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Moosforschung„Moose sind unglaublich schön und spannend“

Julia Bechteler ist Deutschlands erste Professorin für Moose. Gespräch über deren Rolle als CO2-Speicher und Frühwarnsystem für Umweltveränderungen.

Golhaar Moos mit Gelbflechte Foto: C.Stenner/imago

Interview von

Birk Grüling

taz: Wie wird man denn Moos­forscherin, Frau Bechteler?

Julia Bechteler: Ich habe Biologie auf Lehramt studiert und im Hauptstudium einen kryptogamischen Kurs belegt. Das ist ein Kurs über Moose, Flechten und ähnliche Organismen. Dort entdeckte ich meine Begeisterung für diese Pflanzengruppe. Man weiß noch viel zu wenig über diese Organismen. Dabei sind es unglaublich schöne und spannende Lebewesen. Wenn man mit der Lupe durch den Wald geht, entdeckt man eine riesige Formenvielfalt. Und man darf nicht vergessen: Moose sind nach den Blütenpflanzen die zweitgrößte Landpflanzengruppe weltweit, mit etwa 20.000 Arten. Außerdem sind sie für die Ökosysteme der Erde ziemlich wichtig.

taz: Ihre Professur ist die erste ihrer Art in Deutschland. Was bedeutet das für die Moosforschung?

Bechteler: Deutschland hat eigentlich eine lange Tradition in der Moosforschung – es gab und gibt durchaus Professuren und Lehrstühle, wo Moose eine Rolle spielen und erforscht werden. Allerdings haben diese nicht explizit „Moose“ im Namen der Professur stehen. Diese neue Kooperationsprofessur zwischen dem Senckenberg-Institut und der Universität Jena – offiziell „Professur für Ökologie und Evolution der Moose“ – ist meiner Ansicht eine gute Werbung für die Moose. Sie kann die Moose breiter in die Öffentlichkeit bringen und eine andere Sichtweise vermitteln: dass Moose durchaus wichtig sind für die Erforschung von Biodiversität und ein besseres Verständnis für die Folgen des Klimawandels.

taz: Moose gibt es in fast allen Ökosystemen, sie überstehen auch extreme klimatische Bedingungen. Welche Rolle spielen sie im Ökosystem?

Bechteler: Als Primärproduzenten spielen Moose eine entscheidende Rolle bei der CO2-Speicherung, gerade im Hinblick auf den Klimawandel ist das durchaus bedeutsam. Aber sie sind auch wichtig für den Stickstoffkreislauf. Bakterien, vor allem Cyanobakterien, nutzen Moose als Lebensraum. Sie fixieren Luftstickstoff und bringen ihn so ins Ökosystem, wo er dann von anderen Organismen genutzt werden kann. Außerdem sind Moose essenziell für die Wasserspeicherung in Wäldern und Mooren. Auch für den Hochwasserschutz spielt das eine wichtige Rolle. Und dann sind Moose noch hervorragende Pionierpflanzen. Sie gehören zu den ersten Siedlern auf Brachflächen und schaffen Lebensräume für andere Pflanzen und Kleinstlebewesen.

taz: Wie stark leiden Moose unter dem Klimawandel?

Bechteler: Moose leiden genauso wie andere Organismen unter dem Klimawandel. Besonders dramatisch ist es im alpinen Bereich und in höheren Lagen – ähnlich wie bei anderen Pflanzen und Tieren endet dort irgendwann der Lebensraum. Das Gleiche gilt für die Polarregio­nen: Der Eisbär ist das klassische Beispiel, aber den Moosen dort geht es nicht anders. Moose sind an bestimmte Temperaturen und Umweltbedingungen angepasst und haben nur einen begrenzten Spielraum zur Weiterentwicklung. Zwar können sie sich grundsätzlich anpassen, aber der Klimawandel geht viel zu schnell vonstatten. Die Moose kommen gar nicht hinterher. Andererseits gibt es auch Gewinner: Bei uns in Deutschland wandern langsam Arten aus dem mediterranen Raum ein, weil es wärmer wird. Als Bio­indikatoren sind Moose hervorragend geeignet. Jede Moosart hat ein ganz spezifisches Spektrum an Umweltbedingungen, die sie zum Wachsen braucht. Anhand dieser Arten können wir Rückschlüsse ziehen, wie sich klimatische Bedingungen in einer Region verändern.

Im Interview: Julia Bechteler

Seit September 2025 ist sie Professorin für Ökologie und Evolution der Moose am Senckenberg Institut für Pflanzenvielfalt an der Universität Jena. Sie hat Biologie und Chemie auf Lehramt für Gymnasien an der LMU München studiert.

taz: Wie kann man Moose zum Monitoring von Schadstoff­belastung und Luftqualität einsetzen?

Bechteler: Im Gegensatz zu Blütenpflanzen oder anderen Gefäßpflanzen nehmen Moose Nährstoffe und Wasser über ihre komplette Oberfläche auf. Sie besitzen auch keine den Gefäßpflanzen gleichenden Wurzeln. Das bedeutet: Sie nehmen auch Schadstoffe direkt und ungefiltert auf, es gibt keine Barriere. Verschiedene Moos­arten reagieren unterschiedlich auf Schadstoffe. Manche sind robuster und können höhere Schadstoffkonzentrationen verkraften. Andere sind sehr empfindlich und sterben schnell ab, wenn die Belastung zu hoch wird. Das können wir uns zunutze machen. In Stadtgebieten schauen wir uns einfach die Bäume oder Wiesen an und erfassen, welche Moosarten dort vorkommen. Anhand der Artenvielfalt können wir dann Rückschlüsse auf die Luftqualität ziehen. Eine geringe Diversität mit nur robusten Arten deutet auf höhere Schadstoffbelastung hin, eine hohe Diversität mit empfindlichen Arten auf saubere Luft.

taz: Ihre Professur ist eng mit der Kryptogamen-Sammlung im Herbarium Haussknecht verbunden. Was macht diese Sammlung für die Forschung so wertvoll?

Bechteler: Die Kryptogamen-Sammlung im Herbarium Hauss­knecht ist außergewöhnlich. Sie beherbergt etwa 700.000 Moos­belege und ist damit eine der weltweit größten und wertvollsten Sammlungen. Das liegt nicht nur an ihrer schieren Größe, sondern auch an der hervorragenden Kuratierung und dem Alter. Die Sammlung reicht bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Wir haben so Belege aus verschiedensten Erdregionen über einen Zeitraum von über 100 Jahren. Damit können wir rekonstruieren, was in dieser Zeit passiert ist. Gibt es Arten, die an bestimmten Stellen nicht mehr vorkommen? Wie haben sich Klimawandel und Industrialisierung ausgewirkt, besonders in den letzten 20, 30 Jahren mit steigenden Schadstoffkonzentrationen? Außerdem ist die Sammlung ein Schatz für die Entdeckung neuer Arten. Viele Belege wurden ursprünglich nur morphologisch bestimmt. Mit modernen molekularen Methoden können wir heute noch einmal ­genauer hinschauen und möglicherweise Arten finden, die wir bisher noch gar nicht als eigen­ständig erkannt haben.

taz: Welche Forschungsfragen lassen sich mit dieser Sammlung beantworten?

Bechteler: Evolutionsforschung funktioniert mit Herbarium-Belegen sehr gut. Man kann aus den Pflanzen DNA extrahieren, sequenzieren und die Sequenzen in einen evolutionären Kontext setzen. So rekonstruieren wir, wie verschiedene Belegexemplare miteinander verwandt sind und wann einzelne Arten entstanden sind. Zusätzlich analysieren wir morphologische Merkmale und schauen, wie sie sich im Laufe der Evolution entwickelt haben. Oft finden wir dabei neue Arten, die morphologisch sehr ähnlich aussehen, molekular aber völlig unterschiedlich sind. Das ist immer sehr spannend und leistet einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz.

taz: Gibt es bei Ihrer Professur noch weitere Forschungsfragen, die Sie in den nächsten Jahren bearbeiten möchten?

Bechteler: Mich beschäftigt die Frage, wie Moose es geschafft haben, sich an die Vielfalt ihrer heutigen Habitate anzupassen. Mein Fokus liegt auf trockenen Habitaten und dem epiphytischen Lebensraum – also Pflanzen, die direkt auf Bäumen leben. Diese Lebensräume sind von starker Trockenheit geprägt. Wenn Wind durch den Wald geht, trocknen die Moose an der Baumrinde sehr schnell aus, müssen aber auch sehr schnell wieder Feuchtigkeit aufnehmen können. Diese Anpassungsmechanismen finde ich faszinierend.

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