Misshandlung durch Irans Sittenpolizei: Erneut Mädchen im Koma
Der Fall erinnert in vielen Punkten an den der Kurdin Jina Mahsa Amini. Nicht nur das Vorgehen der iranischen Behörden ist ähnlich.
Die 16-Jährige, die im Koma liegen soll, wird nun im Fadschr-Krankenhaus in Teheran behandelt, das der iranischen Luftwaffe untersteht. Das Krankenhaus ist Berichten zufolge militärisch abgeriegelt. Nicht einmal die Eltern des Mädchens dürfen ihre Tochter besuchen.
Jegliche Kommunikation wurde eingeschränkt, nachdem ein mutmaßliches Foto Garawands, auf dem sie an medizinische Geräte angeschlossen ist, an die Öffentlichkeit gelangte. Das Foto soll von einem Familienmitglied auf Instagram veröffentlicht worden sein, bevor es gelöscht und der Name des Accounts geändert wurde. Dies konnte bislang jedoch nicht verifiziert werden. Die Telefone des Krankenhauspersonals sowie der Eltern der Schülerin wurden infolgedessen beschlagnahmt.
Empfohlener externer Inhalt
Die Journalistin Maryam Lotfi, die für die reformistische Zeitung Shargh ins Krankenhaus ging, um über den Fall zu berichten, wurde am Montag nach Angaben der Zeitung festgenommen. Mittlerweile ist sie gegen Zahlung einer Kaution entlassen worden, wie ihre Schwester auf der Plattform X berichtete.
Behörden stellen den Fall anders dar
Iranische Behörden behaupten, Garawand sei wegen gesundheitlicher Probleme und niedrigen Blutdrucks ohnmächtig geworden. Auch Garawands Eltern mussten gegenüber dem staatlichen Fernsehsender Irna aussagen, dass ihre Tochter lediglich ohnmächtig geworden sei, es aber keinen Zwischenfall gegeben habe. Menschenrechtsorganisationen berichten, die Eltern seien zu den Aussagen gezwungen worden.
Aktivist*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen fordern nun die Veröffentlichung von Videomaterial aus der U-Bahn selbst. Demnach existieren Aufnahmen, die eine Misshandlung Garawands zeigen. Die in Norwegen ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw fordert zudem Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen und das Rote Kreuz auf, den Vorfall zu untersuchen. Auch die vom UN-Menschenrechtsrat im vergangenen Jahr eingerichtete Untersuchungskommission solle sich des Falls annehmen.
Garawands Familie stammt aus Kuhdascht in der westiranischen Provinz Luristan. In den 2000er Jahren zog die Familie in die mehrheitlich kurdische Stadt Kermanschah, bevor sie nach Teheran zog. Die 16-Jährige hat den 3. Dan im Taekwondo und malt in ihrer Freizeit.
Der Vorfall hat national und international Empörung ausgelöst. „Schon wieder kämpft eine junge Frau in Iran um ihr Leben. Allein, weil sie in der U-Bahn ihre Haare gezeigt hat. Es ist unerträglich“, schrieb die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Mittwoch.
Empfohlener externer Inhalt
Der Fall erinnert an die junge Kurdin Jina Mahsa Amini, die am 13. September 2022 ebenfalls von der Teheraner Sittenpolizei festgenommen und misshandelt wurde. Auch sie lag im Koma, bevor sie am 16. September 2022 ihren Verletzungen erlag. Selbst das Vorgehen der Behörden erinnert an den Fall Amini. Die Journalistin Nilufar Hamedi, die damals als erste aus dem Krankenhaus berichtet hatte, sitzt bis heute im Teheraner Evin-Gefängnis im Frauentrakt für politische Gefangene. Ihr wird unter anderem „Kollaboration mit dem Feindesstaat USA“ vorgeworfen.
Auch Aminis Eltern waren unter Druck gesetzt worden, öffentlich der Darstellung der Behörden zuzustimmen, die damals von Tod durch Vorerkrankung sprachen. Erst einige Wochen später veröffentlichte die Journalistin Nazila Marufian ein Interview mit Aminis Vater, der von Mord durch die Sittenpolizei sprach. Marufian wurde daraufhin verhaftet.
Der Tod Aminis löste im vergangenen Jahr eine breite Protestbewegung in Iran unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ aus. Mehr als 500 Menschen wurden seither im Zusammenhang mit den Protesten getötet und mehr als 22.000 Menschen festgenommen. Mindestens sieben Protestierende wurden hingerichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin