Ministerreden im Bundestag: Wer hat noch nicht, wer will noch mal
Nicht nur die Kanzlerin, sondern auch jeder neue Minister darf eine Regierungserklärung abgeben. Dafür geht jede Menge (Lebens-)Zeit drauf.
Angela Merkel (CDU) steht noch gar nicht am Pult, als das erste leise Raunen durch die Reihen der Abgeordneten geht. Bevor er der Kanzlerin das Wort erteilt, stellt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble das Programm der kommenden Tage vor.
„Für die Aussprache nach der Regierungserklärung sind heute 5,5 Stunden, morgen sieben Stunden und Freitag 5,5 Stunden vorgesehen.“ Eine ganz schön lange Aussprache also – weil jeder einzelne Minister des neuen Kabinetts eine eigene Erklärung mit anschließender Diskussion abgibt.
Und damit ist die komplette Sitzungswoche eigentlich schon belegt. Ein paar Bundeswehreinsätze werden auch noch verlängert – reine Formsache – ansonsten startet die neue Bundesregierung mit Erklärungen, Erklärungen, Erklärungen.
Auf Merkel folgt Außenminister Heiko Maas (SPD), dann Verteidigungsminister Ursula von der Leyen (CDU) und wenn im Ersten schon der Abendkrimi läuft, darf um 20.45 Uhr der alte und neue Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) eine Rede halten.
Die gute alte Zeit
Bis 2005 war es üblich, dass jeweils nur der Bundeskanzler eine Regierungserklärung abgibt. Dann ging es an die Arbeit. 2005 beschenkte sich die erste GroKo des neuen Jahrtausends dann selbst mit einer dicken Portion Aufmerksamkeit – und lies jeden Minister die eigenen großartigen Pläne vorstellen. Seitdem geht zu Beginn jeder Regierungszeit erst einmal eine komplette Sitzungswoche für Regierungserklärungen drauf.
In der Opposition hält sich die Freude über den Diskussionsmarathon in Grenzen. „Die neue Regierung haut jetzt alles raus, was sie hat – eine Woche lang“, sagt Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion. „Soll sie machen, aber dann bitte nicht mit ausschweifenden Ausführungen über die Herausforderungen, vor denen wir stehen – die kennen wir.“ Ihn interessieren viel mehr die konkreten Vorhaben und Zusagen für die nächsten vier Jahre, „und da bin ich sicherlich nicht der einzige.“
Den Abschluss der uferlosen Erklärungen bildet übrigens am Freitag um 14 Uhr die Rede von Gesundheitsminister Jens Spahn. Schade nur, dass Freitag nachmittags einige Abgeordnete schon auf dem Rückweg in ihre Wahlkreise sein dürften. So werden zahlreiche Mitglieder des Bundestags womöglich gar nicht mitbekommen, wozu Spahn neben Hartz IV, 219a und Islam sonst noch eine Meinung hat. Es gäbe da bestimmt noch einen Wetterbericht zu kommentieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland