piwik no script img

Mobilitätswende in KielDie Rückkehr der Straßenbahn

Das einzige öffentliche Verkehrsmittel in Kiel ist der Bus. Deshalb soll es wieder eine Straßenbahn geben. Das ist dringend nötig.

Zur Stoßzeit ziemlich voll: Busse am Kieler Hauptbahnhof Foto: Thomas Eisenkrätzer

Kiel taz | Spricht man am Bussteig vor dem Kieler Hauptbahnhof Pas­san­t:in­nen darauf an, dass es in ihrer Stadt bald eine Straßenbahn geben soll, sagt der eine: „Das wird doch noch 50 Jahre dauern.“ Eine andere sagt: „Die Idee ist doch uralt.“ Und eine dritte Person erinnert sich: „Eine Straßenbahn gab’s doch früher mal.“

Auch Kiel hat sich zum Ziel genommen, die Mobilitätswende vor Ort voranzubringen. Dafür soll der ÖPNV nicht einfach nur in kleinen Schritten ausgebaut werden, wie es die meisten anderen Städte im Norden machen, sondern gleich um ein neues Verkehrsmittel erweitert werden: die Straßenbahn. Erste grobe Trassenpläne für drei Linien mit einem gemeinsamen Schnittpunkt am Hauptbahnhof gibt es schon.

Während sich die Begeisterung in der nicht-repräsentativen Mini-Umfrage in Grenzen hält, sind andere Kie­le­r:in­nen deutlich optimistischer. „Derzeit stehen die Chancen so gut wie nie“, sagt Jan Niemeyer. Er setzt sich seit neun Jahren für die Straßenbahn in seiner Stadt ein. Der 32-Jährige ist Vorsitzender des Vereins „Tram für Kiel“. Wird das wirklich etwas bringen? Ist das problemlos umsetzbar? Wem, außer dem Klima, nützt das Vorhaben? Und steht dem Projekt noch etwas im Weg?

Bei einer Busfahrt – Kiels einzigem öffentlichen Verkehrsmittel – entlang einer der geplanten Trassenführungen will Niemeyer über das Projekt reden, dass aus seiner Sicht nicht nur mit Mobilität zu tun hat. „Es geht hier auch um Teilhabe, um Stadtentwicklung und die Frage, wie wir zusammen leben wollen in einer Stadt.“

Mit der 14 nach Mettenhof

Im 15-Minuten-Takt hält die Buslinie 14 Richtung Mettenhof am Hauptbahnhof. Es ist Mittagszeit, Schüler:innen, Alte und Mittelalte mit Einkaufstüten aus dem Shopping-Center gegenüber drängeln sich vor der einzigen geöffneten Tür vorn beim Fahrer, um einzusteigen. Der Busfahrer schaut sich jeden Fahrschein genau an. Ein junger Mann kauft bei ihm ein Ticket und legt das Geld auf die Kasse. Doch die Hebel, die das Rückgeld in die kleine Schale spülen sollen, klemmen.

Drei Mal haut der Busfahrer laut auf die Kasse, wo sich offenbar irgendetwas verhakt hat. Danach kommt das Rückgeld unten in der Schale an. Niemeyer lächelt. „Jetzt warten wir schon mehr als zwei Minuten, um in den Bus einsteigen zu können“, sagt er. So lange dauere es in den Bussen zwar nicht an jeder Haltestelle, „aber da kommt viel Wartezeit zusammen“.

Einfach einsteigen, das klappt hier nicht. Als der Bus am Bahnhof losfährt, ist er gerammelt voll. „An eine Straßenbahn packst du in den Stoßzeiten mehr Wagen dran“, sagt Niemeyer. Eine höhere Taktung der Busse würde das Problem nicht lösen. Es führe eher zu neuen Problemen: Schon jetzt werde händeringend nach Fah­re­r:in­nen gesucht. Auf dem kleinen Fernsehbildschirm unter dem Busdach ploppt alle zwei Minuten eine Werbung der Kieler Verkehrsgesellschaft KVG auf; sie bemüht sich jetzt darum, Lkw-Fahrer:innen für einen Berufsumstieg zu gewinnen. „Und wenn noch mehr Busse eingesetzt werden, stehen sich die Busse im Weg rum.“

Im Weg steht plötzlich auch ein Auto, dass vor dem Bus aus einer Parklücke fährt. Der Busfahrer macht eine Vollbremsung, selbst die im Bus Sitzenden halten sich an Griffen und Stangen fest. „Eine eigene Spur für die Straßenbahn muss einfach sein“, sagt Niemeyer. Später, auf der Rückfahrt, kippt bei einem ähnlichen Bremsmanöver ein im Bus abgestellter Kinderwagen um.

Qualität des ÖPNV auch eine soziale Frage

Mettenhof liegt am Rand von Kiel, direkt danach gehen die Felder los. Zwischen Zentrum und Mettenhof, zur Linken, ist man auch schon kurz im Grünen – der Stadtteil ist abgekapselt vom Rest der Stadt und gleichzeitig ihr größter. In der in den 1960er-Jahren erbauten Großwohnsiedlung leben fast 20.000 Menschen: viel Beton, viel Armut, viel Arbeitslosigkeit.

Am „Weißen Riesen“, dem höchsten Wohnhochhaus der Stadt, dessen Fassadenfarbe abbröckelt, steigen wir aus. Der Skandinaviendamm, der aus der Innenstadt herführt, ist so breit, als wäre er für Militärparaden angelegt: Vier Autospuren, ein breiter, grüner Mittelstreifen, dazu gibt es noch einen Fahrrad- und Fußweg und selbst für Bushaltebuchten ist noch Platz. „Baulich wäre die Trasse hier sicher kein Problem“, sagt Niemeyer. Zwei Autospuren weg, zwei Straßenbahngleise dafür hin und dann: einfach einsteigen.

Niemeyer – Sneaker, Jeans, roter Baumwollpulli und Regenjacke drüber – ist gerade mit dem Jura-Studium fertig. „Seit drei, vier Jahren sind viele Jüngere dabei“, sagt Niemeyer über den Verein. Eine neue Generation sei jetzt dabei, für die eine Straßenbahn nicht aus technischen Gründen eine tolle Sache ist, sondern weil sie angesichts der Klimaerhitzung die Mobilitätswende voranbringt. Und weil die Qualität eines ÖPNV auch eine soziale Frage sei.

Straßenbahn sei jetzt kein Nerd-Thema mehr, sagt Niemeyer. Obwohl, „mittlerweile bin ich wohl auch ein Nerd“. Denn seitdem vorletztes Jahr eine Grundlagenstudie veröffentlicht wurde, bekommt die alte Idee Rückenwind – und die Pläne werden immer detaillierter, sodass auch Niemeyer tief in der Materie steckt.

Scheitern nicht ausgeschlossen

Dennoch, oder gerade deswegen, ist nicht ausgeschlossen, dass das Projekt noch scheitert. Das weiß auch Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD). „Das Stirnrunzeln kommt immer erst, wenn es konkret wird“, sagt Kämpfer und nennt, wie Niemeyer auch, die Namen zweier Städte: Aachen und Wiesbaden. Dort sind Pläne für den Bau einer Straßenbahn auf die denkbar nachhaltigste Weise gestoppt worden: per Bürgerentscheid.

Der Gegenwind gegen die beiden Vorhaben war dort erst gekommen, als alle Be­für­wor­te­r:in­nen schon dachten, der Straßenbahn stünde nichts mehr im Weg. In Wiesbaden mobilisierte die FDP mit ihrem politischen Know-how die Gegner:innen. Es werden einige Jahrzehnte vergehen, ehe sich Be­für­wor­te­r:in­nen wieder trauen, die Idee auf die Agenda zu setzen. Auch Niemeyer sagt: „Das kann noch hässlich werden.“

Nun reicht die Debatte um die Wiedereinführung einer Straßenbahn in Kiel bald ein Vierteljahrhundert zurück. „Mitte der 1990er gab es schon die ersten Vorschläge“, sagt Niemeyer. Eine „Stadt-Regional-Bahn“, die auch die umliegenden Gemeinden auf der Schiene einbinden sollte, sollte nach Kiels Wünschen entstehen. 2015, nach knapp 20 Jahren, gab Kämpfer das Aus der Pläne bekannt: Die umliegenden Kreise wollten nicht mitziehen. Nun will es Kiel innerhalb der Stadtgrenzen erneut versuchen.

Bislang ist die Kritik jedoch erstaunlich leise. Mit einigen Gewerbetreibenden werde bei Gesprächen manchmal sehr kontrovers gestritten, sagt Kämpfer. Ansonsten ist in Kiel selbst die FDP für die Straßenbahn.

Drängelnde „Fridays For Future“-Generation

Dem Eindruck, das Projekt werde zurückgelehnt, gar bewusst langsam vorangetrieben, um Skep­ti­ke­r:in­nen nicht das Gefühl zu geben, hier würde eine Idee überstürzt umgesetzt, widerspricht Kämpfer vehement. Im Zwei-Wochen-Takt würden derzeit wichtige Entscheidungen bei den Plänen fallen. „Wir arbeiten daran so schnell wie möglich.“ Wer wie die „Fridays For Future“-Generation sagt, dass die Zeit drängt, dem genüge das natürlich nicht. Es sei aber besser, bereits jetzt Konflikte auszutragen, um zu einer Lösung zu kommen.

Dennoch: Vor dem Jahr 2030 wird wohl kaum eine Bahn durch die Stadt rollen, eher wird es später. „Aber wenn wir unsere Partnerstadt Aarhus ansehen, ist klar: Wir hängen der Entwicklung 15 Jahre hinterher“, sagt Kämpfer. In Aarhus gibt es seit 2017 wieder eine Straßenbahn, nachdem der Betrieb der alten Wagen 1971 eingestellt worden war.

Auch in Kiel gab es früher schon einmal ein Straßenbahn, doch sehen lässt sich das in der Stadt fast nicht mehr. Abgesehen von einem Wendehammer im nordwestlichen Stadtteil Wik sind die letzten Spuren der Vergangenheit mittlerweile überteert. 100 Jahre lang fuhr das Verkehrsmittel durch die Stadt: Während viele Städte in Deutschland schon in den 60er-Jahren die Straßenbahn zugunsten des Autoverkehrs einstellten, endete die letzte Fahrt in Kiel am 4. Mai 1985. „Es ist ja schon fast lustig: Als Kiel damals den Straßenbahnverkehr einstellte, begannen zum selben Zeitpunkt in Frankreich die ersten Pläne für eine Reaktivierung“, sagt Niemeyer.

Rostende Erinnerung an Kiels alte Straßenbahn

Rund 20 Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums, wenige Hundert Meter vor dem Schönberger Strand, stehen noch einige Wagen der alten Kieler Straßenbahn herum. Gras wächst dort zwischen den Schienen, alte Briefkästen und eine Telefonzelle der Bundespost sind auch Teil des öffentlich zugänglichen Außenmuseums. Auf der Rückseite des kleines Backsteinbahnhofs stehen noch Zugwaggons aus Kaiserzeiten.

Auf der vorderen Seite, unter einer zu den Seiten offenen Halle, stehen drei Wagen, die bis 1985 durch Kiel rollten. Mit dunklem Holz sind die Wagen innen vertäfelt, die harten, schmalen Holzbänke versprühen antiken Charme, auch wenn darauf heute wohl niemand mehr gern sitzen würde.

Ihre weiß lackierten Außenfassaden rosten an vielen Stellen vor sich hin. Der alte Werbeschriftzug des Hapag-Lloyd-Reisebüros blättert langsam ab. Noch immer klebt das Linienschild auf der Innenseite des vorderen Fensters: Die 4 von Holtenau über Gaarden und den Hauptbahnhof nach Wellingdorf. Auch auf dieser Route könnte bald wieder eine, natürlich viel modernere Straßenbahn rollen

Niemeyer ist drei Jahre nach der Einstellung der Straßenbahn in Kiel geboren. Ihre Historie kennt er trotzdem, allein schon, weil die künftig denkbaren Trassen wieder dort entlang führen werden, wo auch die alten Wagen, die am Schönberger Strand herumstehen, fuhren. Ungeduldig ist Niemeyer mittlerweile nicht mehr. „Je mehr ich mich mit dem Prozess beschäftige, desto eher kann ich die Dauer verstehen.“ Auch wenn es zu wünschen wäre, dass das Projekt vorankommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "Bei einer Busfahrt – Kiels einzigem öffentlichen Verkehrsmittel –": falsch, denn es gibt die Fördedampfer als Öffis in Kiel. Bitte erst recherchieren, dann schreiben!

  • Ganz schlecht recherchiert!



    Die "14" fährt nur gemeinsam mit der "15" im Viertelstunden-Takt, dies aber nur vormittags. Ansonsten im 10 Minuten Takt. Abends allerdings lediglich halbstündlich, was eindeutig zu selten ist.



    Es Bedarf keiner Straßenbahn (bzw Stadtbahn, wie es neudeutsch genannt wird), sondern zunächst sollte das vorhandene Verkehrsmittel besser nutzbar sein: Wie schon gut erkannt wurde, ist das "nur vorne einsteigen" das eigentliche Problem! Die meisten bleiben dann auch vorne, womit es künstlich voll wird, Währenddessen im hinteren Bereich sogar noch Sitzplätze frei sind.



    Bei sinnvoller Planung stehen sich die Busse auch nicht im Weg. Die Kieler Hauptprobleme sind hierbei:



    1.Alle Busse müssen unbedingt über Hbf fahren,



    2. Abends und sonntags müssen zum Überfluss auch noch alle gleichzeitig abfahren



    3. Idiotische Linienführungen führen dazu, dass bestimmte Abschnitte ein völliges Überangebot haben (z. B. Holtenauer Str.), während andere Gebiete äußerst dürr angeschlossen sind (z. B. Feldstr. oder Knooper Weg).



    Unattraktiv lange Fahrtzeiten, Busse ohne Klimaanlage oder wenigstens natürliche Belüftung (ausreichend Fenster zum öffnen) und nahezu gar keine Direkt- bzw. Querverbindungen (wie erwähnt, alles muss unbedingt über Hbf fahren) sprechen gegen die Nutzung der Busse. Man kommt einfach nicht ans Ziel mangels Anbindung oder die Fahrt dauert 3-4x so lang als mit PKW bzw. teilweise sogar länger als mit dem Fahrrad.



    Neben dem Bus gibt es zwar noch die Möglichkeit per Fähre oder Bahn zu fahren, letztere hat allerdings nur ausgewählte Fahrten, die auch tatsächlich an den neu gebauten Haltepunkten hält.



    Bevor also Millionen für ein neues Verkehrsmittel ausgegeben werden, muss das bisherige ausgebaut werden. Fahrpersonal gibt es übrigens genug, die Masche hier ist aber, es werden nur gesponsorte Bewerber vom Jobcenter für 1 Jahr eingestellt, um die Prämie zu kassieren, inkl. 2-monatiges Praktikum ohne Entgeltzahlung. Danach beginnt der neue Kurs.

  • Nicht die Straßenbahn machts, sondern das Gesamtkonzept. Nur eine Türe offen zum einsteigen, Zahlen beim Fahrer, Probleme mit dem Autoverkehr, all das lässt sich lösen ohne neues Verkehrsmittel (Monats und Streifenkarten, Fahrscheinentwerter, Jahresticket) oder Kapazitätserweiterungen durch Gelenkbusse, eigene Busspur.... Man könnt sogar Hauptstecken für O-busse elektrifizieren. Die Frage ist eher, ob man den PKW Verkehrsraum wegnehmen möchte.

  • Einfach mal über den Tellerrand:

    de.wikipedia.org/w...enbahn_L%C3%BCbeck



    “ Die Straßenbahn Lübeck in der Hansestadt Lübeck bestand von 1881 bis 1959.“



    &



    Heute - wenn ich mich mit stroke-Schäden in einen der Buse quäle.



    Verfluche ich die völlig abgefuckte Beseitigung der Straßenbahn!



    Die über ein völlig seperates Schienennetz bis in die Vororte verfügte.



    Angeblich wg einiger Engstellen in der Innenstadt,



    Die heute autofreie sind.



    &



    de.wikipedia.org/w...a%C3%9Fenbahn_Kiel

    kurz - Eine absurde Fehlplanung.



    Es sei daran erinnert - daß die Kabelbahn San Francisco.



    Trotz massiver Bestechungen seitens Henry Fords mit nur 1 - 2 Stimmen “gerettet wurde“!



    de.wikipedia.org/w...ancisco_Cable_Cars



    Vor allem: Alles nicht zufällig. Cui bono. That‘s the point.



    Masel tov