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Multikulti beim Olympia-GastgeberHalbe und ganze Japaner

Noch tun sich viele Menschen in Japan schwer damit, die Vielfalt ihrer Gesellschaft zu akzeptieren. Olympia kann viel zur Öffnung beitragen.

Arm und Gesicht eines modernen Japan: der Basketballspieler Ira Brown Foto: imago/Aflosport

Z um Auftakt dieser Spiele hat das japanische Team seine sogenannt gemischten Sportler auffällig in Szene gesetzt. Naomi Ōsaka durfte das olympische Feuer entzünden und Rui Hachimura die Fahne ins Stadion tragen. Der Vater der Tennisspielerin stammt aus Haiti, der Vater des Basketballers aus Benin. Ihr Auftritt an exponierter Stelle sollte offensichtlich das offizielle Olympia-Motto „Einheit in Vielfalt“ unterstreichen.

Ōsaka und Rui gehören der kleinen Gruppe von 35 „gemischten“ Athleten im japanischen Team an, darunter der Sprinter Sani Brown Abdul Hakim (Vater aus Ghana) und der Baseball-Star Darvish Yu (Vater aus Iran), insgesamt sechs Prozent des Teams. Ihre Existenz illustriert einen sozialen Wandel, den viele Japaner nur langsam akzeptieren.

Einige Schulen verlangen sogar, dass Jugendliche ihre helleren Haare in japanischem Schwarz färben.

Die Inselnation hatte sich ab 1603 konsequent nach außen abgeschottet. Ausländer durften den Archipel nicht betreten, bis 1853 amerikanische Kanonenboote in der Bucht von Tokio Anker warfen und die Öffnung erzwangen. Aber das änderte bis heute nichts an der Überzeugung, dass Japaner nur sein kann, wer japanisch aussieht, japanisch spricht und sich japanisch benimmt. Die Bezeichnung „hafu“ für Japaner mit einem nichtjapanischen Elternteil spiegelt dieses Denken wider. „Hafu“ steht für das englische Wort „half“: Diese Menschen sind also nur halbe und keine vollwertigen Japaner.

Von Multikulti ist das Land noch Lichtjahre entfernt. Nur jedes fünfzigste Baby hat einen binationalen Hintergrund. Mit diesen wenigen schwarzen, braunen, blonden und rundäugigen Japanern fremdelt das Land. Der Basketballer Hachimura berichtete beispielsweise auf Twitter, er würde täglich rassistisch beleidigt. Und als der Fastfood-Riese Nissin vor ein paar Jahren seine Werbepartnerin Ōsaka als Manga-Figur zeichnen ließ, erhielt sie eine weiße Haut. Ihre Eltern verließen Japan, weil die Familie der Mutter sie wegen des schwarzen Partners ausgestoßen hatte.

Wenn Japan seine „gemischten“ Athleten feiert, schwingt also Heuchelei mit. Rassismus ist weit verbreitet, wenn auch oft mehr aus Ignoranz denn aus Bösartigkeit. „Gemischte“ Kinder werden oft gemobbt. Einige Schulen verlangen sogar, dass sie ihre helleren Haare in japanischem Schwarz färben. Auch die Medien arbeiten am liebsten und vor allem die japanische Essenz prominenter Menschen, die Hafu sind, heraus. Daher fremdeln sie mit Ōsaka, die nicht gut Japanisch spricht und sich nicht so zurückhaltend wie eine „Japanerin“ verhält.

Daher frage ich mich, ob Japans Olympia-Veranstalter die Diversität wirklich ernst nehmen. Dagegen spricht die nicht dementierte Nachricht, dass das Organisationskomitee seinen langjährigen Chef Yoshiro Mori zum Ehrenberater ernennen wird. Der ultrakonservative 84-Jährige musste im Februar wegen frauenfeindlicher Bemerkungen zurücktreten. Nun kehrt er durch die Hintertür zurück, obwohl er über Ōsaka sicher nichts Positives denkt.

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Martin Fritz
Auslandskorrespondent Japan/Südkorea
Volontariat beim NDR. War Hörfunk-Korrespondent in Berlin während der deutschen Einheit. Danach fünf Jahre als Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi. Berichtet seit 2001 aus Tokio über Japan und beide Koreas.
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6 Kommentare

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  • Ich wäre vorsichtig, das Verhalten der Japaner und Japanerinnen vorschnell als Rassismus abzutun.

    Tatsache ist, dass die im Artikel richtig geschilderten Unarten, z.B. Schüler und Schülerinnen zum Schwarzfärben der Haare zu zwingen, oder (in erster Linie) Mädchen mit dunklerem Teint ("Gals") als von Natur aus promiskuitiv zu deuten, auch oder sogar gerade Menschen mit rein japanischem Hintergrund betrifft. Erst letztes Jahr wurde einem Mädchen erstmals von einem japanischen Gericht Schadensersatz zugebilligt, da sie aufgrund der erzwungenen Haarfärbung Hautschäden erlitten hatte. Auch der Umgang mit den (eigentlich ehemaligen) Burakumin - das sind Nachfahren von Japanern, die "unehrliche" Berufe ausgeübt hatten wie Gerber, Schlachter, Totenwäscher etc., ist regional schwierig, von den bis heute andauernden Diskriminierungen der Ainu (indigene Volksgruppe in Japan) ganz zu schweigen.

    Der Begriff Rassismus trifft es jedoch nicht wirklich. Die Japaner betrachten "andere" Menschen/Ethnien nicht als höher- oder minderwertig (was eine Grundkonstante des Rassismus ist), sondern interpretieren aus dem Aussehen bestimmte Verhaltensweisen, die von der Masse nicht gewünscht sind. Es geht also mehr um einen Widerstreit zwischen dem typisch Japanischen Kollektivismus und Individualismus auf der anderen Seite. Was bei uns selbstverständlich ist, die freie Entfaltung der individuellen Persönlichkeit, trifft in Japan (und weitgehend auch in Südkorea und China) auf strikte Ablehnung. Der Japaner sieht sich als Teil einer übergeordneten Gruppe, der er sich zwingend unterzuordnen hat. Das kann man aus unserer Sicht heraus kritisieren, jedoch sollte man dabei nicht europäische Überheblichkeit walten lassen, die seit dem Ende der Kolonialzeit eigentlich passé sein sollte. Das japanische Gesellschaftssystem ist historisch gewachsen und ich habe darin auch durchaus eine Menge Vorteile erkennen können, die ich mir in Deutschland manchmal wünsche.

    • @Cerberus:

      P.s.: Der Zwang zum Färben der Haare sowie die weiteren Diskriminierungen stellen insgesamt eher eine Ausnahme als die Regel dar. An den meisten Schulen sieht man heute Japaner und Japanerinnen mit individuellen Haarfarben und modischen Schnitten.

      • @Cerberus:

        Dass sich unser Enkeltoechterchen mit Händen und Füßen gegen den Kindergartenbesuch wehrt und weint, dass die Kinder nichts mit ihr zu tun haben wollen, das lässt nichts Gutes für den bevorstehenden Schulbesuch erahnen. Sie dürfen mir glauben, uns ist Himmel Angst, was da auf unser wunderhübsches und bisher so interessiertes, lebhaftes und kluges Enkelkind noch zu kommt. Sie ist mittlerweile verschlossen und launenhaft geworden und sehnt sich jeden Tag nach Deutschland.



        Uns bleibt nur die Hoffnung auf aufgeschlossene und gute Lehrkräfte.

  • "Von Multikulti ist das Land noch Lichtjahre entfern"

    Das kann ich aus meiner beruflichen Praxis bestätigen.



    Wenn ich mit japanischen Kollegen darüber gesprochen habe und die Vorzüge und die Bereicherung angepriesen habe, die wir durch Multikulturalität erleben, wurde mir die extrem niedrige Kriminalitätsrate in Tokyo vorgehalten, im Vergleich mit Metropolen wie Paris, London, New York oder auch Berlin.

    Meine Pro Multikultur Argumente fanden hingegen kaum Gehör.

    • @Paul Rabe:

      meine Antwort wäre:



      Mag die Rate niedrig sein. Möglich sind dafür auch andere Gründe.



      1. Warum sind extra Frauenabteile in den ÖPNVs nötig?



      Es gibt sehr viele "Grapscher" und um sie nicht anzeigen zu müssen wird auf diese Weise versucht vorzubeugen.

      2. Es gibt (nicht nur im Kino) die berüchtigten Yakuzas!...

      Aber einiges stimmt tatsächlich:



      Bis auf achtlos liegengebliebene Fahrräder, die kommen gelegentlich weg - Es wird so gut wie nichts gestohlen. Wenn Sie irgendwo Ihre Tasche versehentlich stehen lassen. Sie finden sie am nächsten Tag (oder später) mit Sicherheit unberührt wieder vor.

      Ürbigens: Es gibt kaum Abfallkörbe in der Öffentlichkeit. Grund: Jeder nimmt seinen Müll mit nachhause und entsorgt (bzw. trennt seit neuestem) ihn dort.

      Japan hat neben seinen Schatten- durchaus sehr viele Sonnenseiten. Ganz zu schweigen von der Schönheit dieses Landes.

  • Diese leidvolle Erfahrung muss derzeit unser kleines geliebtes Enkelkind bereits im Kindergarten machen. Da bleibt nicht nur ein schlechter Geschmack zurück, sondern auch ein gehöriger Schuss Verachtung für ein Land, das für sich alle Aspekte von Kultur und Positivem an Lebensstil gutem Umgang miteinander reklamiert. Es tut einfach nur weh hilflos zusehen zu müssen, was unter den Augen Erwachsener an Gnadenlosigkeit Kindern mit europaeischem Aussehen angetan werden kann. So schön das Land ist...