Mögliche Entführung in Berlin: Aus dem Tiergarten nach Vietnam
Mitten in Berlin soll Vietnams Geheimdienst einen in Ungnade gefallenen Exfunktionär entführt haben. Nun ist er wieder aufgetaucht – in Hanoi.
Doch deren Sprecher, Martin Steltner, möchte sich nicht äußern. Die britische BBC und vietnamesischsprachige Onlinemedien aus Berlin berichten aber bereits, unabhängige deutsche Zeugen hätten die Entführung gesehen und gegenüber der Polizei bestätigt. Das 51 Jahre alte Opfer soll den Berichten zufolge in ein Auto verschleppt und anschließend in ein europäisches Nachbarland gebracht worden sein.
An diesem Montag ist das Entführungsopfer, Trinh Xuan Thanh, in Hanoi wieder aufgetaucht. Dort soll sich der Mann, der in Vietnam per Haftbefehl gesucht wird, staatlichen Zeitungen zufolge freiwillig den Ermittlern gestellt haben.
Berlins Polizeisprecher Wenzel sagte dazu: „Auch wir gehen davon aus, dass der Mann in Hanoi ist. Auf welchem Weg er dorthin kam, ist für die Ermittler unklar. Der endgültige Beweis dafür steht aber noch aus.“ Die Staatsmedien in Hanoi hätten kein aktuelles Foto des Mannes präsentiert.
Von einer Entführung sprechen Hanoier Quellen nicht. Seit April berichten Staatsmedien aber, dass der Geheimdienst den Mann international suche. Gegen Thanh liegt seit September ein Haftbefehl vor. Der wurde zwar auch an Europol weitergeleitet, doch Ermittler in Deutschland haben ihn nach Informationen der taz nicht verfolgt. Der Tatvorwurf „Verletzung der Rechtsvorschriften von Vietnam“ sei zu unkonkret gewesen.
Asylantrag in Deutschland
Trinh Xuan Thanh war in Vietnam politischer Funktionär. Er war Vorstandsvorsitzender der staatlichen Petro Vietnam Construction Corporation, eines Unternehmens für Erdölfördertechnik, Vizechef einer Provinz im Mekongdelta im Süden des Landes. Außerdem gehörte er dem Parlament an. Anfang der 1990er Jahre, zwischen seinem Studienabschluss und der Karriere in Vietnam, lebte er kurzzeitig in Deutschland, beantragte hier Asyl, kehrte dann aber freiwillig nach Vietnam zurück.
Im September 2016 fiel Trinh Xuan Thanh in Hanoi in Ungnade. Er verlor sämtliche Funktionen, ihm wurden alle Ehrungen aberkannt. Sofern es sich dabei um Geldprämien oder andere materielle Zuwendungen handelte, wurde er zur Rückgabe verpflichtet. Das engste Führungsgremium der Kommunistischen Partei schloss ihn in Abwesenheit aus der Partei aus – ohne Gegenstimmen. Festgenommen werden konnte er nicht, weil er im Ausland war – an einem unbekannten Ort, wie vietnamesische Medien schrieben.
Die Ermittlungen gegen den Funktionär kamen ins Laufen, nachdem Thanh im September bei einem privaten Ausflug in einem Luxusauto mit Regierungskennzeichen fotografiert worden war. In Vietnam, wo Korruption und Amtsmissbrauch weit verbreitet sind, ist das nicht weiter schlimm.
Doch offensichtlich hatte sich Thanh einen mächtigen Mann zum Feind gemacht: KP-Chef Nguyen Phu Trong. Der ordnete eine Untersuchung des Erdölunternehmens an, dabei kam vietnamesischen Medienberichten zufolge Unterschlagung in Millionenhöhe zutage. Das ist in Vietnam nicht ungewöhnlich. Im weltweiten Korruptionsindex von Transparency International rangiert der Staat auf Platz 112 von 168 Ländern. Während Thanh im Ausland untertauchen konnte, wurden drei Mitbeschuldigte vor ein vietnamesisches Gericht gestellt.
Den Parteichef zum Feind
Das ist die eine Geschichte. Die andere, die Thanh selbst einem vietnamesischen Blogger in Berlin erzählt hatte, handelt davon, dass er innerhalb der KP Wortführer einer Gruppierung gewesen sei, die dem Parteichef gefährlich geworden sei. Der war es auch, der zwischen dem Verschwinden Thanhs vor elf Monaten und seinem Wiederauftauchen immer wieder gefordert hatte, ihn mit Hochdruck zu suchen.
Wie Thanh auf einem Blog schrieb, wollte er im Ausland auspacken und Machtstrukturen in höchsten Partei- und Regierungskreisen aufdecken. Der Ort, von dem aus er das tun wollte und wo er politisches Asyl beantragt hatte, blieb geheim.
Doch Thanh war nicht vorsichtig genug. Im letzten Herbst wurde er in einem Park fotografiert. Auf einem der Fotos waren auch Teile einer Skulptur und eines Pavillons zu erkennen. Vietnamesische Leser wollen Skulptur und Pavillon im Treptower Park in Berlin gefunden haben. Der Geheimdienst musste ihn also in Berlin suchen.
Eine Entführung durch einen ausländischen Geheimdienst auf deutschem Boden sollte eigentlich das Auswärtige Amt auf den Plan rufen. Doch das sagte der taz: „Uns liegen keine eigenen Erkenntnisse vor.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt