Mit Schafen und Radlern unterwegs: Zu Fuß gehen am Deich
Es gibt Paradiese für Fußgänger*innen wie dieses kleine Dorf hinterm Deich. Auf dem Deichweg rast die Welt aber doch wieder an einem vorbei.
I ch mache Ferien an einem dieser Orte, die ihre einzigartige Skyline, gemalt als Silhouette, auf T-Shirts drucken und diese an Tourist*innen verkaufen. Diese Skyline bietet eine alte Windmühle und daneben einen alten Kirchturm, der wie ein Leuchtturm aussieht: rund und oben mit Ausguck und abgerundeter Kuppel. Das sieht tatsächlich wunderschön aus, auch wenn es hier in Nordwest-Ostfriesland einige von diesen Leuchtturmkirchtürmen gibt: Die Windmühle direkt daneben macht den Unterschied. Der Name des Dörfchens steht sicherheitshalber trotzdem noch auf den T-Shirts drauf.
Das kleine Dorf hinterm Deich ist ein Paradies für Fußgänger*innen. Man geht durch schmale Gassen, vorbei an niedrigen Fischerhäuschen, davor stehen Bänke und daneben meist ein üppiger Rosenstrauch. Kleine Gärten, Licht und Schatten, die Windmühle, der Kirchturm, wie die Häuser aus rotem Backstein. Keine Trennung in Geh-, Fahr- und Radwege, keine einzige Ampel im Ort. Autos und Räder (von denen es hier viele gibt, dazu gleich mehr) fahren im Schritttempo durch den Ort: Dessen Gassen sind viel zu verwinkelt, um hindurchzurasen.
Jedoch ist das Dorf eben auch ziemlich klein.
Will man weiter gehen, weiter sehen, geht man am Deich lang. Das ist auch wunderschön, Weite, Wind, Wiese, Wasser, rechts Kühe, links Schafe oder umgekehrt. Das Zufußgehen am Deich ist aber so eine Sache. Das liegt daran, dass die Weite so weit ist. Man geht und geht, rechts Wasser und Schafe, links Wiese und Kühe (oder umgekehrt), und kommt dabei nicht so recht voran. Und weiß zudem, dass man am Ende denselben Weg zurück muss: links Wasser, rechts Wiese oder andersherum. Kühe, Schafe, Vögel, Horizont. Ganz hinten: ein Kirchturm, eine Windmühle. Und auf dem Deichweg: Radfahrer*innen, meist auf E-Bikes.
Leises Surren auf dem Deichweg
Auf dem Deichweg überholen die Fußgängerin Radfahrer*innengruppen, die meist nur ein leises Surren und manchmal ihre laute Unterhaltung ankündigt. Sie reden miteinander, denn sie sind nicht außer Atem. Sie fahren riesige Radmonster, auf denen die hier oft betagten Fahrer*innen aussehen, als könnten sie ohne Hilfe kaum absteigen.
Es überholen mich Gruppen jüngerer E-Biker, die Räder schmaler und eleganter als die der älteren Radler*innen, insektenkopfartige Helme, Spezialschuhe und -klamotten, GPS, Taschen, Rucksäcke, Brillen, extraleicht. Sie ziehen wie Ameisen auf Rädern mit leisem Surren an mir vorbei und sparen sich dabei sogar das hier bei jeder Begegnung mit Menschen eigentlich übliche „Moin!“.
Ich spare mir meins auch, erst mal, und gehe der Schafscheiße aus dem Weg, die ihre schnellen Räder hinter den Davonziehenden aufwirbeln. Ich weiß, ich werde sie wiedersehen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Man muss sich beim Gehen auf dem Deich nicht vor Hunde-, sondern vor Schafshaufen in Acht nehmen. Vielen. Blickt man den langen Deichweg entlang, wirkt es, als sei er mit Schafscheiße geteert. Erst beim Näherkommen sieht man, dass die Schafe kleine Lücken für die Füße der Gehenden gelassen haben. Das macht das Gehen manchmal mühsam, ist aber eigentlich eine gute Sache: Die Schafe machen offenbar lieber auf die Wege als aufs Gras, sie kacken nicht auf ihr Essen. Es sind kluge Tiere.
Die E-Bikes treffe ich am Gatter wieder. Die Schafe grasen den Deich ab, Stück für Stück; Zäune und Gatter halten sie dort, wo sie das gerade tun sollen. Um das Gatter herum führt für Fußgänger*- und Radler*innen ein Viehgitter, über das die Schafe nicht gern gehen. Sie legen sich jedoch, wenn sie genug gegrast haben, sehr gerne in Grüppchen davor. Man kann dann über sie hinweg steigen, sie sind auch sehr freundlich und bleiben einfach gelassen liegen. Ich überhole hier, „Moin!“, die E-Biker*innen, die ihre schweren Räder nicht über die Tiere tragen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“