Munitionssprengungen in Nord- und Ostsee: Für Schweinswale tödlich

Nord- und Ostsee sind munitionsverseucht. Eine Studie zeigt: Druckwellen von Sprengungen töten Schweinswale. Deren Bestand ist gefährdet.

Ein toter Schweinswal treibt vor Neustadt in Holstein im Meer.

Nach den Minensprengungen der Marine: Ein Schweinswal treibt im September 2019 tot in der Ostsee Foto: picture alliance/dpa/NABU Schleswig-Holstein | Matthias Meinsen

OSNABRÜCK taz | Manchmal töten Kriege auch noch, wenn sie schon längst vorbei sind. Auch Nord- und Ostsee sind Schauplätze dieses zeitversetzten Sterbens.

Ursula Siebert weiß, was das bedeutet. Sie sieht es auf dem Obduktionstisch bei Schweinswalen. Mitte Januar hat sie im Wissenschaftsmagazin Environment International dazu eine Studie veröffentlicht. Wer sie liest, weiß, was Unterwassersprengungen von Munitionsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg dem Schweinswal antun – der einzigen Walart, die vor Deutschlands Küsten heimisch ist.

Siebert ist Professorin der Tierärztlichen Hochschule Hannover und leitet dort das Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW). Seit 1990 befasst sich die Wissenschaftlerin mit Schweinswalen. „Die Veränderung, die in dieser Zeit eingetreten ist, ist dramatisch“, sagt sie. „Die Situation ist äußerst prekär.“ Die Bestände brächen ein. Viele Tiere würden noch nicht einmal mehr so alt, dass sie die Geschlechtsreife erreichten.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Da ist die Fischerei, in deren Stellnetzen viele Wale ertrinken. Da ist der Ramm-Schall der Fundamentarbeiten für Offshore-Windkraftanlagen. Da sind die Schadstoffe, die über Schiffe und Flüsse ins Meer gelangen. Seismische Gesteinserkundung und Speedboat-Lärm spielen eine Rolle, das Mikroplastik, der Tourismus, der Bau von Pipelines.

Ursula Siebert,Tierärztliche Hochschule Hannover

„Viele Tiere erreichen noch nicht einmal die Geschlechtsreife“

Und da ist eben auch das Militär. Nicht nur das der Gegenwart, das mit Sonar übt und Soldaten beibringt, wie Minen explodieren, sondern auch das beider Weltkriege – und auch das der Nachkriegszeit, das nach 1945 deutsche Munition auf See verklappt hat. 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Spreng- und Brand-Munition verrotten am Grund der deutschen Nord- und Ostsee, schätzt das Umweltbundesamt: von der Granate bis zum Torpedo. Dazu kommen 5.000 Tonnen chemischer Kampf­stoffe. TNT tritt ins Wasser aus, ebenso Quecksilber und Phosphor, Kampfstoffe wie Senfgas, Tabun und Phosgen.

Eines der wehrlosesten Opfer ist der Schweinswal. Denn was nicht geborgen und an Land entsorgt werden kann oder durch Taucher entschärft, wird oft gesprengt. Sind Wale in der Nähe, führt das in ihrem Gehör zu einem Drucktrauma. Oft ist das tödlich. Noch in weiter Entfernung können die physischen Schäden erheblich sein. Der Stress ist es sowieso.

Für seine Studie hat Sieberts ITAW-Forschungsteam aus TierärztInnen und BiologInnen 24 Schweinswale auf Hörschäden untersucht. Im Herbst und Winter 2019 wurden sie an der Ostseeküste Schleswig-Holsteins tot aufgefunden, in der Eckernförder, Kieler und der Lübecker Bucht. Kurz zuvor hatte ein Manöververband der Bundesmarine nahe dem Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt 42 britische Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg gesprengt – ohne Schallschutzmaßnahmen und Hinzuziehung der Naturschutzbehörden.

„Das war vielleicht als eine Art Amtshilfe gedacht“, vermutet die ITAW-Leiterin. „Normalerweile ist so was ja eine zivile Aufgabe. Und an die Wale hat wohl niemand gedacht.“ Ihr Team fand Explosionsverletzungen, verursacht durch Druckwellen.

Zwischen 250 und 300 Schweinswale stranden in Deutschland jedes Jahr – schwere Verluste für die Bestände. In der Nordsee haben die sich womöglich schon halbiert, fürchtet Siebert. „In der Ostsee ist die zentrale Population nur noch wenige Hundert Köpfe stark und vom Aussterben bedroht.“ Die westliche sei stärker, rund 40.000 Tiere, aber die lebten vielfach in dänischen Gewässern.

Wer mit Siebert spricht, hört Sätze, die deprimieren. Sätze wie: „Schutzgebiete sind nicht viel wert, wenn dort kein wirklicher Schutz stattfindet. Und es ist ja auch nicht so, dass sich die Tiere da ständig drin aufhalten. Außerdem sind sie so klein, dass ein Wal da relativ schnell durchschwimmt.“ Völlig schwarz sieht Siebert aber nicht, vor allem in Sachen Munitionsentsorgung: „Das Thema ist präsenter geworden.“ Der Politik attestiert sie: „Der Wille ist da, es in Zukunft besser zu machen.“

Hörschäden noch in zehn Kilometern Entfernung

Dagmar Struß, Leiterin der Nabu-Landesstelle Ostseeschutz, sieht das genauso: „Es hat sehr lange gedauert, aber jetzt ist Problembewusstsein da, in allen politischen Parteien.“ Robert Habeck habe das als Umweltminister in Schleswig-Holstein ziemlich gepuscht.

Aber auch Struß gibt sich keinen Illusionen hin: „Ich bezweifle, dass sich die Schweinswal-Bestände halten können.“ Vor allem der Bundesmarine stellt sie kein gutes Zeugnis aus: „Wir müssen Sprengungen halt üben, sagen die mir, das sei eine Frage der Sicherheit. Aber die können mir nicht erzählen, dass sie dabei wirklich alles tun, um die Wale nicht zu gefährden!“ Wale erlitten noch in zehn Kilometer Entfernung Hörschäden. „Wie will man denn feststellen, ob in diesem Radius welche präsent sind?“, fragt Struß.

Große Hoffnungen ruhen derzeit auf neuen Technologien, zumal aus der Robotik. Eine davon ist die Bergungsplattform Robemm. Von der Bundesregierung gefördert und vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie mitentwickelt, soll sie Munition thermisch entsorgen, nicht detonativ. Robemm, unbemannt und videogesteuert, schwimmend und mobil, könnte die Wale entlasten. Retten wird sie sie nicht.

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