Moderatorin Bettina Rust: Die Kunst der Nebensächlichkeit
Sie ist die Interviewerin mit der markanten rauen Stimme. Bettina Rust liebt Musik und sagt lieber „Du“ als „Sie“ – auch wenn das als verpönt gilt.
Doch dann legt sie los. Sie erzählt eine Liebesgeschichte aus Jugendtagen. Von Stefan, dem „perfekten Jungen“ mit langem blondem Haar und weißen Zähnen, der eines perfekten Morgens Schinken-Käse-Rührei machte und dann „Washington“ von Lucio Dalla auflegte. Ein wunderbarer Song sei das, bis heute. Oder noch früher, im Zeltlager, als aus riesigen Boxen plötzlich „Shine on You Crazy Diamond“ von Pink Floyd lief. „Ein Erweckungserlebnis“. Oder „Nude“ von Radiohead, bei dem sich die tektonischen Platten verschieben. „Draw Your Sword“ von Angus and Julia Stone „kommt einem Gottesbeweis nahe“ und „Molotov“ von Seeed sei unfassbar kraftvoll.
Stundenlang kann Bettina Rust über Musik reden. Als sie sich in einem Café in Berlin-Schöneberg durch die 160 Gigabyte Musik auf ihrem Ipod wühlt, durch rund 30.000 Songs, wirft sie vergnügt den Kopf in den Nacken. Sie grinst, nickt, erinnert sich.
Musik ist auch das Gerüst bei „Hörbar Rust“, der Radiosendung, die die 47-Jährige seit 13 Jahren jeden Sonntagnachmittag beim Berliner Sender „Radio Eins“ moderiert. Ein prominenter Gast, zwei Stunden Gespräch und Musik. Die Musik bringen die Gesprächspartner mit, ebenso wie Anekdoten zu einzelnen Songs. Bettina Rust gelingt es meist, ihre Gäste in sehr persönliche Gespräche zu verwickeln. Sie hat keinen journalistischen Ansatz, sie will nichts aufdecken, will keinen Politiktalk, auch wenn sie Politiker in der Sendung hat.
Akribisch wie eine Gerichtsmedizinerin
„Ich bin bei der Vorbereitung akribisch, wie eine Gerichtsmedizinerin“, sagt Rust. Sie bohrt mit ihrem Zeigefinger ein imaginäres Loch in der Luft. „Ich lese auch deshalb so viel über meine Gäste, um herauszufinden, was ich nicht fragen will.“ Geschichten, die schon zigmal erzählt sind, will sie nicht noch einmal hören. „Mich interessieren Dinge rechts und links des Weges.“
Häufig muss sie nicht auf die vorbereiteten Fragen zurückgreifen. Sie liebt den natürlichen Gesprächsverlauf, ohne Regie, ohne Ziel, aber immer mit Humor. Mit manchen Gästen lacht sie sich zwei Stunden durch die Sendung. Das kann albern wirken, aber auch vertraut und persönlich.
Es sind oft die nebensächlich wirkenden Fragen, die die Gespräche auszeichnen. Benjamin Stuckrad-Barre fragte sie, ob er wisse, wo sein Reisepass liege, Frank Schätzing fragte sie nach seinen bunten Armbändern. Daraus ergeben sich häufig spannende Erzählungen, die mehr aussagen über die Persönlichkeit eines Gastes als offensichtliche Fragen.
„Die Gesprächspartner spüren, dass ich gut vorbereitet bin, und sie spüren, dass ich ihnen nichts Böses will.“ Wenn sie Moritz Bleibtreu auf seine Werbung für McDonald’s anspricht, klingt der nicht so, als fühle er sich angegriffen. Jürgen von der Lippe sagt sie, dass sie von seinen Altherrenwitzen genervt ist – ihn aber trotzdem sehr mag. Sie ist ehrlich – oder auch derb. Ein Gegensatz zum sonst so fröhlich-freundlichen Ton im Radio und Fernsehen.
Zufällig zum Radio gekommen
Ins Radio ist sie zufällig gerutscht durch einen Uni-Workshop. Es folgten ein Volontariat beim Privatsender und eine Tour durchs deutsche Nischen-TV: Eine Call-in-Show bei Premiere, Talkshows bei tm3 und Kabel 1. Und schließlich Sat1.
Dort scheiterte sie am Politischen. Sie moderierte 2005 „Talk der Woche“. Nach 10 Sendungen war Schluss. Schlechte Quoten, schlechte Performance. Das muss man sagen. Nie zuvor oder danach wirkte sie so angespannt wie auf diesem Stuhl, zwischen Otto Schily und Harald Schmidt. „Ich hatte gegen mein Bauchgefühl entschieden“, sagt sie heute. „Politischer Talk, das liegt mir nicht.“
Seitdem macht sie nur noch Sendungen, in denen sie sich wohl fühlt. Bei Tele 5 etwa bis Ende 2013 eine Show, in der Promis anhand ihrer Lieblingssongs erraten werden mussten. Beim NDR aktuell eine Repotragereihe, in der sie Menschen einen Tag in ihrem Alltag begleitet.
Und beim RBB „Stadt, Rad, Hund“ (Donnerstag, 22.15 Uhr). Gerade ist die Sendung in die dritte Staffel gegangen. Sie fährt mit dem Fahrrad durch Berlin und trifft Prominente in ihrem Kiez. Mischlingshündin Elli ist immer dabei. „Das Konzept ist nach dem Leben entstanden“, sagt sie. „Ich bin immer mit Hund und Rad durch Berlin gefahren. Zum Einkaufen, Arbeiten und um Leute zu besuchen.“ Eine ehemalige RBB-Redakteurin habe sie gesehen und die Idee zur Sendung gehabt.
Bettina Rust zu siezen fühlt sich falsch an. Rutscht einem im Gespräch mit ihr ein „Sie“ raus, reagiert sie irritiert. Also „du“. Was bei anderen übergriffig wirken kann, wirkt bei ihr natürlich und entspannt.
Auch die meisten Gäste duzt sie. Ob Klaus Wowereit, Norbert Bisky oder Armin Rohde. „Ich weiß, das ist verpönt im deutschen Fernsehen oder im Radio“, sagt sie. „Aber ich finde duzen gut. Ich mag das einfach.“ Häufig kommt das Du nicht von ihr, sondern von den Gästen.
Nähe und Humor
Mit Respekt habe das nichts zu tun, sagt sie. „Es setzt eine gewisse Vertrauensbasis voraus, die gut ist für eine solche Gesprächssendung.“ Auch dieses Du macht ihre Sendungen besonders. Journalisten wahren durch das Sie Distanz. In dieser Logik ist Bettina Rust keine Journalistin. Sie will Nähe, sie will Humor. Sie interessiert sich für Menschen, nicht für Status.
Manchmal stimmt die Chemie trotzdem nicht. Doch gerade die Sendungen mit vermeintlich schwierigen Gästen werden oft gut. „Vielleicht weil ich mich besonders anstrengen muss“, sagt Rust. Sie erinnert sich da etwa an Peter Scholl-Latour (“wahnsinnig unsympathisch“) und Fritz J. Raddatz (“Ich hatte Angst, dass er sich mir komplett verweigern würde“). Manche Gäste hinterlassen auch anderweitig einen bleibenden Eindruck bei ihr.
Seit langer Zeit stellt Bettina Rust am Ende des Jahres eine CD zusammen mit den besten Songs, die ihr begegnet sind. Für Familie und Freunde. „Wenn ich mir ein Tattoo stechen lassen würde, dann ‚Music is my husband‘“, sagt sie. Bettina Rust liebt es, ihre Musik zu verbreiten, sie ist stolz, wenn sie anderen neue musikalische Horizonte eröffnen kann.
Manchmal auch ehemaligen Gästen. Henry Hübchen etwa. Ihm schickte sie Monate nachdem er in der „Hörbar“ war, eine ihrer Jahres-CDs, auf der auch der Song „Draw Your Swords“ war. Er war begeistert.
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