Moormuseum Ostfriesland: Das erbärmliche Leben im Moor

Im ostfriesischen Moordorf zeigt ein Museum, unter welchen schrecklichen Bedingungen Norddeutschlands Moore trockengelegt und kolonisiert wurden.

Bauerhaus aus Lehm mit StrohdachT

Klein wie ein Hexenhaus: Lehmkate mit Strohdach Foto: Ingo Wagner/dpa

MOORDORF taz | Was es vor 200 Jahren bedeutet hat, die norddeutschen Moore trockenzulegen, lässt sich im Moormuseum im ostfriesischen Moordorf betrachten. Sein Untertitel „Das Museum der Armut“ kommt nicht von ungefähr, denn die Bedingungen, unter denen die Menschen dort bis ins 20. Jahrhundert hinein lebten, waren erbärmlich.

Das Museum am Rande des Victorburer Hochmoors in der Nähe von Aurich besteht aus einer Ansammlung von Hütten und Häusern, die Ehrenamtliche ab 1979 nach historischen Vorbildern errichtet oder hierher versetzt haben. Die Wände bestehen meist aus mit Stroh vermischtem Lehm, die Dächer aus Roggenstroh, im besten Fall aus Reet, das viel länger hält.

Die Hütten gibt es in verschiedenen Größen, also Ärmlichkeitsgraden. Sie haben einen winzigen Vorraum, der auf der einen Seite zu einem Stall führt und auf der anderen zu einer Stube, in der gekocht, gegessen und geschlafen wird. Die einfachsten Hütten haben nicht einmal einen Herd, geschweige denn einen Kamin, sondern eine Feuerstelle auf dem Boden.

Geschlafen wurde in aus Lehm gemauerten Alkoven, die Eltern in dem einen, bis zu acht Kinder im anderen. Die Enge verhinderte, dass die Kinder im Winter erfroren. Im Sommer schliefen sie draußen. In Nischen unter den Alkoven wurden Lebensmittel gelagert, überm Stall und der Stube Heu und Stroh.

Lehmhütten bis in die 50er-Jahre

In der kleinsten Hütte ist kaum Platz für ein Schwein oder eine Ziege. Mit den Jahrzehnten wurden die Hütten größer; es kamen Nebenräume hinzu, die Ausstattung wurde besser und schließlich wurde auch mit Backstein gebaut. Aber noch bis in die 1950er-Jahre lebten Leute im Moor in Lehmhütten.

Erstaunlich ist, das die ersten Kolonisten überhaupt überlebt haben. Der Preußenkönig Friedrich der Große, an den Ostfriesland zuvor gefallen war, lockte sie ab 1765 mit der Aussicht auf ein Stückchen Land ins Moor. Die ersten Unterkünfte, die sie sich bauten, sind plaggengedeckte Erdhütten, in die nicht viel mehr als ein Bett passte.

Die Kolonisten zogen Gräben, um das Wasser abzuleiten und begannen, den Torf abzustechen. Dadurch entstand eine scharfe Kante zum Hochmoor, an der sich die Bodenschichten ablesen lassen. Davor sind Torfbriketts aufgeschichtet. Hierher führen die Gleise für die Loren, mit denen die Briketts – vom Heizwert noch einmal schlechter als Braunkohle – abtransportiert wurden.

Auf dem abgetorften Land errichteten die Kolonisten ihre Lehmhütten. Sie legten schmale Äcker an, auf denen sie im wesentlichen Buchweizen anbauten. Viel mehr kam nicht auf den Tisch. Wie furchtbar die Armut dieser Leute war, wird in den Dokumenten deutlich, die im Hauptgebäude des Museums ausgestellt sind.

Da bittet „Ew. Königl. Maj. aller unter tänigster Knecht Gerdt meyer“ (sic) im Februar 1784 die Domänenkammer, ihm doch bitte einen Arzt zu schicken. Seit einem Dreivierteljahr leidet er an einer stark geschwollenen Lende, so dass er weder gehen noch stehen und also auch nicht arbeiten kann. Weil er so krank ist, traut sich auch seine Frau kaum aus dem Haus. Ihre drei kleinen Kinder leiden Hungers. Was aus der Anfrage geworden ist, bleibt offen. Zwei Jahre später ist Meyer tot.

Soziales Gefälle

Der Soldatenfamilie Reck aus „Mohrdorf“ wiederum wird 1793 die Bitte abgeschlagen, in der wohlhabenden Hafenstadt Emden betteln zu dürfen. Der alte Reck hat dem preußischen König vier Jahrzehnte als Musketier gedient und leidet jetzt an der Wassersucht. Zu Hause hat er fünf nackte Kinder. Obwohl sich der Pastor und der Schulmeister für die Familie in Briefen verwenden, versandet die Bitte in der Emder Verwaltung.

Moormuseum Moordorf, Victorburer Moor 7a, 20. März bis 31. Oktober, täglich, auch an Feiertagen, 10 bis 18 Uhr, Eintritt fünf Euro, Jugendliche 2,50 Euro, Kinder unter sechs frei.

Um das soziale Gefälle bildhaft zu machen, haben die Museumsleute eine winzige Moordorfer Lehmhütte in ein Foto des stattlichen Emder Renaissance-Rathauses montiert. Es entbehrt nicht der Tragik, dass der älteste Sohn der Familie 1811 wegen Widerstands gegen die französische Besatzungsmacht zum Tode verurteilt und erschossen wird.

Übermäßige Großzügigkeit lässt sich auch der Kirche nicht attestieren: Um ihrer Armenhilfe teilhaftig zu werden, musste ihr Antje Cassens, „Wittwe des weil. Hans Goenssen“ nach ihrem Tod ihre Mobilien vermachen: „Ein Oberbette, zwei alte Küssens, an Kleidungsstücken weiter nichts als sie am Leibe trägt“. Dazu kommen 20 Positionen Hausrat wie „vier zinnerne Löffels, eine blecherne Teebüchse“ aber auch eine „Bibel nebst andere Bücher“.

Die Liste hängt am Eingang von Antje Cassens Kate. Wie fast alle Häuser und Hütten einschließlich der Schmiede ist sie begehbar. Zwischen den Hütten grasen weißgehörnte Heidschnucken. Ein Rundweg führt an einer Aussichtsplattform überm Hochmoor vorbei. Wer sich erholen möchte, kann das in der Teestube Moorgold tun.

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