersten Mal in dieser Form stattfindet. Seit 2013 existierte es als „Platzhirsch“ in Duisburgs einzigem Kneipenviertel am Dellplatz. Der Eintritt war frei, dafür bekamen Be­su­che­r:In­nen jeweils Postpunk, Jazz und elektronische Musik zu hören – ein Umsonst-und-draußen-Fest als Einführung in experimentelle­ Popkultur, finanziert mit dem Umsatz an den Getränkeständen.

Nun erhält das Wildwechsel-Festival zwar etwas Förderung, aber ohne Eintritt geht es nicht, erklärt Schwenk: „Für die freie Szene ist es in der Stadt schwierig“. In den 1980er und 90er Jahren hatte Duisburg mit der Fabrik und dem Eschhaus zwei soziokulturelle Zentren, an denen sich alle Subkulturen der Stadt versammeln konnten. In den nuller und zehner Jahren gab es das DJäzz, einen Kellerclub, der immer wieder mit wagemutigem Programm überraschte, aber die Coronapandemie nicht überlebte.

Heute gibt es für eine halbe Million Duis­bur­ge­r:in­nen nur noch ein einziges soziokulturelles Zentrum – es hat gerade erst eröffnet. Im benachbarten Mülheim/Ruhr hat sich dagegen in den letzten Jahren rund um das „Makroskop“ eine kleine Szene an Menschen gebildet, die Spaß an Klangexperimenten haben. Oberhausen bietet mit vier soziokulturellen Zentren eine Heimat für die Punk- und Hardcore-Szene.

Ein Publikum für experimentelle Musik gibt es trotzdem. Etwa 150 Menschen haben das Wildwechsel-Festival am Wochenende besucht. Im großen Kirchenschiff versuchten die Musiker:innen, ihnen mit schwebenden Drones das Gefühl der Transzendenz nahezubringen: Gitarrenwummern, sich auftürmende Querflötensounds, Bassgegniedel. Das Trio PLF versuchte es dagegen mit minimalistischem Krach. Der Kirchenraum ist am Samstagabend schwarz, bei den ersten Sounds wird er kurz durch ein Stroboskop erhellt.

Zeitreise ins New York der 1980er

Gitarrist Peter Kutin spielte sein Instrument durch einen Modularsynthesizer, der immer wieder Fragmente seines Spiels aufnahm und in vielfacher Ausführung verfremdet zurückschleuderte. Percussionist Lukas König entlockte einer Snaredrum und einem Becken mithilfe eines Effektgeräts eine Vielzahl unterschiedlicher metallischer Klänge. Und dazwischen war die Stimme der Lyrikerin und Vocal-Performerin Freya Edmondes.

Sie singt, ächzt, röchelt und kreischt durch ein Autotune-Gerät, das normalerweise dazu dient, Gesangsspuren auf Tonlage zu halten. Edmontes verwandelt es zu einem Instrument voller akustischer Schlieren und Schleier, mit denen sie die präzisen Krachmachermomente ihrer Kollegen mit einem psychedelischen Lallen garniert – so als wäre Transzendenz niemals ohne Albernheiten zu haben.

Eine Etage tiefer, im gedrängten Raum der Kapelle, findet dagegen die verspielte Seite des Wildwechselfestivals ihren Ausdruck. Die brasilianische Klangkünstlerin Carla Boregas etwa interpretierte ihren Auftritt als eine Art DJ-Set experimenteller Musik. Mithilfe eines Samplers und eines kleinen Synthesizers zitierte sie sich quer durch die Musikgeschichte von den schroffen Alltagsklängen der Musique Concrète über die verschwurbelten Arpeggios von Krautrock bis hin zum Ambient.

Die in Köln lebende Bassistin Farida Amadou widmete sich dagegen dem Bass. Mithilfe von Effekten lässt sie ihn schaben, scharren und türmt seine verzerrten Töne so intensiv auf, dass es wie eine Zeitreise ins New York der frühen 1980er klingt, als Schönheit und Krach kein Widerspruch waren.

Am Samstag hatte Toben Piel dagegen keine Lust auf Andächtigkeit. Unter seinem Pseudonym Das Kinn tanzt der kahlgeschorene Sänger um sein Synthesizer-Setup. Er shoutet Slogans in den Hallkörper der Kapelle, seine Synthesizer schleudern Sequenzen voll kosmischer Body Music ins tanzende Publikum. Er sagt: „Kirchen sind so groß, damit die Menschen sich so klein fühlen. Hab ich gehört.“ Seine Worte hallen nach, als ich in die Duisburger Nacht trete, die menschenleere Fußgängerzone vor mir.

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