Mollath bei „Beckmann“: Einblicke ins Gutachtersystem
Gustl Mollath darf bei „Beckmann“ noch einmal seine Geschichte erzählen. Ungeheuerlich aber sind die Aussagen der Psychiaterin, die auch geladen ist.
MÜNCHEN taz | Es sind die gefühligen, persönlichen Dinge, die man von Gustl Mollath wissen will: Wie geht es ihm nun in Freiheit? Wo ist er untergekommen? Wie war es wirklich, die sieben langen Jahre in der forensischen Psychiatrie? Was hat man ihm dort angetan? Was würde er der bayerischen Justizministerin Beate Merk (CSU) gerne persönlich sagen, säße sie ihm in der Sendung gegenüber?
Mollaths Geschichte, man kennt sie, auch wenn sie immer wieder unglaublich ist. Der Rosenkrieg mit seiner ehemaligen Frau, einer Mitarbeiterin der Hypovereinsbank (HVB) in Nürnberg, brachte Mollath in den Jahren 2003/2004 vor Gericht.
Petra Mollath warf ihrem damaligen Mann vor, sie geschlagen, gebissen, gewürgt und in der gemeinsamen Wohnung festgehalten zu haben. Im Gegenzug zeigte auch Mollath sie an. Zusammen mit anderen Bankmitarbeitern soll sie illegal Schwarzgeld für Kunden in die Schweiz transferiert haben.
Vor Gericht glaubte man der Frau, die Mollaths geistige Gesundheit in Zweifel zog. Von da an nahm man den ehemaligen Oldtimer-Restaurator nicht mehr ernst. Seine Ausführungen zu „Schwarzgeldverschiebungen" wurden als Zeichen für seinen Wahn ausgelegt, Mollath zwar freigesprochen, jedoch wegen Gemeingefährlichkeit in die forensische Psychiatrie eingewiesen.
Zum Popstar avanciert
Erst als ein interner Revisionsbericht der HVB 2012 öffentlich wurde, der Mollaths Vorwürfe in Teilen bestätigte, kam Bewegung in die Sache. Ein Untersuchungsausschuss im bayerischen Landtag deckte auf, dass weder das bayerische Justizministerium noch die Gerichte und die zuständigen Finanzbehörden Mollaths Aussagen je ernsthaft geprüft hatten.
Mehr noch: Ein Richter am Landgericht Nürnberg-Fürth verhinderte absichtlich weitere Ermittlungen durch die Steuerfahnder. „M. = Spinner", vermerkte der zuständige Sachbearbeiter nach dem Anruf in seinen Akten. Zeugen, die Mollath entlasten, wurden nicht gehört und die Justizministerin berief sich bis zum Frühjahr 2013 auf die Unabhängigkeit der Gerichte und auf Mollaths durch Gutachten bestätigte Gemeingefährlichkeit.
Nun aber ist Mollath frei. Das Oberlandesgericht in Nürnberg hat verfügt, dass sein Verfahren wieder aufgerollt werden muss. Seither ist der 56-jährige Mollath, der im blauen Poloshirt und mit einer Topfpflanze im Arm, vor zehn Tagen aus dem Bezirkskrankenhaus Bayreuth entlassen wurde, mehr noch denn je zum Popstar avanciert.
Auf Distanz gehalten
Viele wollen sich nun mit Mollath brüsten. Seit Wochen schon ziehen der Buchautor und CSU-Kritiker Wilhelm Schlötterer und der Grünen-Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag, Martin Runge, mit dem Fall Mollath als Werbeträger durch Bayern.
Nun wollen die Freien Wähler Mollath gerne für den Landtagswahlkampf in Bayern gewinnen. Und die Autovermietung Sixt wirbt mit seinem Konterfei und dem Slogan „Wenn hier jemand verrückt ist, dann Sixt mit seinen Preisen“ in der Süddeutschen Zeitung. Gefragt wurde Mollath dafür nicht. Und als Kritik an der Anzeige laut wurde, ließ das Unternehmen verlauten, man gehe davon aus, dass Mollath mittlerweile eine öffentliche Person sei.
Nun also saß die öffentliche Person Mollath am Donnerstagabend zum ersten Mal seit der Entlassung in einer Talkshow und Reinhold Beckmann und seine Redaktion dürften mächtig stolz gewesen sein, den bekanntesten Psychiatrieinsassen Deutschlands als erste interviewen zu durften. Moderator Beckmann bemühte sich redlich, dem Mann, dessen Schicksal viele Menschen bewegte, nahe zu kommen. So richtig gelang es ihm nicht.
Mollath antwortete so wie immer: Zwar Zynisch und mit hintersinnigem Humor, in erster Linie aber verklausuliert und in wohl überlegten Worten und komplizierten Sätzen, die das Gegenüber – in diesem Fall die Zuschauer – immer ein Stück weit auf Distanz halten. Man mag es ihm nicht verdenken. Wer so in der Öffentlichkeit steht, muss sich schützen. Schwierig wird Mollaths Ausdrucksweise nur dann, wenn es wichtig wäre, Details möglichst klar und schonungslos zu offenbaren.
„Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich begutachten ließe“
Die HVB-Bank trifft möglicherweise eine Teilschuld daran, dass Mollath so lange weggesperrt war. Der interne Revisionsbericht, der seine Thesen zu illegalen Kapitaltransfers in Teilen bestätigt, lag der Bank seit 2004 vor. Bis zum Jahre 2012 blieb er jedoch unter Verschluss.
Was Mollath davon halte, will Reinhold Beckmann zu Recht wissen. „Ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass man mich indirekt über die perfideste Klinge habe springen lassen, die in Deutschland möglich ist“, antwortet Mollath. Sorgfältig ausgewählte Worte mögen das sein. Was aber lässt sich daraus ableiten?
Auch die bislang kaum gestellte Frage nach Mollaths Mitschuld am Verlauf seiner Geschichte spricht Beckmann an. Schließlich hat sich der 56-Jährige immer wieder der persönlichen Begutachtung durch Klaus Leipziger, den Chefarzt der Forensischen Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth entzogen. Auch hier bleibt die Antwort nebulös. „Es stand schon vorher fest, bevor er mich jemals gesehen hat, was er mir für eine Diagnose geben würde“, sagt Mollath. Trotzdem wird die Sendung von da an wirklich interessant.
Denn was die Psychiaterin Hanna Ziegert, die ebenfalls geladen war, im fröhlichen Plauderton offenbart, ist mehr als ungeheuerlich. „Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich begutachten ließe“, sagt sie und führt dann aus, dass es zahlenmäßig nur wenige Gutachter in Deutschland gibt.
Finanziell von Aufträgen der Gerichte abhängig
„Jeder Gutachter hat einen Ruf und nach diesem Ruf wird er von der Staatsanwaltschaft und den Richtern gewählt“, so Ziegert. „Je nach dem, welches Ergebnis ich erreichen will, wird der Gutachter danach ausgewählt.“ Auch seien viele Gutachter, die darüber hinaus keine Aufgaben hätten, finanziell von Aufträgen der Gerichte abhängig. „So ein Gutachter wird darauf achten, dass er nicht in Ungnade fällt", so Ziegert.
Das sei jedem, der in der Branche arbeitet, bekannt. Offenbar auch Mollaths Verteidiger Gerhard Strate, der die Psychiaterin rügt, sie habe aber nun ganz ordentlich aus dem Nähkästchen geplaudert. Die ließ sich nicht beirren. „Die Öffentlichkeit weiß das nicht“, sagt sie. „Bisher hat sich aber auch nie jemand dafür interessiert.“
Für sie träfe das alles natürlich nicht zu, sagt sie noch. Denn die Gutachtertätigkeit mache nur ein Drittel ihres Verdienstes aus. Aber egal, aus welchen Motiven heraus Ziegert ihr Wissen offenbarte, hat sie Recht damit, wären das katastrophale Zustände und das Gutachtersystem an deutschen Gerichten gehörte schnellstmöglich reformiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag