Musikalische Begleitung von Stummfilmen: Wo Gag und Klang zusammenfallen

Seit 20 Jahren begleitet das Landesjugendorchester Bremen Stummfilme – diesen Sonnabend gibt es Buster Keatons „Der General“.

Wann knallt es wieder? Szene aus Bester Keatons Stummfilm „Der General“. Foto: Park Circus

BREMEN taz |Terry Jones von den Monty Pythons hat einmal auf den Punkt gebracht, warum die Komödien von Keaton so gut altern: „Bei andere Stummfilmen bleibt man sich immer dessen bewusst, dass man etwas aus einer längst vergangenen Zeit ansieht. Nur bei Keaton vergisst man dies schon nach wenigen Minuten völlig.“

Und bei „Der General“ von Buster Keaton knallt es oft. Da muss Stefan Geiger am Dirigentenpult ganz genau den Moment abpassen, an dem etwa der Perkussionist auf die Pauke haut oder das Orchester im Fortissimo einsetzt. Denn wenn Gag und Klang auseinanderfallen, merkt das jeder Zuschauer. Aber Geiger hat Routine in der Begleitung von Stummfilmen. Vor 20 Jahren hat er dies zum ersten Mal mit dem Landesjugendorchester Bremen in einer Vorführung im Kommunalkino der Stadt getan und es seither bei zwölf Stummfilmen in über 30 Veranstaltungen den Taktstock geschwungen.

Inzwischen gastiert er auch regelmäßig beim NDR Sinfonieorchester in Hamburg und begleitet mit ihm Filme wie „The Artist“ oder „Ben Hur“. Aber die Arbeit mit dem Landesjugendorchester, das er seit 1996 leitet und dirigiert, ist für Geiger etwas besonderes. Landesjugendorchester gibt es in jedem Bundesland. Durch Vorspielen werden die talentiertesten jungen MusikerInnen ausgewählt und dann besonders gefördert, sodass sie im Orchester, das in Bremen aus 65 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 20 Jahren besteht, auch große Sinfonien von Brahms, Mahler und Berlioz auf erstaunlich hohem Niveau spielen können. Oder eben Stummfilme von Buster Keaton begleiten.

Den hat Grieger während der Zusammenarbeit mit Karl-Heinz Schmid vom Kommunalkino kennen und schätzen gelernt. 2001 hat er „Der General“ zum ersten Mal mit dem Jugendorchester begleitet. Damals noch im eher kleinen Saal des Kino 46 im Medienzentrum Walle. Dort mussten die ersten drei Stuhlreihen ausgebaut werden, damit das Orchester überhaupt Platz vor der Leinwand hatte. 30 MusikerInnen spielten damals für 90 ZuschauerInnen, und das sechsmal nacheinander an einem Wochenende. Denn das Publikumsinteresse war groß – auch schon im ersten Jahr, als der eher unbekannte Scherenschnittfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von Lotte Reiniger aufgeführt wurde. Für die jungen MusikerInnen war das harte Arbeit, und den Film selber sahen sie dabei nie.

Nur ein Mädchen in der Bratschengruppe hat einmal bei einer Vorstellung einen Fahrrad­rückspiegel an ihrem Notenpult angebracht und fiel dann dadurch auf, dass sie als einzige im Orchester mitlachte.

Das ganze Orchester passte in das kleine Waller Kino gar nicht hinein und auch deshalb fanden die Stummfilmkonzerte ab dem Jahr 2002 meist in der Bremer Konzerthalle „Die Glocke“ statt. Aber dort gab es andere Schwierigkeiten, denn der Saal hat zwar eine gerühmte Akustik, ist aber für eine Filmvorführung denkbar schlecht geeignet. Damals wurden die Filme noch von 35-Millimeter-Kopien vorgeführt, also mit einem Projektor, auf dem die große Filmspule ratterte. Für diesen wurde extra im hinteren Parkett ein schallisolierter Holzkasten gebaut, in dem der geplagte Vorführer schweißnass arbeitete, denn es gab keine Kühlung.

In der Glocke wurden über die Jahre Stummfilmklassiker wie „Metropolis“, Chaplins „Goldrausch“ und der „Panzerkreuzer Potemkin“ aufgeführt. Nur als die Veranstalter sich trauten, mit „Der Mieter“ von Alfred Hitchcock einen eher unbekannten Stummfilm anzubieten, blieben ein paar Stuhlreihen leer. Als dann im Jahr 2011 zum ersten Mal das BLG-Forum in der Überseestadt bespielt wurde, setzte man mit „Metropolis“ wieder auf eine sichere Karte. Außerdem lieferte die ehemalige Industriehalle ein ideales Ambiente für diesen Film über einen Industriemoloch.

Wenn möglich, spielt das Orchester die in der Entstehungszeit für die Filme komponierte Musik.

Seit zwei Jahren finden die Filmvorführungen nun im Bremer Theater statt. Dort sind die Bedingungen perfekt: Es gibt einen Orchestergraben, eine Leinwand und einen Beamer, auf dem die Filme mit der gleichen digitalen Technik wie im Kino abgespielt werden können. Bei 790 Sitzplätzen und Eintrittspreisen zwischen 18 und 28 Euro reicht eine Vorstellung, damit es sich rechnet.

Wenn möglich, spielt das Orchester die in der Entstehungszeit für die Filme komponierte Musik, aber oft sind die Partituren verschollen. Keatons „Der General“ wurde etwa 1987 von dem US-amerikanischen Komponist Carl Davis vertont. Der Filmkomponist ist bekannter für seine Arbeiten an Stummfilmen als für seine eigenen Soundtracks für Filme wie „Die Geliebte des französischen Leutnants“oder „Scandal“. Bei „Der General“ zitiert er geschickt und mit Witz amerikanische Volkslieder und bekannte Märsche der Armeen der Nord- und Südstaaten.

Denn „Der General“ spielt in der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs. Buster Keaton ist darin ein Lokomotivführer und seine Lok „The General“ ist seine große Liebe. Als sie von Südstaatenrebellen gekapert und über die Front gefahren wird, folgt er ihr und erobert sie zurück. Dass er dabei eine wichtige Schlacht quasi im Alleingang gewinnt, interessiert ihn kaum. Es gibt im Film eine Szene, in der Kea­ton gedankenverloren auf der Pleuelstange der Lok sitzt, gar nicht bemerkt, dass sie anfährt und sich mit ihr für ein paar Sekunden auf und ab bewegt. Das Ganze wirkt aber eher poetisch als komisch.

Später im Film wird es dann die teuerste Einstellung der Stummfilmära geben, in der eine reale Eisenbahnlokomotive auf einer brennenden Holzbrücke in eine Schlucht stürzt. Aber im Gedächtnis bleibt die leise, kleine Szene, denn sie gehört zu den schönsten der Filmgeschichte.

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