Misshandlung von Flüchtlingen in NRW: Damit das Bürgertum ruhig schläft
Im Skandal um die Misshandlung von Flüchtlingen wird auf den geringen Bildungsgrad der Täter verwiesen. Die wahre Schuld tragen die Gebildeten.

Das Überraschende an der Folter von Flüchtlingen im Siegerland ist, dass wenigstens diesmal der Staat nicht versagt hat. Die Bilder, die zeigen, wie grinsende Sicherheitsleute mit dem Stiefel auf dem Kopf eines gefesselten Flüchtlings stehen, sind von der Polizei. Sie hat die Bilder über Umwege zugespielt bekommen und wurde aktiv: Es gibt Ermittlungen, Hunderte Flüchtlinge werden befragt, die Täter festgenommen. Es gibt sogar eine Soko und der Polizeipräsident zieht den überspitzten Vergleich zu Guantánamo, dem illegalen US-Gefängnis für politische Gefangene.
Genau dafür ist die Polizei da und sie hat in diesem Fall vorbildlich auf den Hinweis reagiert. Die Frage wäre nun aber, wie viele solche Fälle gibt es sonst noch? Wie hoch ist die berüchtigte Dunkelziffer? Gibt es Schikanen, die unter der bekanntgewordenen Brutalität bleiben und dennoch geahndet werden müssten?
An einer tiefergehenden Aufklärung gibt es wohl wenig Interesse: Journalisten wie Politiker verweisen lieber auf den geringen Bildungsgrad der Sicherheitsleute, auf die Tatsache, dass sie vorbestraft sind. Offensichtlich hätten sich Kriminelle unter das Personal eines privaten Sicherheitsdienstes gemischt, sagte der zuständige NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) – als würden Kriminelle aus Spaß an der Kriminalität kriminell sein.
So schlimm es ist, die Durchsetzung eines Menschenrechts zu privatisieren und sie so dem Profitmotiv unterzuordnen, und so wünschenswert es wäre, dass die Menschen, die mit Flüchtlingen zu tun haben, ausreichend geschult sind: Rassismus und Gewalt sind kein Klassenproblem. Wer unausgebildet und vorbestraft ist, ist nicht automatisch brutal und empathielos.
Räume ohne Rechenschaft
Die Gleichsetzung von Bildungsferne und Gewalt erklärt kaum, warum Pädagogen aus liberalen Bildungsbewegungen oder katholische Priester Kindern sexuelle Gewalt antun, warum häusliche Gewalt durch alle gesellschaftlichen Schichten ein Problem ist und warum die meisten Vergewaltiger ihren Opfern bekannt sind.
Gewalt entsteht dort, wo Macht ausgeübt werden kann, ohne dass Rechenschaft abgelegt werden muss. Das ist so, wenn Kinder missbraucht werden, es ist so, wenn Soldaten Häftlinge foltern, wenn Pflegekräfte Rentner vergewaltigen und wenn Sicherheitsleute Flüchtlinge misshandeln.
Im letzteren Fall bietet die gewollte Unsichtbarkeit der Geflüchteten den perfekten Schutz für Gewalt ohne Konsequenzen. Die Flüchtlingsheime liegen nicht ohne Grund am Rande von Städten oder mitten in der Pampa. Flüchtlingen wird nicht ohne Grund der Kontakt zur Bevölkerung erschwert – durch Reise- und Arbeitsverbote. Zugleich bietet die öffentliche Abwertung von Flüchtlingen zu reinen Kosten- und Dreckverursachern die perfekte Begründung, um sie im Schutz dieser Unsichtbarkeit schlecht zu behandeln.
Rauhe Männer übernehmen die Gewalt
Sowohl Unsichtbarkeit als auch Abwertung gehen aber vom Bürgertum aus. Oder, andersherum, es liegt in seiner Macht, diese Bedingungen zu ändern: Beispielsweise in den Parlamenten und Medien, wo kaum noch Menschen ohne Uni-Abschluss sitzen oder – wenn es denn am Geld liegt – durch höhere Steuern für Besserverdienende. Das Bürgertum führt die Situationen herbei, in denen Gewalt ausgeübt wird, und zeigt dann auf die, die es zu diesem Zweck rekrutiert.
Während ihre Jugendorganisationen gegen Schläger-Nazis und rassistische „Bürgerinitiativen“ vor Flüchtlingsheimen demonstrieren, machten es Union, SPD und Grüne zuletzt Flüchtlingen vom Balkan noch schwerer, in Deutschland zu bleiben. Die Abschiebungen, die daraus folgen, werden wieder raue Männer übernehmen, die bereit sind, Gewalt auszuüben, während das Bürgertum ruhig im Bette schläft.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator