Ministerpräsidentenkonferenz: Hase und Igel
Bundeskanzler und Ministerpräsidenten üben sich in trauter Einigkeit. Dennoch ist die Migrationspolitik in Deutschland ein Armutszeugnis.
B odo Ramelow hat recht: Deutschland braucht Zuwanderung. Tapfer hielt Thüringens linker Ministerpräsident am Mittwochabend im ZDF gegen die Angstmache der AfD und mahnte zu Pragmatismus. Ohne ausländische Ärzte und Pflegerinnen ginge es schon heute nicht, sagte er. Bis 2040 werde in Thüringen ein Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung in Rente und Pension gehen: Es drohe die Überalterung und ein Mangel an Arbeitskräften.
Das sind seltene Töne der Vernunft in einer Debatte, in der sich die meisten im Wettbewerb um die krassesten Forderungen zur „Begrenzung der Migration“ überbieten. Die Union heizt mit Panikvokabeln wie „Migrationsdruck“ und „Migrationskrise“ die Stimmung an, die Ampel beugt sich diesem Druck: Die schikanöse Bezahlkarte kommt, die Kontrollen an den Grenzen zu den Nachbarstaaten bleiben, es soll mehr Abschiebungen geben, und über Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU – die fragwürdige Ruanda-Fantasie – will sie bis Juni weiter nachdenken. Die Ampel setzt in der Asylpolitik auf Abschottung und Abschreckung.
Die Zweiklassengesellschaft unter Geflüchteten in Deutschland wird damit zementiert. Zwar denken manche inzwischen laut darüber nach, neu einreisenden Flüchtlingen aus der Ukraine statt Bürgergeld künftig nur noch Asylleistungen auszuzahlen. Doch das sind nur Gedankenspiele. Die über eine Million Geflüchteten aus der Ukraine bleiben in vielerlei Hinsicht privilegiert und von neu beschlossenen Schikanen wie der Bezahlkarte ausgenommen.
An den Problemen der Kommunen, Flüchtlinge unterzubringen, wird sich wenig ändern, denn auf mehr Geld vom Bund können sie nicht hoffen: Auch das kam bei der Ministerpräsidentenkonferenz heraus. Doch solange der Krieg in der Ukraine tobt, werden auch weiter Menschen von dort nach Deutschland flüchten und hier bleiben. Die Flüchtlinge aus anderen Ländern aber werden zum Sündenbock gemacht.
Die Union wird die Ampel weiter vor sich hertreiben
Nach ihrem Treffen demonstrierten Bundeskanzler Scholz und Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz traute Einigkeit. Doch die anderen Unions-Länderchefs Markus Söder, Hendrik Wüst und Daniel Günther machen schon deutlich, dass ihnen die bisherigen Verschärfungen längst nicht reichen. Kurz: Die Union wird die SPD und die Ampel bei diesem Thema weiter vor sich hertreiben, so viel ist klar. Das ist ihr Wahlkampfkalkül. Die AfD kann sich zurücklehnen und diesem Wettlauf der Schäbigkeiten entspannt zuschauen.
Die anderen Parteien betreiben ihr Geschäft, indem sie die Fluchtmigration zum Hauptproblem erklären – statt zu einer Herausforderung, die es pragmatisch zu gestalten gilt und die auch Chancen bietet. Es ist wie in der Geschichte von Hase und Igel: Da, wo die anderen sich hinbewegen, da steht die rechtsextreme Partei schon lange. Es wäre Zeit, die Richtung der Debatte zu ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend