piwik no script img

Mobilitätswende in BerlinIdeologische Grundlagen

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

In Berlin stellt die neue Verkehrssenatorin die Radwege-Uhr zurück. Dabei muss die Zukunft jetzt an den Planungstischen entschieden werden.

Umstrittenes Stückchen Straße auf der Ollenhauer Foto: picture alliance/dpa/Annette Riedl

D er CDU-geführte Senat ist in Berlin noch keine 100 Tage im Amt, da scheinen sich die schlimmsten Befürchtungen der Verkehrswendebewegung zu bewahrheiten. Mit ihrer Ankündigung, alle geplanten Radwegprojekte stoppen und überprüfen lassen zu wollen, sollten dadurch Parkplätze oder Fahrspuren wegfallen, löste die frischgebackene CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner ein stadtweites Beben aus: Die Bezirke sind entsetzt und fürchten verfallende Fördermittel; Fahr­ra­dak­ti­vis­t:in­nen veranstalten fast täglich Demonstrationen.

Vergangene Woche legte Schreiner noch einmal nach, indem sie ankündigte, den letzten Teil von Berlins wegweisendem Mobilitätsgesetz „überarbeiten“ – ergo grundlegend entkernen – zu wollen. So werden Passagen, die eine Reduktion von Parkplätzen oder des Auto­verkehrs vorgesehen hatten, voraussichtlich wegfallen.

Nun mag es wenig überraschen, dass eine Partei, die für rückwärtsgewandte Autopolitik steht, diese in der Regierung auch umsetzt. Doch dann sollte die CDU auch offen dazu stehen. Doch um den Zorn des Koalitionspartners SPD und der Stadtgesellschaft irgendwie im Zaum zu halten, flüchten sich Schreiner und ihr Chef Kai Wegner argumentativ in eine fantastische Parallelwelt, in der Mobilitätswende auch ohne den Rückbau von Autoinfrastruktur möglich sein soll.

Den Grundkonflikt der Verkehrspolitik, nämlich die Tatsache, dass öffentlicher Raum begrenzt, und damit die Frage, welcher Verkehrsteilnehmerin wie viel zugesprochen wird, immer eine politische ist, umschifft die CDU bei jeder Gelegenheit.

Entpolitisierter Wohlfühlsound

Stattdessen gibt es entpolitisierte Wohlfühlsounds. So beteuert die Verkehrssenatorin unentwegt, dass es ihr im Grunde nur um ein harmonisches Miteinander aller Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen geht: „Wir machen keine Politik für das Auto, wir machen keine Politik gegen das Auto, wir machen Politik mit dem Auto“, sagte sie am Donnerstag im Abgeordnetenhaus.

Mittlerweile fest zum Schreiner’schen Phrasenrepertoire gehört auch die Betonung der individuellen Entscheidungsfreiheit: „Ich möchte niemanden umerziehen“, sagte sie im taz-Interview – als hätte es unter Rot-Grün-Rot Umerziehungscamps für Au­to­fah­re­r:in­nen gegeben.

Schreiner und ihr Chef Wegner lassen keine Gelegenheit aus, die Verkehrspolitik des Vorgängersenats als „ideologisch“ zur verurteilen. Rot-Grün-Rot wäre es nur darum gegangen, Auto­fahre­r:in­nen zu piesacken und Parkplätze zu vernichten, so der Subtext vieler Aussagen der CDU-­Po­li­ti­ke­r:in­nen. Besonders Wegner inszeniert sich als „realistisch und pragmatisch“, ganz im Gegensatz zu den autohassenden Grünen.

Leider ist genau das, was die CDU als „ideologisch“ kritisiert, Grundlage für jede Verkehrsplanung. Ob in 20, 30 Jahren die meisten Menschen mit dem Auto, dem Fahrrad oder der Bahn zur Arbeit kommen, wird nämlich nicht in den Wohnzimmern entschieden, sondern auf dem Planungstisch. Menschen nutzten die Infrastruktur, die vorhanden ist. Da spielt es keine Rolle, ob ich leidenschaftlicher Rennfahrer bin, gern Flugtaxi fahre oder am liebsten mit dem Jetpack zur Arbeit düsen würde – wenn das Einzige, was mir zur Verfügung steht, eine Bahnverbindung ist, dann fahre ich Bahn.

Verkehrspolitik hat wenig mit den aktuellen Befindlichkeiten von Einzelpersonen zu tun, sondern mit der Frage, wie wir in Zukunft als Gesellschaft mobil sein wollen. Für die CDU ist die Antwort klar: mit dem Auto. Angesichts der Klimakrise, des enormen Platzverbrauchs und der Tatsache, dass nur ein Drittel aller Ber­li­ne­r:in­nen ein Auto besitzen, hat die Partei leider keine Argumente dafür.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Zukunft? Mit der CDSU? Nööö. Die kennen nur Vergangenheit....

  • Fahrrad Infrastruktur und ÖPNV hilft Autofahrenden, da diese Transportmittel wesentlich effizienter sind. Eine Spur, die in einen Radweg umgewandelt wird ersätzt ca. 3 zusätzliche Spuren. Wenn mehr Leute Rad fahren gibt es weniger Stau und das hilft den verbleibenden Autos.

    • @Alex3141:

      Nein, nein, nein.



      Alle müssen Auto fahren. Die Stadt muss so umgebaut werden, dass sie später aussieht, wie die Städte der USA.



      80% der Fläche Straßen oder Parkplätze. Der vereinzelte Fußgänger muss, wenn er es denn wagen sollte sich einer Ampel zu nähern, bei Grün dann mit einer Warnflagge die Straße überqueren. Kann ja niemand damit rechnen, dass jemand tatsächlich so dumm oder arm ist und ohne Auto unterwegs ist.