Mit HIV zur Polizei: Infektion ist kein Ablehnungsgrund
Darf ein HIV-Infizierter als Polizist in Niedersachsen arbeiten? Ja, hat das Verwaltungsgericht Hannover entschieden.
„Wir wissen seit 1984 von HIV und das ist der erste Fall dieser Art, der vor einem deutschen Gericht verhandelt wurde“, sagte Matthias Stoll von der Aidshilfe Niedersachsen.
Ein Mensch fehlte im Verwaltungsgericht Hannover: Der Mann, über dessen Klage das Gericht an diesem Tag verhandelte, ließ sich durch seinen Anwalt Jacob Hösl vertreten. „Mein Mandant kommt heute nicht aufgrund des zu erwartenden Medienrummels“, sagte Hösl zu Beginn der Verhandlung.
Im Oktober 2016 hatte sich sein Mandant bei der Polizeiakademie Niedersachsen beworben. Er wollte Polizeikommissar-Anwärter werden. Die Akademie schloss ihn vom Bewerbungsprozess aus, nachdem er offengelegt hatte, sich mit HIV infiziert zu haben. Auch ein Widerspruch blieb erfolglos: Die Akademie lehnte ihn in einem zweiten Bescheid Ende Februar 2017 als Bewerber ab. Aufgrund seiner Erkrankung sei er „dienstuntauglich“. Am 7. März reichte er Klage beim Verwaltungsgericht Hannover ein.
Bund und Länder uneins
Tatsächlich sind sich Bund und Länder beim Umgang mit HIV-infizierten Menschen uneinig. Das Bundesgesundheitsministerium wirbt in einer Broschüre für die Entstigmatisierung von HIV. Das Bundesverteidigungsministerium hat Anfang 2017 beschlossen, HIV-infizierte Menschen nicht mehr vom Dienst bei der Bundeswehr auszuschließen. Sie können, sofern sie wirksam therapiert sind und einen guten Gesundheitszustand haben, Berufssoldaten werden.
Bei den Landespolizeien, mit Ausnahme von Berlin und der Bundespolizei, werden HIV-infizierte Bewerber hingegen ausgeschlossen, sagte Anwalt Hösl im Gericht. Das Verhalten der Polizei sei „archaisch“, erklärte er. „Es gibt weltweit nicht einen dokumentierten Fall, in dem ein Polizist einen anderen Menschen im Dienst angesteckt hat.“
Warum man HIV-infizierte Bewerber ablehne, versuchte Oberregierungsrätin Susanne Petersen, die die Polizeiakademie vor Gericht vertrat, so zu erklären: „Der Polizeiberuf ist gefährlich, man blutet.“ Dass der Kläger aufgrund einer medikamentösen Therapie so geringe Virenblutwerte hat, dass das HIV-Virus kaum noch nachzuweisen ist, beruhigte die Vertreterin der Polizei nicht. Der Mann könne die Tabletten ja immer noch aufhören zu nehmen, sagte Petersen. Auch sei unklar, ob er aufgrund seiner HIV-Erkrankung bis zum regulären Pensionseintrittsalter als Polizist arbeiten könne.
Sie widersprach damit einem Gutachten, das das Verwaltungsgericht in Auftrag gegeben hatte. Der Gutachter des Gerichts, ein Experte für Immunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, hatte mitgeteilt, dass der Kläger dienstfähig sei, von ihm keine Infektionsgefahr ausgehe und er keine kürzere Lebenserwartung habe.
Das Gutachten überzeugte auch das Gericht, das nach nur 15 Minuten Besprechung das Urteil verkündete. Die Polizei muss den jungen Mann zum Bewerbungsverfahren zulassen, sagte Richter Jens Schade und betonte, dass es sich hier um eine Einzelfallentscheidung handele. Einen Anspruch auf Schadensersatz hat der 29-Jährige nicht, weil er die für die entsprechenden Anträge geltenden Fristen nicht eingehalten habe.
Anwalt Hösl war zufrieden, sein Mandant wolle weiterhin Polizist werden. „Es ist sein Traumberuf“, sagte Hösl. „Er ist Idealist und wäre ein super Polizist geworden.“ Ob und wann es dazu kommen wird, ist auch nach dem Urteil unklar. Zum einen müsste der Bewerber weitere Tests und ein Auswahlgespräch bei der Akademie erfolgreich durchlaufen und zum anderen ist das Urteil nicht rechtskräftig und die Polizeiakademie hat bereits angekündigt, Berufung einlegen zu wollen. „Wir gehen von einem weiteren Verfahren aus“, sagte Petersen nach der Urteilsverkündung.
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