Musik für computergesteuerte Maschinen: Wenn Alexa mit Eliza singt
Das Opernprojekt „Over The Edge Club“ testet die Kreativität künstlicher Intelligenzen. Die erste Besichtigung findet online statt.
Was wir unter Zukunft verbuchen, ist das Gestern von Morgen. Sich dieses Gestern über den Startpunkt Morgen vorzustellen, versucht Gamut Inc, ein vom Komponisten Maciej Sledziecki und der Musikerin Marion Wörle gegründetes Ensemble für computergesteuerte Musikmaschinen, schon länger. Für das aktuelle Projekt „Over The Edge Club“ gesellt es zu seinen schon bekannteren retrofuturistischen Musikrobotern künstliche Intelligenzen. Die agieren einerseits auf der performativen Ebene und sind andererseits das Thema der Inszenierung.
Hauptfigur ist ein Programm, das sich durch manche seiner Vorgängerversionen durcharbeitet und dabei über Menschsein und Maschinesein reflektiert. Das ist ein schöner retrofuturistischer Zugriff.
Musiktheater „Over The Edge Club“, am 20. Dezember Premiere unter gamutinc.org/over-the-edge-club
Zu Beginn des Stücks (im Stream, der vorab für die Presse zu sehen war) fühlt man sich zunächst vom Heute um knapp 100 Jahre zurückversetzt. Die Bühne besteht aus abstrakten Elementen, die einem futuristischen oder konstruktivistischen Bühnenbild der 1920er Jahre entnommen scheinen. Ein paar Würfel türmen sich zu Säulen, über ihnen krümmt sich ein Bogen. Und im Zentrum vollführt der Tänzer Ruben Reniers ein paar technoid abgehackte Bewegungen.
Eine Stimme ertönt, die ziemlich humorbefreit vom Menschen erzählt. Diese Spezies wird dabei als reichlich aggressiv, als rücksichtslos und auch als ziemlich beschränkt dargestellt. Vor allem sei sie unfähig, sich neue Sachen auszudenken und erst recht sich denen dann hinzugeben.
Was wurde wohl eingespeist?
Das stimmt zwar alles irgendwie; zu ähnlichen Schlussfolgerungen könnte eine extraterrestrische Lebensform beim Earth Spotting tatsächlich kommen. Die Aussage wirkt allerdings auch ziemlich unterkomplex, denn sie unterscheidet nicht zwischen dem Verhalten von Individuen und der aus Individuen geformten Masse – in der die Individuen dann gern ihre Individualität verlieren. So weit denkt die KI aber noch nicht, leider.
Hört man den eher flachen Texten zu, die zum großen Teil vom Sprachalgorithmus GPT-3 verfasst sein sollen – so geben es Wörle und Sledziecki jedenfalls an –, so fragt man sich, welche Texte am Anfang der Deep-Learning-Prozesse dort wohl eingespeist wurden. Ein bisschen Machiavelli könnte darunter sein, denn oft geht es um Macht. Ein paar logische Strukturen könnten vom Wittgenstein-Verwerten herkommen.
Immerhin ist die KI nicht so peinlich rassistisch und sexistisch wie einst Microsofts Chatbot Tay, der durch offene Kommunikation mit Twitter-Usern zu einer ziemlich monströsen Verbalbeleidungsmaschine mutierte und schnell vom Netz genommen werden musste. Aber es wird doch offensichtlich, dass zumindest Libretto-Schreiber*innen aktuell noch nicht fürchten müssen, von einer KI verdrängt zu werden.
Profis der Strategiespiele Schach und Go mussten allerdings schon die Überlegenheit der logischen Maschinen anerkennen. An Deep Blue, den Schachcomputer, der 1997 den damaligen Weltmeister Garri Kasparow besiegte, und an Alpha Go, der vor vier Jahren die menschliche Go-Elite bezwang, erinnert sich die KI als offensichtliche Vorstufen ihrer selbst dann auch genüsslich.
Geringes Maß an Nachvollziehbarkeit
Etwas weniger welterklärerisch wird es, wenn verschiedene Stimmen mit unterschiedlichen Graden der Künstlichkeit miteinander kommunizieren. Leider wird aus der Situation nicht ersichtlich, ob es sich tatsächlich um Alexa & Co handelt, ob es deren aufgezeichnete Dialoge sind oder ob sich die KIs sogar live gegenseitig befragen. Letzteres wäre zumindest ein echter Coup, eine Chatbot-Impro gewissermaßen.
Aber das geringe Maß an Nachvollziehbarkeit ist generell bei softwaregestützten Performances ein Problem. Musiker sieht man in Saiten und Tasten greifen, bei Sängern den Brustkorb sich heben oder senken. Die Prozesse in den Maschinen, die ihre Daten an die Lautsprecher ausgeben, bleiben hingegen dem Blick verborgen. Und selbst wenn man wie später bei „Over The Edge Club“ wabernde Strichcodes und Interferenzen auf den mittlerweile zu Screens umfunktionierten Würfelelementen sieht, so bleibt doch unklar, ob dies bloße Ornamentik ist, also die Illustration von Rechenvorgängen, oder ob sich daraus tatsächlich der je aktuelle Zustand im Arbeitsspeicher ablesen lässt.
Interessanter wird es schon, wenn das Chatbot-Ensemble Gesang zu produzieren versucht. Sehr technische Geräusche mischen sich da mit melodischen Einsprengseln – ganz so, als sei die KI hauptsächlich auf Neue Musik trainiert, hätte aber auch ein wenig Pop und ein wenig Klassik genossen.
Pionierarbeit
Mehr her macht da schon der Algorithmus, der aufs Erstellen menschlicher Gesichter trainiert ist. Aus einer bunten Pixelwolke kristallisieren sich mal Männergesichter und mal die von Frauen heraus. Ein wild mäandernder Porträtstrom ergießt sich über die Projektionswürfel und verschmilzt mit Stimmen und Musik. Das macht bereits Eindruck am eigenen Bildschirm. Die Raumwirkung, wenn man das Stück irgendwann einmal live im Theater im Delphi, dem früheren Stummmfilmkino in Weißensee, sehen kann, sollte dieses Erlebnis noch übertreffen.
Zum Datum der geplanten Uraufführung am 20. Dezember wird Gamut Inc zunächst einmal den Livestream der Inszenierung auf der eigenen Website und der des Delphi ausspielen. „Over The Edge Club“ ist ein ambitionierter Versuch, die kreativen Potenziale von künstlichen Intelligenzen zu heben.
Es ist allerdings auch Pionierarbeit – und das Ergebnis an manchen Stellen so ungelenk, dass man unwillkürlich an die ersten tapsigen Schritte des synthetischen Menschen des Dr. Frankenstein denkt. In anderen Momenten entstehen allerdings auch sirenengleiche Klänge, die mit einer nicht von Menschenhand gemachten Bilderflut verschmelzen und den Weg in noch nie begangene Traumlandschaften weisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee