Mögliche Wahlwiederholung in Berlin: Und noch eine Krise
Auch wenn die Entscheidung noch nicht final gefallen ist: Seit der Anhörung des Verfassungsgerichts am Mittwoch ist Berlin wieder im Wahlkampf.
D er Zeitpunkt könnte viel schlechter nicht sein. Krisen von Pandemie bis Energieknappheit bestimmen den Alltag vieler Bürger*innen, und am Mittwoch hat der Berliner Verfassungsgerichtshof zudem mitgeteilt, dass die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksparlamenten wohl wiederholt werden müssen – weil sie nicht den verfassungsmäßigen Vorgaben entsprachen. Sie seien aufgrund vieler Pannen schlicht ungültig. Das Vertrauen der Berliner*innen sei daher – zurecht – erschüttert, so das Gericht.
Jenseits des Hohns, der sich nun mal wieder auf die Hauptstadt, ihre Politiker*innen und ihre Verwaltung ergießen wird, die nichts gebacken kriege: Für die Stimmung in der Bevölkerung insgesamt vor diesem politisch und ökonomisch schwierigen Herbst und Winter ist das brandgefährlich. Zusammen mit Ängsten wegen der vielen Krisen kann dies eine diffuse Abwehrhaltung gegen „die da oben“ befeuern und rechten Kräften Auftrieb geben. Italien lässt grüßen.
Auch wenn das Verfassungsgericht am Mittwoch noch keine finale Entscheidung verkündet hat: Hinter die umfassende Klatsche für die Senatsinnenverwaltung kann es kaum mehr zurück – und will es offenbar auch gar nicht. „An der ein oder anderen Stelle“ könne es noch Änderungen geben, hat Gerichtspräsidentin Ludgera Selting gleich zu Beginn gesagt. Und dann dem einstigen Innensenator Andreas Geisel (SPD), seiner Verwaltung und der Landeswahlleitung die Leviten gelesen.
Beziehungsweise gerechnet: Akribisch führte sie auf, dass mit mathematischen Grundkenntnissen aus Klasse vier jedem Beteiligten schon während der Vorbereitung hätte klar sein müssen, dass diese Wahl keinen verfassungsmäßigen Ansprüchen genügen würde. Warnsignale habe es gegeben, aber sie seien ignoriert worden.
Die jetzt bekannt gewordenen Pannen seien wiederum „nur die Spitze des Eisbergs“, betonte die Richterin und folgte damit der Schlussfolgerung, die schon eine von Geisel selbst beauftragte Kommission gezogen hatte: Die Fehler waren struktuelle Fehler, ihr Umfang wird nie ganz aufgeklärt werden. Trotzdem hatte die Innenverwaltung unter Geisels Nachfolgerin Iris Spranger (SPD) darauf beharrt, dass es sich nur um Fehler im Detail handle, die mit einer dezenten Wahlwiederholung in einige Wahllokalen zu beheben sei.
Neuwahlen könnte es schon im Februar geben
Nun ist das Debakel da. Berlin ist – egal wie lange die finale Entscheidung des Gerichts noch auf sich warten lässt, Zeit ist bis kurz vor Jahresende – wieder im Wahlkampf, und es ist fraglich, ob Andreas Geisel, inzwischen Bausenator, in diesem noch eine relevante Rolle spielen kann. Berlin darf sich im Februar oder März auf erneute Wahlen einstellen.
Auch die Zukunft von Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) ist seit Mittwoch ungewiss. Laut Umfragen liegt ihre Partei klar unter den Ergebnis vom September 2021, würde derzeit nur drittstärkste Kraft und bei einer Wahl das Rote Rathaus verlieren. Für die Fliehkräfte im rot-grün-roten Bündnis bedeuten die Ausführungen des Gerichts Aufwind. Denn die internen Kritiker*innen im Regierungsbündnis haben sich insbesondere auf Giffey und Geisel eingeschossen.
Doch wie soll Wahlkampf in diesen Zeiten, in der schwierigsten Krise der Bundesrepublik seit 1945, funktionieren? Die nächsten Monate werden mit Krisen und Wahlkampf eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten, wenn Parteiprofilierung nicht auf Kosten der Akzeptanz der Demokratie insgesamt passieren soll.
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