Atelierhaus Neue Panzerhalle: Kunst der Umnutzung

Die Ateliergemeinschaft in der Panzerhalle einer ehemaligen sowjetischen Kaserne in Groß Glienicke feiert ihr 25-jähriges Bestehen.

Der Künstler Micheal M. Heyers hängt eine rote abstrakte Plastik an die Wand, im Vordergrund ist eine große blaue Kreisform zu sehen

Michael M. Heyers bei der Installation seiner Werke Foto: Tom Mustroph

Schneeflocken rieseln sanft über das ehemalige Kasernengelände. Im Inneren einer früheren Mannschaftsunterkunft, einem von außen mittlerweile schön sanierten Backsteinbau, trägt Michael M. Heyers silberne Farbe auf ein Kreissegment auf. Heyers stellt konkrete Kunst her, Kreise und Ellipsen, die durch Schichtung des Materials Dreidimensionalität und Objekthaftigkeit erlangen.

Heyers ist Mitglied des Atelierhauses „Neue Panzerhalle“, einer Künstler*innengemeinschaft, die seit 25 Jahren auf dem Areal der einstigen Waldkaserne Groß Glienicke westlich von Berlin existiert. Gräbt man sich durch Vergangenheit und Gegenwart dieses Atelierhauses, wird es zum Echolot der Geschichte. Es erinnert an Walter Benjamins berühmten Engel der Geschichte, der der Zukunft entgegengeblasen wird, vor dessen Blick sich aber gerade Vergangenes und längst Vergangenes abspielen.

Im Oktober feierte das Atelierhaus das 25-jährige Jubiläum. Feiern allerdings ist ein euphemistischer Begriff in Pandemiezeiten. Die Jubiläumsausstellung in der Kommunalen Galerie Wilmersdorf ist zwar fix und fertig aufgebaut. Auch Heyers’ Arbeit „große welle“ – 13 Kreisringobjekte, die sich zu einer Woge auftürmen – ist an der Wand befestigt.

Die Ausstellung wurde sogar formal eröffnet Anfang Dezember, allerdings nur in Form eines Videorundgangs. „Sie soll aber, wenn es wieder geht, auch für Publikum zugänglich werden. Sie wird auf jeden Fall verlängert“, versichert Heyers der taz.

Geschlossene Galerien, abgesagte Ausstellungen

Geschlossene Galerien, abgesagte oder verschobene Ausstellungen – all dies ist trauriger Alltag bildender Künst­le­r*in­nen in diesen Zeiten. „Ich musste meine Ausstellung im Kunstverein Kleinmachnow, auf die ich drei Jahre gewartet hatte, unmittelbar nach der Eröffnung wieder abbauen“, schildert Heyers die Auswirkungen des Lockdowns.

Zahlreiche Künst­le­r*in­nen treffen die Einschränkungen doppelt. „Niemand von uns hier im Atelierhaus kann allein von der Kunst leben. Viele haben ein zweites Standbein – oft Kurse, Lehraufträge und Workshops. Vieles davon darf momentan aber nicht stattfinden“, erzählt Bettina Schilling.

Schilling fand durch die Arbeit in der Halle den Weg zu ganz neuen Techniken und Materialien – weg von der Leinwand

Schilling gehört zu den Gründungsmitgliedern des Atelierhauses. Bereits in den frühen 1990er Jahren entdeckte die gelernte Buchhändlerin das Kasernengelände und ging im Rahmen des Projekts „Tatortbesichtigung“ auf Spurensuche in dem militärischen Komplex.

Damals waren noch kyrillische Aufschriften zu sehen. Unweit des heutigen Atelierhauses befanden sich Schützengräben und Erdbunker. Die Künst­le­r*in­nen arbeiteten in der Panzerhalle, einer 55 Meter langen, 10 Meter breiten und 8 Meter hohen Reparaturhalle der DDR-Grenztruppen. Die Halle bot phänomenale Arbeitsmöglichkeiten.

Auf Knopfdruck große Lasten bewegen

„Es gab einen Kran, mit dem man auf Knopfdruck große Lasten bewegen konnte“, erinnert sich Heyers, der damals als Bildhauer mit großen Volumina umging. Die Gruben und Nischen in der Halle ermöglichten ganz besondere installative Arbeiten.

Schilling fand durch die Arbeit in der Halle den Weg zu ganz neuen Techniken und Materialien – weg von der Leinwand hin zu Cutouts aus Kork oder Fußbodenbelag. „Es war so kalt damals. Ich hatte mir deshalb den Boden mit Kork ausgelegt. Und dann arbeitet man auf dem Boden und es gibt da Spuren. Ich wollte damals auch etwas in meiner Kunst verändern, wollte nicht mehr im Tafelbild bleiben.

In diesen Räumen gab es auch so viel zu sehen, sodass ich dachte, ich nehme etwas heraus aus dem Bild und installiere das in die Wand“, blickt sie zurück. So kam sie zu den Cutouts – und kniet jetzt, im neuen Atelier, auf dem Fußboden und schneidet Silhouetten von Menschen- und Tierkörpern aus, um sie auf Gazerahmen oder auf Wänden zu einzelnen Szenen zu arrangieren.

2007 wurde die Panzerhalle abgerissen. Sie fiel kurz vor der weltweiten Finanzkrise, die durch eine Immobilienfinanzierungskrise ausgelöst worden war, der damaligen Bauwut zum Opfer. „Wir hatten uns bemüht, die Halle unter Denkmalschutz zu stellen, aber das klappte nicht“, erzählt Heyers.

Das Areal erwab dann der Bürstenmann

Die Berliner Gewobag wollte Tabula rasa machen für den Bau von Wohnungen für die nach Berlin ziehenden Mitarbeiter der Bundesministerien. Doch das zerschlug sich. Das Areal erwarb später der Investor Bernd Wolfgang Steuten, ein von Stefan Raab wegen dessen eigenwilliger Frisur als „Bürstenmann“ verspotteter und bundesweit als Verkäufer von Schrottimmobilien berüchtigter Unternehmer.

Steuten brachte immerhin einen Villenpark zustande – die üblichen Fertigteileinfamilienhäuser, die mit Säulen am Eingang auf römisches Imperium machen. Es ist ein klassisches Suburbia: Wohnanlagen mit schlechter Verkehrsanbindung und fast ohne Infrastruktur. „Falls mal die Milch zum Kaffee fehlt, muss man drei Kilometer fahren“, beschreibt Heyers die Versorgungssituation.

Kulturelles Highlight ist – neben dem Karnevalsverein, der gelegentlich die unter Denkmalschutz gestellte Preußenhalle bespielt – daher das Atelierhaus. Denn es organisiert immer wieder Ausstellungen und Workshops und lädt auch zu Tagen der offenen Ateliers ein. Dann wieder, wenn Publikum erlaubt ist.

Nach dem Abriss der Panzerhalle verließen einige Künst­le­r*innen enttäuscht das Areal. Andere suchten sich als Ausweichstandort die alten Mannschaftsquartiere. Dort befand sich nach der Wende eine Schule, die wegen Schülermangel aber geschlossen wurde. Zurzeit sind noch ein Depot des Potsdam Museums und eine Geflüchtetenunterkunft dort angesiedelt. Die neuen Räumlichkeiten sind kleiner, weniger spektakulär als die alte Halle.

Aber angesichts des Kostendrucks auf Immobilien in Berlin und Potsdam seien die aktuell 24 Künst­le­r*in­nen froh über die Möglichkeiten, die sie jetzt haben, versichern Schilling und Heyers. Gesichert ist der Standort allerdings nicht. „Seit 25 Jahren schwebt das Damoklesschwert immer dicht über unseren Köpfen“, meint so drastisch wie realistisch Heyers. Bleibt nur zu hoffen, dass noch viele Jubiläen hinzukommen zu diesem ganz besonderen 25. Jahrestag.

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