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Mitbegründer über Hausprojekt„Wir haben die Vermieter entrechtet“

Das Hamburger Hausprojekt „Hayn-/Hegestraße“ feiert 50-jähriges Bestehen seines Mietvertrages. Der ist einzigartig: Er überlebte schon 52 Kündigungen.

Auch schon wieder einige Jahre her: Die Fassade des Hauses in der Haynstraße 1 im September 2011 Foto: Ajepbah / Wikipedia Commons / CC BY-SA 3.0
Interview von Krischan Meyer

taz: Herr Vetter, warum muss ein Mietvertrag gefeiert werden?

Bernd Vetter: Weil das ein ganz besonderer Mietvertrag ist mit ganz vielen günstigen Vereinbarungen für die Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße. Wir zahlen heute noch in Eppendorf eine Miete von 3,49 Euro pro Quadratmeter. In der Umgebung werden sonst 15 bis 22 Euro pro Quadratmeter gezahlt. Und weil wir diesen Mietvertrag in 50 Jahren gegen 52 Kündigungen und zwölf Räumungsklagen erfolgreich verteidigt haben.

taz: Wie kam es damals zu diesem Mietvertrag?

Vetter: Eine Spekulantenfirma hat das Grundstück 1969 gekauft, um dieses schöne, alte Haus abzureißen und es durch einen gesichtslosen Neubau zu ersetzen. Die Idee war, die bis dahin leerstehenden Wohnungen über den Asta vorübergehend an StudentInnen zu vermieten. Da der Asta damals links bis linksradikal besetzt war, sind wir, darunter erfahrene Politstrategen aus vielen Organisationen, in die Haynstraße gekommen. Wir haben uns zusammengeschlossen und haben den Abriss politisch weggekämpft. Nachdem wir die Räumungsprozesse gewonnen haben, hat die Firma das Grundstück an einen anderen Spekulanten verkauft, mit dem wir daraufhin den neuen Mietvertrag ausgehandelt haben.

Das Hausfest

„50 Jahre Mietvertrag Haynstraße“: Mit Livemusik von u.a. Noel Friedburg und Blu Beus Blu, Kinderprogramm und Vorträgen über das Hausprojekt. Sa. 19. Juli 2025 ab 16.00 Uhr, Haynstraße 1, 20249 Hamburg

taz: Wie erklären Sie sich den Erfolg im Kampf um den Mietvertrag?

Vetter: Damals sind viele glückliche Umstände und eben auch die gute Arbeit, die wir geleistet haben, zusammengekommen. Das war auch das erste Mal, dass in Hamburg die zum Teil verfeindeten, linken Gruppen zusammengearbeitet haben – an diesem Projekt Haynstraße.

taz: Wer lebt heute in der Haynstraße?

Vetter: Es leben noch zehn bis fünfzehn Personen hier, die bereits um den Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags hier gewohnt haben. Diese haben zum Teil Kinder bekommen, die sich vor circa zehn Jahren nochmal zusammengetan haben, um dieses Projekt von ihren Eltern weiterzuführen. Wir haben sie als Kinder des Hauses in die Mietergruppe aufgenommen, einige wohnen auch schon im Haus. Wenn eine Wohnung frei wird, dann bestimmt die Hausversammlung, die aus allen BewohnerInnen besteht, wer einziehen darf. Wir haben eine totale Basisdemokratie. Wir wollen, dass nur Leute bei uns wohnen, die sich hinter unsere politischen Grundsätze stellen, und wir in dieser Richtung auch Initiativen machen können. Verbindlich für alle ist die Mieterarbeit im Zusammenhang mit dem Projekt Haynstraße.

taz: Sind Sie auch in derzeitigen Mietdebatten aktiv?

Vetter: Ich bin für die Mietergruppe einer der Initiatoren der Volksinitiativen „Keine Profite mit Boden und Miete“. Wir haben über zwei Jahre mit SPD, Grünen und den entsprechenden SenatorInnen verhandelt und haben erreicht, dass in der Hamburger Verfassung jetzt steht, dass Wohngrundstücke nicht mehr von der Stadt verkauft werden dürfen. Außerdem hat die Stadt beschlossen, dass ab 2025 jährlich mindestens 1.000 ewig preisgebundene Sozialwohnungen gebaut werden müssen – 20 Jahre lang.

Bild: privat
Im Interview: Bernd Vetter

77, ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Mietrecht, ehemaliger Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft und Mitbegründer der „Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße“

taz: Könnte ein vergleichbares Projekt heute nochmal entstehen?

Vetter: So in dieser Form wahrscheinlich nicht. Wir haben viele Forderungen in diesem Mietvertrag untergebracht, den heutzutage wahrscheinlich ohne weiteres kein Vermieter mehr abschließen wird. Es gab dabei nie Unterstützung von staatlicher Seite und das Ganze basiert am Ende auf Verhandlungsgeschick. Es haben schon mehrere Gerichte gesagt, dass dieser Vertrag in Deutschland einzigartig ist und es wahrscheinlich auch bleiben wird.

taz: Kann man also sagen, dass Sie eine Art Knebelvertrag zu Gunsten der Mie­te­r:in­nen geschlossen haben?

Vetter: Ja, das kann man so sagen. Wir haben im Prinzip die Vermieter im großen Umfang entrechtet.

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9 Kommentare

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  • Sympathisches Projekt, ein wenig Robin Hood Romantik zum anfassen, erhalten aus den Wirren der 68er.

    Allerdings: man sollte sich schon bewusst sein, dass dies kein allgemeingültiges Modell sein kann.



    Das Wohnungsmangelsystem beseitigt man sicher nicht, indem man Mieten etabliert, die nicht mal die Refinanzierung der Erhaltung der Grundsubstanz zulassen.



    Das Ende wäre die besetzte, völlig verfallene Bausubstanz diverser Objekte am Ende der DDR. Nach einer Phase verarmten Sozialismus käme der Abriss und die Obdachlosigkeit.

    Die Eigentümer völlig zu entrechten, kann mal eine Weile im Einzelfall eine Art „Che Guevara-Genugtuung“ verschaffen.



    Haken dabei: wenn wegen der dann bekannten Rahmenbedingungen niemand mehr Sinn in Eigentum sieht, haben wir ganz schnell wieder D 1989…

  • Schön für die Bewohner, schlecht für alle anderen die keine Wohnungen bekommen weil niemand mehr welche bauen will.

  • Ich kenne auch so einen ähnlichen Mietvertrag. Nicht so weitgehend aber auch wegen eines Formfehlers mit vielen Rechten für die Mieter ausgestattet :-)

    Leider brannte das Haus dann "zufällig" ab. Brandstiftung. Solche Geschichten sind wohl kein Einzelfall.

  • Den Mietvertag hätte ich gerne einmal im Wortlaut gesehen.

    • @Aurego:

      Ich auch.

  • Cool. Weiter so und alles Gute.