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Misstrauensvotum gegen EU-KommissionIn Brüssel wackelt die proeuropäische Mehrheit

Am Donnerstag muss sich EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen einem Misstrauensvotum im Parlament stellen. Sie muss um den Zusammenhalt ihrer Koalition bangen.

Von der Leyen erklärte, sie habe sich nichts vorzuwerfen Foto: Klaudia Radecka/imago

Brüssel taz | In Brüssel gibt es heftigen Gegenwind für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Führende Europaabgeordnete der Linken, Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen werfen der CDU-Politikerin den Bruch von Absprachen und das Paktieren mit Rechtspopulisten vor. Bei der für Donnerstag geplanten Vertrauensabstimmung im Parlament muss von der Leyen um den Zusammenhalt ihrer Mitte-rechts-Koalition bangen.

Seit ihrer Bestätigung im November 2024 stützt sich die EU-Kommission auf die Fraktionen der konservativen Europäischen Volkspartei EVP (einschließlich CDU/CSU), der Sozialdemokraten und der Liberalen. „Die Mitte hält“, hieß es damals in Straßburg. Doch nun scheint die proeuropäische Mehrheit zu wackeln – eine Aussprache geriet am Montag zu einer Generalabrechnung mit von der Leyen.

„Wer steht denn noch hinter Ihnen“, fragte die Chefin der Liberalen, die Französin Valérie Hayer. Die Debatte, die ein Misstrauensantrag des rumänischen Rechtspopulisten Gheorghe Piperea ausgelöst hatte, sei überfällig, so Hayer. Sie warf von der Leyen vor, mit dem Rückzug eines Gesetzes zu grünen Werbeversprechen („Green Claims“) die gemeinsame politische „Plattform“ zu verlassen.

Ähnliche Vorwürfe kommen von den Sozialdemokraten. „Wie lange wollen Sie noch wegschauen?“, fragte Fraktionschefin Iratxe Garcia. Die konservative EVP, der von der Leyen angehört, arbeite immer öfter mit Rechtspopulisten und Nationalisten zusammen, so der Vorwurf der spanischen Sozialistin. „Wenn Sie nicht bald umsteuern, werden wir den Widerstand gegen Sie anführen“, droht Garcia.

Von der Leyen zeigt keine Reue

Von einer „politischen Show der extremen Rechten“ sprach der Co-Fraktionschef der Grünen, Baas Eickhout. Auch er würzte seine Rede mit heftigen Angriffen auf von der Leyen und den Fraktionschef der Konservativen, Manfred Weber (CSU). „Sie füttern dieses Biest, und irgendwann wird dieses Biest Sie auffressen“, sagte Eickhout.

Von einem „unwürdigen Schauspiel“ sprach Martin Schirdewan, Co-Fraktionschef der Linken. Von der Leyen habe die Vertrauensabstimmung durch „maximale Intransparenz“ erst möglich gemacht. Dies gelte nicht nur für ihr Gebaren in der Coronakrise, sondern auch für die laufenden Handelsgespräche mit US-Präsident Donald Trump. Von der Leyen erklärte, sie habe sich nichts vorzuwerfen.

Die umstrittenen Corona-Impfstoffkäufe seien mit den EU-Staaten abgestimmt gewesen. Ihren Gegner aus dem rechten Lager warf von der Leyen vor, keine Antworten auf die Probleme zu haben. Es gebe genug Hinweise, dass ex­treme Kräfte von Feinden unterstützt würden, ob die Strippenzieher nun in Russland säßen oder anderswo, sagte sie.

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6 Kommentare

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  • In meinen Augen hat die auf seltsame Weise ins Amt gekommene UvdL sowohl in Deutschland (Beraterverträge) als auch in Europa (Pfizergate) durch etliche Skandälchen viel Schaden angerichtet. Man muss sich eigentlich nur den Zustand der EU vor ihrem Amtsantritt 2019 und jetzt ansehen, um seine Entscheidung zu treffen. Und zu glauben, dass die mächtigste Frau der EU an diesem Verfall unschuldig ist, ist reichlich naiv. Im Gegenteil: Sie hat in den beiden großen Krisen dieser Zeit (Covid und Ukrainekrieg) eine sehr negative Rolle gespielt.

  • Ich habe gerade eine Irritation durch "proeuropäisch". Sind die Linken oder die Grünen das nicht? Was ist hier europäisch? Gibt es da verschiedene Ziele für Europa - gut, das ist Politik (Von manchen, sehr rechtsextremen etwa, muss mensch sich nicht unbedingt treiben lassen). Aber dass von der Leyen mit der Schleifung des Klimaschutzes nicht nur inhaltlich, sondern auch politisch einen schweren Fehler begang, gehört zur Geschichte.

    Die Grünen und Klüngel-Sven-Lehmann begingen ihrerseits einen kaum begreiflichen Fehler, dass sie von der Leyen nicht absägten und durch eine bessere Person ersetzten. Hofreiters Englisch ist vielleicht nicht so nasal wie das vdLs, aber fachlich und engagiert in die richtige Richtung wäre er als Kommissar gewesen!

  • In Brüssel wackelt nicht die proeuropäische Mehrheit, es wackelt nur ein bisschen die machtgewöhnte Parteienoligarchie der EU-Kommission. In der EU wiederholt sich nur, was in allen anderen sog. repräsentativen Demokratien passiert: Die Eliten können alte Garantien auf Sicherheit und Wohlstand glaubhaft nicht mehr aufrecht erhalten und machen sich mit ihrem autoritären Führungsstil angreifbar für Kritik. Dabei geht es den Kritikern (von rechts) nicht unbedingt darum, die Verfahren der EU oder Politik überhaupt demokratischer umzugestalten, sie nutzen die Kritik nur als Argument im pausenlosen Kampf um WählerInnengunst in der der EU, den Mitgliedstaaten und auf nachgeordneten Ebenen.

    Die Verteidigungsstrategien sind auch immer die gleichen: Das, was man erreicht hat, über alle Maßen loben, zugleich Verbesserungen versprechen aber Stabilität als einzigen Schutz gegen Chaos, Diktatur und Fremdherrschaft zu fordern. Man könnte auch sagen: Weiter so, aber immer rigider, und auf keinen Fall mehr Demokratie wagen.

  • Nun ja, Russland sitzt sicher nicht hinter der Dame, doch an diesem Schlamassel ist sie selber schuld. Ohne Konzept, bei sehr fragwürdigem Umgang mit Gesetzen/Vorschrften (SMS), ohne Offenheit und nur mit maskenhaftem Grinsen kann man eine solche Position nicht ausfüllen. Sie ist eine krasse Fehlbesetzung. Danke Angela - - -

  • Ein Stück aus dem Tollhaus: Eine antieuropäische Mehrheit im EU-Parlament? Dann schnellstens eine neue Kern-EU gründen und auf die Russlandknechte verzichten. Sollen die sich doch der Russischen Föderation anschließen, wenn sie meinen, es ginge ihnen da besser.

  • Abwahl völlig o.k. für mich



    Mal davon abgesehen, dass ich von diesem(!!) Europa eh nichts halte, weil es zu sehr die Rechte der Länder beschränkt und mit tausenden Verordnungen ein Bürokratiemonster ist, wäre es mir eher sogar recht, wenn von der Leyen abgewählt wird. Sie klüngelt mir zu viel mit den Rechten.