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Mitunter goethefrei

■  In der ACC Galerie Weimar feiern sechs KünstlerInnen ihren Goethe, während ein geheimratsfreier Raum Wieland gewidmet ist

Weimar '99 wirft einige Fragen auf. Eine wäre etwa die nach Wert und Nutzen des originalgetreu replizierten Gartenhauses im Ilmpark. Ein ohnehin exponatarmes Kleinmuseum wird als Spielplatz, der enttäuschte Kinder entlässt, auf die Wiese gesetzt. Warum werden geistige und materielle Ressourcen ausgerechnet zur Goetheanisierung der Goethestadt verwendet? Gibt es überhaupt einen geheimratsfreien öffentlichen Raum in der Kulturstadt?

Die ACC Galerie hatte sich, obwohl erstes Weimarer Domizil Jung-Johann-Wolfgangs, lange Zeit dem Rummel mit betont europäischen Projekten verweigert. Nun kommt der muntere Greis allerdings Huckepack durch die Hintertür seiner einstigen Wohnung am Burgplatz: „Eine Italienische Reise. Weimar – Rom – Neapel“ heißt das von der Italienerin Patrizia Bisci betreute Wanderprojekt, das dort beginnt, von wo aus der aufstrebende Literat 1786 in das Land der blühenden Zitronen aufgebrochen war.

Die Sommerausstellungen der ACC laufen seit Jahren als qualitätvolle Spektakel. Freilich hatte diesmal die Frühlingsschau „Europe in the Box“ (Kuratoren: Henrik Schrat/Christine Brühl) fast schon alle möglichen Lorbeeren kassiert – sowohl mit der Idee, 15 KünstlerInnen aus ehemaligen Kulturstädten mit einer Frachtkiste als Projektraum in die chronologisch nächste Metropole zu schicken, als auch mit ihrer anregenden Präsentation. Das Thema Kulturtourismus und Reisen, wenn nur entlang der Nord – Süd-Sehnsuchtsachse, wird auch jetzt wieder strapaziert: Drei italienische Künstler, drei deutsche, eine Auswahl aus ihren Werken und die diversen Kammern der ACC haben ein schweres Los unter diesem thematischen Überbau.

Zunächst einmal gibt es das scheinbar unvermeidliche namhafte Zugpferd zur Aufwertung von Gruppenausstellungen. Es hört hier auf den klangvollen Namen Mimmo Palladino und trägt sein wohlbekanntes Geschirr. Da hängt ein einziges, großformatiges Werk an der Wand; „Der Atem der Schönheit III“ – eine Collage aus grundfarbigen Feldern und skulpturalen, antikisierenden Elementen. Mit diesem Verweis auf die abendländische Suche nach klassischer Schönheit und auf ihre mediterane Heimat, vielleicht auch auf den Wiedererkennungswert des eigenen Oeuvres, erschöpft sich der Beitrag des Künstlers Palladino.

Als thematisch ebenso zusammenhanglos, wenn auch farbenfroh und bei gutem Willen auf Goethes Farbtheorien anspielend, erweist sich das zweite Tafelbild der Ausstellung: Nicola De Marias „Das Fest in der Schädelkammer“. Die Galerieräume sind zwar klein, doch wiederum nicht so klein, als dass hier ein Mehr nicht einfach mehr gewesen wäre. Der dritte Italiener, Eliseo Mattiacci, komponierte wiederum einen betretbaren Minimalraum aus stählernen Netzen. Ein Video von der Installation seiner Metallarbeiten im Gebirge lärmt infernalisch durch die Gänge und bricht damit die Idylle vom schönen Italien. Und ein „Et in Arcadia Ego“ ertönt im rauhen Duktus der LandArt.

Da das Konzept der „Italienischen Reise“ im Katalog mit historischen Bezügen und Querweisen spielt und ganz spezifisch sein will, muss es sich Untersuchungen und Fragen gefallen lassen. Hier aber gibt es kein Exponat, das nicht beliebig in einen anderen Kontext gepasst hätte. Die Deutschen, naturgemäß, und hier wird unabsichtlich ein Stereotyp bedient, wirken da weitaus gründlicher in ihrer konzeptuellen Näherung ans Italienbild. Raimund Kummers einander sehnsuchtsvoll-anatomisch anschlagende Glasherzen (eines rot, das andere weiß) sind von Schraubzwingen am Platz gehalten – so werden ferne Ideale nicht enttäuscht. Entstanden sind sie – na wo? – in Italien, wo der Künstler von 1992 bis 1995 lebte.

Eva-Maria Schön befasst sich ganz korrekt mit dem Goetheschen Italien und traf dazu den „Universalmenschen G. im Copyshop“. In einer ephemeren Installation von kopierten Fotos (die wie ein Bruchteil von Gerhard Richters „Atlas“ anmutet) überblenden sich bei ihr Zeiten und Rezeptionsebenen, die um das Thema kreisen. Die schönste und treffendste Arbeit, vielleicht weil sie buchstäblich an der Erde bleibt, ist die von Janaina Tschäpe. Ihre stillen Vermessungen von Welt, Landnahmen mit dem eigenen Leib, erinnern an den trotzigen Gestus von Valie Exports „Körperkonfigurationen“ aus den Siebzigern. Tschäpes Langzeit-Reiseprojekt „Geography of Space“ dokumentiert fotografisch Stationen einer globalen Ortlosigkeit und zwanghaften Mobilität, die trotz aller Reize an sich selbst leidet und immer neue Fixpunkte schafft: Italia und Schloss Tieffurt fallen so in eins, entmystifiziert, und der reisende Dichter des 18. Jahrhunderts gleich mit.

Nach diesem Präludium kann sich dann endlich die Tür zur eingangs gesuchten Exklave öffnen: Es gibt ihn wirklich in Weimar, in der ACC Galerie zudem, den geheimratsfreien Raum. Dass er „Goethe-Ruheraum“ heisst, darf nicht irritieren, denn dort ruht nicht Goethe, sondern für 365 Tage die Gesamtausgabe von Christoph Martin Wieland (1733 bis 1813). Ein 6,7 Quadratmeter kleiner Raum wurde zur „Wielandschaft“ deklariert und damit einer Geistesgrösse gewidmet, die zu ihrer Zeit als Shakespeare-Übersetzer, Librettist und Romancier konkurrenzlos dastand.

Hier wird, im Gewande spielerischer Ironie, tatsächlich geistesgeschichtliche Ausgrabungsarbeit angestrebt. Die „Wielandschaft“ kann aber auer dem titelgebenden Wortspiel, diverser Literatur und gutem Willen noch mit einem besonderen Bollwerk aufwarten. Es ist ein amphitheatraler Einbau in die dreieckige Grundfläche, mit dem Jenny Weiß, Studentin der Bauhaus-Uni Weimar, die Ausschreibung für das eigenwillige Unterfangen gewonnen hat. Als Bücherregal, Liegestatt, Sitz- und Diskussionsraum multifunktioniert die Kammer nach dem Einstieg vortrefflich und was das Beste ist: 100% goethefrei. Susanne Altmann

„Eine Italienische Reise“ (mit Katalog) bis 15. 8.; „Wielandschaft“ im „Goethe-Ruheraum“, mindestens bis 31. 12. 1999; beide Ausstellungen in der ACC Galerie Weimar

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