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Modernes Sexualstrafrecht nach MeTooEndlich! Ein feministischer Erfolg!

Frankreich und Norwegen wollen das „Ja heißt Ja“-Prinzip einführen, das Zustimmung zu Sex erfordert. Das Thema löst prompt starke Gefühle aus.

Danke Gisèle: Pelicots Mut zur Öffentlichkeit hat die Politik in Frankreich offensichtlich unter Zugzwang gesetzt Foto: Manon Cruz/reuters

D ieser Text will alle mitnehmen. Auch diejenigen, die mit Gefühlen nicht so gut zurechtkommen, etwa weil sie ihnen vom Patriarchat abtrainiert oder verboten werden. Deshalb zunächst, ganz sachlich, die Nachricht.

Schon dreizehn europäische Staaten haben das Prinzip „Ja heißt Ja“ in ihr Strafrecht übernommen. Das verlangt die Istanbul-Konvention, bindendes Völkerrecht für die beteiligten Mitglieder des Europarats.

Nun haben zwei weitere Länder vor, internationales Recht in nationales Recht zu überführen. In Frankreich hat die Nationalversammlung einen Entwurf angenommen, der eine Anpassung des Sexualstrafrechts vorsieht. In Norwegen plant die Justizministerin einen ähnlichen Vorstoß.

Waaas?, werden jetzt einige empört rufen. Muss man dann vor dem Rummachen etwa einen Vertrag unterschreiben? Das versaut doch die ganze Stimmung. Was soll die Scheiße?!

Vergewaltiger werden selten verurteilt. Das liegt auch an Nein heißt Nein. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!

Ganz ruhig. Bevor die Gefühle doch noch mit irgendwem durchgehen, zurück zur sachlichen, juristischen Bedeutung der Reform: Sie besagt, dass Sex nur mit Zu­stimmung aller Beteiligten legal ist. Und das wollen ja angeblich eh alle, also kein Grund zur Aufregung. Wer nicht übergriffig sein will, beachtet ohnehin die nonverbalen und verbalen Signale des Gegenübers – und kann sich weiter den guten Gefühlen hingeben.

Einbrechern muss man auch nicht widersprechen

Um die Reform zu verstehen, ein Vergleich: Stellen Sie sich vor, ein Einbrecher kommt in Ihr Haus. Sie sind total überrumpelt, vielleicht panisch und unfähig zu handeln, wie gelähmt. Dann klaut er auch noch Ihre Uhr. Landet der Fall vor Gericht, ist völlig egal, wie Sie sich in dem Moment gefühlt und ob Sie geschwiegen haben. Sie können sich auf das Haus- und Eigentumsrecht berufen. Für eine Verurteilung reicht, dass Sie dem Einbrecher nicht zugestimmt haben.

Klingt logisch? Das Gleiche sollte für die sexuelle Selbstbestimmung gelten. Doch bislang folgen Länder wie Deutschland dem „Nein heißt Nein“-Prinzip. Das heißt: Es muss eine objektiv erkennbare Ablehnung des Sexualkontakts nachgewiesen werden. Als Vergewaltigung gilt sonst ausschließlich Sex, der durch Gewalt, Drohung oder ähnliche Mittel erzwungen wurde. Ein Grund, warum Schuldige so selten verurteilt werden. Selbst wenn Gerichte den Betroffenen glauben. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!

Und nun zu den Gefühlen, die mit der Reform in Frankreich verbunden sind: Überraschung, Freude, Scham, Hoffnung. Frust.

Überraschend ist, dass bürgerliche Par­tei­po­li­ti­ke­r*in­nen überhaupt noch sinnvolle Gesetze auf den Weg bringen. In Frankreich stimmte eine illustre Mixtur aus zerstrittenen Macronisten, Grünen und Linken dafür.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ein feministischer Erfolg

Erfreulich ist, dass Gerichtsverfahren für Betroffene ein klein wenig erträglicher werden könnten. Denn künftig ist es der Angeklagte, der im Fokus steht und nachweisen muss, dass es Zustimmung gab. Mit „Ja heißt Ja“ wechselt die Scham also auch im juristischen Prozess die Seite – so wie Gisèle Pelicot es forderte. Die Französin war über Jahre immer wieder von ihrem Ehemann betäubt und Männern zur Vergewaltigung angeboten worden.

Hoffnung machen kann das Vorhaben allen, die seit Langem gegen sexualisierte Gewalt kämpfen. Erfolge sind möglich! Um die MeToo-Bewegung war es ruhiger geworden. Pelicots Mut zur Öffentlichkeit hat die Politik in Frankreich offensichtlich unter Zugzwang gesetzt. Deutschland hat – hier kommen wir zum Frust – eine „Ja heißt Ja“-Regelung auf EU-Ebene bisher blockiert.

Nicht ausgeschlossen, dass die wachsende Zahl an Ländern, die ihr Sexualstrafrecht reformieren, den Druck erhöhen. Den braucht es. Denn freiwilliges feministisches Handeln ist von der neuen Bundesregierung nicht zu erwarten. Und das versaut doch die ganze Stimmung. Was soll die Scheiße?!

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Lotte Laloire
Lotte Laloire ist Mitte 30 und immer noch links. Sie arbeitet seit 10 Jahren als Journalistin - für Medien wie taz, nd (Neues Deutschland), Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Jungle World, Brigitte oder Deutschlandfunk.
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