: Mit Haltung gegen religiöse Übergriffe
Nach Klagen über das Verhalten von Muslimen in Hamburger Schulen wollen sich Behörde und Religionsgemeinschaften für ein respektvolles Miteinander einsetzen
Von Gernot Knödler
Die großen Hamburger Religionsgemeinschaften und die Schulbehörde haben am Mittwoch eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie sich zu einem „respektvollen dialogischen Miteinander“ bekennen. Anlass war eine Artikelserie im Hamburger Abendblatt, in der übergriffiges Verhalten muslimischer Schüler und Eltern thematisiert wurde.
Mit der Erklärung wollen die Religionsgemeinschaften zum einen deutlich machen, dass sie Versuche missbilligen, anderen den eigenen Glauben oder bestimmte Verhaltensweisen aufzuzwingen. Andererseits wollen sie damit eine „ungute Dynamik“ verhindern, wie Özlem Nas vom Rat der islamischen Gemeinschaften Hamburgs (Schura) es ausdrückte. Sie sieht darin die Gefahr, dass antimuslimischer Rassismus verstärkt werden könnte.
Den Anstoß dazu gab der CDU-Bürgerschaftsabgeordete Sandro Kappe aus Steilshoop, der entsprechende Hinweise aus dem Stadtteil in einer parlamentarischen Anfrage an den Senat thematisierte: Mehrere Mütter hätten ihm berichtet, dass sie sich bei Elternversammlungen von männlichen Teilnehmern unter Druck gesetzt fühlten. Teilweise sei ihnen das Wort verboten worden, mit der Begründung, dass Frauen sich nur äußern dürften, wenn Männer es ihnen erlauben.
An Steilshooper Schulen würden Mädchen ohne Kopftuch oder mit westlicher Kleidung beschimpft. Immer mehr Kinder fasteten während der Schulzeit, oft unter Gruppendruck. Manche hätten sich geweigert, während des Ramadan am Musikunterricht teilzunehmen. „Viele Eltern äußern die ernsthafte Sorge, dass ihre Kinder in einem Klima aufwachsen, das von Intoleranz, sozialem Druck und religiöser Abgrenzung geprägt ist“, schrieb Kappe.
Das Hamburger Abendblatt als bedeutendste Lokalzeitung forderte Leser auf, ähnliche Vorfälle zu melden – auch anonym. Die Zeitung gab zunächst eine Reihe von Leser-Stellungnahmen wieder, die sich mit den Vorfällen auseinandersetzten, ohne weitere Fakten zu nennen. In weiteren Texten ging es dann um konkrete Erfahrungen.
So soll ein Achtjähriger in der Grundschule eine Israelflagge zertrampelt haben. Eine Mutter schilderte, ihr Sohn sei beim Fußball als Rassist beschimpft worden, nachdem er ein Foul kritisiert habe. Eine Schulmitarbeiterin berichtete von respektlosem Verhalten gegenüber weiblichem Personal und Männern, die Drohkulissen aufbauten. Zu Wort kamen aber auch Lehrer, die von „normalem Jugendverhalten“ sprechen und von gelingenden Gesprächen zum Thema Toleranz.
Auf Kappes’Hinweise hin hatte der Senat einige Schulen gebeten, ihre Erfahrungen mitzuteilen. Grundsätzlich werde dort, so die Selbsteinschätzung der Schulen, „ein respektvoller und toleranter Umgang gepflegt“. Allerdings beschrieben einzelne Schulen auch eine zunehmende Relevanz religiöser Themen sowie ein wachsendes Bedürfnis einiger Schülerinnen und Schüler, religiöse Praktiken auszuüben.
Dies werde zum Teil durch eine kleinere Gruppe geprägt, die ihre religiösen Überzeugungen lautstark vertrete. In einzelnen Fällen habe es verbale Abwertungen gegeben. „Offene religiöse Konflikte oder systematische Einflussnahmen im schulischen Alltag werden an den Schulen mehrheitlich nicht festgestellt“, resümiert der Senat.
Özlem Nas von der Schura kritisierte den Aufruf, anonym Vorfälle zu schildern. „Das erzeugt eine Stimmung, die wir in unserer Stadt nicht wollen.“ Die islamischen Gemeinden seien bereit, die Behörde auch in konkreten Fällen zu unterstützen. Die Schule müsse aber strukturell besser auf problematisches Verhalten vorbereitet werden. „Bei den Jugendlichen, muss man sofort einschreiten“, sagt sie.
Mit Blick auf die gemeinsame Erklärung der Schulbehörde sowie von Vertretern der beiden großen Kirchen, des Judentums und des Islams sagte die Staatsrätin der Schulbehörde, Katharina von Fintzel, Versuche religiöser Überwältigung gelängen dann besonders gut, wenn die Akteure glaubten, sie hätten die Rückendeckung ihrer Glaubensgemeinschaften. Dem solle die Erklärung einen Riegel vorschieben.
Darin wird Hamburg als Stadt der kulturellen und religiösen Vielfalt beschrieben. Dort sei kein Platz für Übergriffe und Diskriminierung. Die Religionsgemeinschaften stünden für ein respektvolles Miteinander ein, „mit einer Haltung, die klare Grenzen zieht“. Um dieses Miteinander einzuüben, gibt es in Hamburg den Religionsunterricht für alle. Seit 2019 gibt es laut der Schulbehörde das Konzept dafür, seit 2022 läuft die Umsetzung.
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