: Mit „Klein-Saigon“ kann die Stadt leben
■ „Bürger beobachten die Polizei“: Vietnamesen nicht pauschal kriminalisieren
Die Vertreter der Polizei waren nicht ins Haus der Demokratie gekommen. Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, fand das schade: „Ich dachte, hier hätte ein Umdenken eingesetzt.“ Doch schon als „BürgerInnen beobachten die Polizei“ Ende der siebziger Jahre mit ihrer Arbeit begann, hätten sich die Beamten gefragt: „Wer sind wir denn, daß wir uns beobachten lassen?“, und gemeinsame Diskussionen gemieden, erinnerte sich Wieland.
So blieben auch am Donnerstag abend diejenigen unter sich, die die seit 1992 zunehmende pauschale Kriminalisierung von VietnamesInnen besonders durch die Medien und den Innensenat kritisierten. Undifferenzierte Betrachtungen, die Ethnisierung des Zigarettenhandels, die Übertragung von Straftaten einzelner auf alle Vietnamesen hätten, so die Journalistin Sabine am Orde, zu einer moralischen Diskreditierung geführt. „Die Polizei wird mittlerweile als einzige für Vietnamesen zuständige Institution betrachtet. Massenabschiebungen als einzig mögliche Lösung gesehen, das Kriminalitätsproblem in den Griff zu bekommen.“
Mit dem Anspruch der „Generalprävention“, erläuterte Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, nehme der Innensenat dabei keine Rücksicht auf besondere familiäre Situationen. Es werde nicht reflektiert, daß die Politik das Problem des Zigarettenhandels selbst hervorgebracht hat durch den Umgang mit den ehemaligen DDR- Vertragsarbeitern, dadurch, daß erst 1993 eine Bleiberechtsregelung getroffen wurde. „Bei den jetzt Abgeschobenen handelt es sich nicht um Schwerstkriminielle. Es sind in der Regel Leute mit geringen Verurteilungen, die danach straffrei blieben.“
Natürlich seien auch Bagatellstraftaten Straftaten. Als problematisch gesehen wurde jedoch, daß die Vietnamesen dafür faktisch schon einmal bestraft wurden. „Sie wurden oftmals zu weniger als 50 Tagessätzen verurteilt.“ Sie nunmehr noch abzuschieben, käme einer Doppelbestrafung gleich, so die Anwältin. Berlin bleibe zudem als einziges Bundesland noch hinter der von Bundesinnenminister Kanther empfohlenen Regelung zurück, Verurteilungen von bis zu 50 Tagessätzen bei Straftaten, die vor dem 1. Juni 93 begangen wurden, nicht als Abschiebegrund zu betrachten. Petra Schlagenhauf betreut derzeit, wie sie sagte, mindestens zehn Klienten, für die eine 50-Tagessatz-Regelung relevant wäre.
Die PDS hatte vor 14 Tagen ins Abgeordnetenhaus einen Antrag eingebracht, die Bleiberechtsregelung dementsprechend zu erweitern. Ein Vorschlag, zu dem auch Teile der SPD und die Bündnisgrünen stehen. „Allerdings muß man sich fragen, wie tief sind wir in Berlin schon gesunken, daß wir beantragen müssen, eine von Herrn Kanther vorgeschlagene Regelung einzuführen“, räumte Wolfgang Wieland ein.
Die organisierte Kriminalität betreffend, stehe manches mittlerweile auf einem anderen Blatt. „An sieben Toten in diesem Jahr kommt man nicht so einfach vorbei.“ Allerdings, so der bündnisgrüne Politiker, seien die Schlußfolgerungen, die aus dem „normalen Kapitalismus mit Knarre“ gezogen wurden, wieder einmal die falschen. Selbst wenn es gelingt, eine Bande zu zerschlagen, komme die nächste, „solange die Zustände für die Leute hier so bleiben“. Wieland forderte, den hier lebenden Vietnamesen Möglichkeiten einzuräumen, sich legal ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Berlin könne mit einem „Klein-Saigon“ sehr gut leben. Kathi Seefeld
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