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Mobilitätswende gebremstParkplatz-Rettung verhindert Schulstraße

In Hamburg gibt es ein Moratorium zum Abbau von Parkplätzen. Damit stoppt Rot-Grün auch laufende Projekte für eine menschenfreundlichere Stadt.

Platz zum Spielen: fürs Straßenfest gesperrte Rellinger Straße September 2024 Foto: Katharina Lepik/ADFC

Hamburg taz | Es könnte so schön entspannt zugehen in der Rellinger Straße im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Kleinkinder könnten unbeschwert über die Straße laufradeln. Klönende Erwachsene könnten auf Bänken sitzend Eis essen, Erziehungsbeauftragte ihre Kinder sorgenlos zu Fuß zur Schule bringen. Das alles könnte unter Bäumen stattfinden, ohne Stress – und vor allem ohne Autos.

So jedenfalls sieht eine Visualisierung des Entwurfs aus für Hamburgs erste Schulstraße, eine 60 Meter autofreie Zone direkt vor der Grundschule Rellinger Straße. Geplant ist sie seit Jahren. Jetzt hat der Senat den Umbau gestoppt und auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Grund: die rot-grüne Regierung und ihr „Masterplan Parken“.

Dieser ist Teil des Koalitionsvertrages, auf den sich SPD und Grüne Ende April geeinigt haben. Erklärtes Ziel der Koalitionspartner ist es, die Parkplatzsituation in Hamburg zu verbessern. Zwar gebe es genug Parkplätze, diese seien aber nicht richtig auf die Stadt verteilt. Deshalb will die rot-grüne Regierung erst mal herausfinden, wie viele Autos und Parkplätze es wo in der Stadt überhaupt gibt.

Bis der Masterplan Parken dann ausklamüsert ist, und das ist der Knackpunkt, hat die Regierung alle bestehenden Parkplätze unter Artenschutz gestellt. Kein Parkplatz darf mehr irgendwelchen Umbauarbeiten zum Opfer fallen. „Parkplatz-Moratorium“ nennt das die Koalition. Von derzeit 31 Parkplätzen in der Rellinger Straße würden nach dem Umbau zur Schulstraße nur drei bleiben. Also: ein Prüffall.

Jetzt entscheidet die Behörde

„Für uns heißt das jetzt erst mal Stopp“, sagt Kay Becker, Pressesprecher des Bezirksamtes Eimsbüttel, das für die Planung der Schulstraße zuständig ist. Das Bezirksamt sei schon kurz davor gewesen, das Projekt Schulstraße auszuschreiben. Alle Planungen waren abgeschlossen. Die Bauarbeiten hätten noch vor den Sommerferien beginnen sollen.

„Wir haben die Schulstraße, wie alle anderen Maßnahmen auch, gemeldet“, sagt Becker. „Jetzt wird entschieden, ob die Maßnahme durchgeführt werden kann, umgeplant werden muss oder gar nicht durchgeführt werden kann.“ Wie lange das dauert, sei aktuell offen.

Durch die Parkplatz-Klausel liegt die Prüfung von Baumaßnahmen, immer wenn es um Parkplätze geht, nicht mehr in der Hand des Bezirks. Sie wandert zu den zuständigen Behörden eine Etage weiter oben in der Verwaltung, in dem Fall zur Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) und zum Hamburger Senat. Bisher war unklar, ob auch bereits fertig geplante Projekte wie die Schulstraße vom im Koalitionsvertrag beschlossenen „Parkplatz-Moratorium“ betroffen sein könnten.

Eigentlich ist die Schulstraße in Eimsbüttel so etwas wie eine Straße von unten. Sie wurde von einem Bündnis aus dem Elternrat der Grundschule und der Initiative Kurs Fahrradstadt angestoßen. An dem Projekt wird seit 2023 geplant. In die Planungsphase hat das Bezirks­amt An­woh­ne­r:in­nen und Schü­le­r:in­nen der Grundschule mit ihren Ideen einbezogen.

Der plötzliche Stopp der Realisierung der Schulstraße ist ein fatales Signal für die Schüler*innen

Katharina Lepik, Projektleiterin beim ADFC

Die Schulstraße sollte Platz für einen Fahrradweg bieten, für Sitzbänke, Bäume, Blumenkästen und dazwischen Platz zum Spielen für die Grundschulkinder. Anders als viele Schulstraßen soll das Straßenstück nicht nur zu Schulbeginn und -ende, sondern dauerhaft für Autos gesperrt werden.

Katharina Lepik, Projektleiterin für Kinder- und Jugendmobilität beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Hamburg kritisiert den Stopp des Umbaus scharf. Die Schulstraße sei nicht nur aus Sicherheitsgründen für die Schulkinder nötig. Sie erhöhe auch die Aufenthaltsqualität für Anwohnende und Passant:innen. „Die Straße ist stark beparkt. Sie ist zu Bring- und Holzeiten mit Elterntaxis verstopft, die Bürgersteige sind schmal und es gibt wenig Platz“, sagt Lepik.

Auch kritisiert sie den Stopp der Bauarbeiten nach der hohen Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung in der Planung. „Der plötzliche Stopp der Realisierung der Schulstraße ist ein fatales Signal für die Schü­le­r*in­nen der Schule Rellinger Straße und für deren Demokratieverständnis“, sagt Lepik.

Das findet auch der Elternrat der Grundschule. „Es ist sehr viel Herzblut, Zeit und Geld in diesen Prozess geflossen, in einer ganzen Reihe von Workshops mit Schüler:innen, Eltern und Anwohnenden“, schreibt eine Vertreterin des Rates der taz.

Die Hamburger Verkehrsbehörde reagiert auf taz-Anfrage schmallippig. Das Projekt Schulstraße sei nicht gestoppt, sondern befinde sich in der Überprüfung. Nach dem Masterplan Parken müssten alle Maßnahmen, die Parkplätze betreffen könnten, vom Senat und zuständigen Behörden geprüft werden. Das betreffe folgerichtig auch die Schulstraße.

Eigentlich will der Senat die Verkehrswende

Wer genau für die Überprüfung zuständig ist, beantwortet die Behörde nicht. Ebenso wenig will sie sagen, nach welchen Kriterien überprüft wird. Der Behörde sei allerdings bewusst, dass es sich hier um eine Maßnahme zur Verbesserung der Sicherheit auf Schulwegen handelt.

Dass die rot-grüne Regierung Hamburgs eine grüne Verkehrswende will, hat sie schon Ende 2023 im Zehn-Punkte-Papier „Strategie Mobilitätswende“ beschlossen. Zu den Zielen gehört auch der Ausbau der Infrastruktur für Fuß- und Radverkehr und mehr „Schulwegesicherheit“.

Zu der können Schulstraßen wesentlich beitragen, schreibt die Initiative „Zu Fuss zur Schule“, die sich bundesweit für die Einrichtung von Schulstraßen einsetzt. Auch für das Klima hätten verkehrsberuhigte Zonen Vorteile. Studien weisen darauf hin, dass schon kleine verkehrsberuhigte Gebiete in Städten zu einem Rückgang von Emissionen beitragen. Dabei gelten Städte wie Paris und Barcelona als Positivbeispiele, weil es dort nicht nur viele Fahrradwege, sondern auch autofreie Zonen gibt.

Ob Hamburg noch seine erste ganz autofreie Schulstraße bekommt, ist aktuell offen. Der Elternrat der Grundschule Rellinger Straße gibt die Hoffnung nicht auf. „Wir hoffen sehr, dass die Straße doch noch umgebaut wird.“

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4 Kommentare

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  • Bis der Masterplan Parken dann ausklamüsert ist, und das ist der Knackpunkt, hat die Regierung alle bestehenden Parkplätze unter Artenschutz gestellt.



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    "Freies parken für freie Bürger!"



    Da kann ich den Senat gut verstehen. Denn, wie der wohl richtig verstanden hat:



    "Kinder wählen nicht & kosten, kaufen auch keine Autos"!



    Da werden halt Prioritäten gesetzt!



    Btw. Wie ging denn noch mal der alte "Indianer" Spruch:



    "Erst wenn das letzte Kind hinterm Lenkrad sitzt, unter die Räder gekommen ist, usw., DANN werden wir merken, dass Autos weder die "Rente" finanzieren, noch in der "Pflege" arbeiten können"! :-(( ... oder so ähnlich!

  • Wer eine solche Regierung hat, braucht keine CDSUAFDP mehr. In Hamburg kann Rot/Grün selbst jeden Fortschritt verhindern.

  • taz: *Deshalb will die rot-grüne Regierung erst mal herausfinden, wie viele Autos und Parkplätze es wo in der Stadt überhaupt gibt.*

    Die Antwort ist doch ganz einfach: Es gibt 'zu viele' Autos und 'zu viele' raumfressende Parkplätze in Hamburg.

    In einem Land wo die Autoindustrie aber das Sagen hat, wird es in absehbarer Zeit keine autofreien Schulstraßen - und schon gar keine autofreien Städte - geben. Es sei denn der Klimawandel schlägt erbarmungslos zu, aber selbst dann werden unsere "Volksvertreter" wohl am Autowahn in den Städten festhalten. Hamburger Politiker (ob nun SPD, Grüne oder CDU) möchten ja auch keine Straßenbahnen mehr in der Stadt haben, denn bei rund 810.600 Autos in Hamburg, stören die Straßenbahnen höchstwahrscheinlich die CO2-Blechkutschen, die auch noch ziemlich viel Parkraum in Hamburg verbrauchen. Und deshalb wird der erste Absatz im obigen taz-Artikel auch niemals in Erfüllung gehen: *Kleinkinder könnten unbeschwert über die Straße laufradeln. Klönende Erwachsene könnten auf Bänken sitzend Eis essen, Erziehungsbeauftragte ihre Kinder sorgenlos zu Fuß zur Schule bringen. Das alles könnte unter Bäumen stattfinden, ohne Stress – und vor allem ohne Autos.*

    • @Ricky-13:

      **Die Hamburger Hochbahn setzt bei den Bussen in der Stadt auf eine neue Strategie. Dieselfahrzeuge sollen demnach länger fahren als geplant. Auch wegen des Förderstopps für Elektrobusse.** [NDR - 13.06.2025]

      Damit kein Missverständnis entsteht. Hamburg hat eine rot-grüne Regierung. Habe ich schon ein herzhaftes *LOL* von mir gegeben? Nein? Dann also *LOL*