Ministerium als Sparkandidat: Das droht der Entwicklungspolitik nach der Wahl
Einige Parteien wollen das Entwicklungsministerium abschaffen oder ins Auswärtige Amt eingliedern. Expert*innen halten das für keine gute Idee.
Unter welchem Haus die beiden Felder geeint werden sollen, wollte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) bislang nicht sagen. Klar ist jedoch, dass nationale Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen bei der Union im Vordergrund stehen. Entwicklungspolitik soll deutsche Unternehmen mehr fördern und noch stärker an Bedingungen, etwa die Rücknahme Geflüchteter gekoppelt werden. SPD, Grüne und Linke wollen das BMZ als eigenständiges Ministerium erhalten. Sie betonen neben geoökonomischen und Sicherheitsinteressen auch Aspekte globaler sozialer Gerechtigkeit.
Ein Vorteil von Entwicklungszusammenarbeit sei, dass sie Investitionen in langfristige Strukturen mit Partnerländern ermögliche, „auch dort wo das Eigeninteresse nicht immer im Vorrang hat“, sagt Stephan Klingebiel, der zu Wirksamkeit von Entwicklungspolitik am Deutschen Institut für Entwicklung und Nachhaltigkeit in Bonn (IDOS) forscht. Die Außenpolitik verfolge hingegen stärker kurzfristige nationale Interessen und ist zudem auf staatliche Beziehungen angewiesen.
Entwicklungspolitik ermögliche es „jenseits bilateraler Beziehungen langfristig, mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zu kooperieren. Das ist gerade angesichts einer Zunahme von autokratischen Systemen in der Welt wichtig“, sagt Klingebiel weiter und spricht sich daher für ein eigenständiges Entwicklungsministerium aus.
„Wichtige Stimme für Menschenrechte am Kabinettstisch“
Auch die Hilfsorganisation Welthungerhilfe, die in ihrer Arbeit mit beiden Ministerien zu tun hat, argumentiert für den Erhalt eines eigenständigen Entwicklungsministeriums. „Das Ministerium ist ein starkes und erfolgreiches Instrument für das internationale Engagement unseres Landes“, sagt Sprecherin Simone Pott. Sie weist außerdem daraufhin, das mit einem eigenständigen BMZ „eine wichtige Stimme für Menschenrechte am Kabinettstisch sitzt“. Anders als die anderen Ministerien bringt das BMZ auch die Perspektiven von Partnern im Globalen Süden ein.
Hauptargument für die Neuaufteilung der Ressorts ist es, die Politik einheitlicher und damit effizienter zu machen. Derzeit überschneiden sich einige Bereiche des Außen- und Entwicklungsministeriums, vor allem in der Reaktion auf Krisen, also strukturelle Hilfen, Wiederaufbau und Prävention. Auch in anderen Beriechen gibt es Überschneidungen, so kommen die meisten Gelder für internationale Klimafinanzierung, also für die Reduzierung von Emissionen und Anpassung an klimatische Veränderungen vom BMZ. Teile davon aber auch vom Wirtschafts- und Umweltministerium.
Auf den ersten Blick ist die Argumentation naheliegend. Eine Zusammenführung von Außen- und Entwicklungspolitik unter einem Dach macht eine einheitliche Strategie leichter, die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur und Auslandsvertretungen etwa könnte Einsparungen und mehr Effizienz bringen. Und auch für lokale und internationale Partner ist es leichter, einen Ansprechpartner zu haben und nicht verschiedene Ressorts. Eine noch unveröffentlichte Analyse der gemeinnützigen Denkfabrik Kooperation Global zeigt jedoch, dass die theoretischen Überlegungen in der Praxis nicht standhalten und dass andere Möglichkeiten der besseren Koordination „ähnliche Vorteile bei geringeren Risiken“ bieten.
Beispiel Großbritannien: Das Land hat 2020 sein Entwicklungsministerium ins Außenministerium eingegliedert – dabei allerdings auch den Etat drastisch gekürzt. Laut der Analyse von Kooperation Global verließen entwicklungspolitische Experten das Haus, „komplexe Notsituationen wurden weniger effektiv bewältigt und die Transparenz der Entwicklungsausgaben sank deutlich“. Auch wurden die langfristigen entwicklungspolitischen Ziele zugunsten kurzfristiger außenpolitischer Interessen vernachlässigt. Das schwächte Partnerschaften, aber auch die britische Handlungsfähigkeit, so die Denkfabrik. Ähnlich verlief es in Kanada und Australien.
Koordination zwischen den Ministerien muss besser werden
Oft wird angeführt, dass die meisten Geberländer ihre Außen- und Entwicklungspolitik in einem Ministerium angesiedelt haben. Auf der anderen Seite gibt es gerade bei den Top-Gebern eine Teilung, also in den USA, Deutschland, Japan, Frankreich und Schweden.
Die Autorinnen empfehlen, das BMZ als eigenständiges Ministerium zu erhalten. Die Koordination zwischen den Ministerien könnte zum Beispiel im Rahmen eines nationalen Sicherheitsrates verbessert werden. Eine weitere Überlegung ist, die humanitäre Hilfe in das BMZ zurückzuführen, das „müsste jedoch strategisch vorbereitet werden“, heißt es in der Analyse.
Die humanitäre Hilfe wurde 2011 unter FDP-Entwicklungsminister Dirk Niebel ausgegliedert. Grundsätzlich haben die Felder allerdings auch unterschiedliche Zielsetzungen. Humanitäre Nothilfe ist kurzfristig und muss vom Grundsatz neutral sein. Entwicklungspolitik soll langfristig sein und kann politische Ziele verfolgen.
Auch Jörg Faust betont die Notwendigkeit von besserer Koordination. Er ist Direktor des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval). Sein Institut untersucht die Qualität und Effizienz der deutschen Entwicklungspolitik. Die Problematik bei der Abstimmung der verschiedenen Ressorts komme in den Evaluierungen von DEval regelmäßig auf, sagt Faust. In der Auswertung des deutschen Einsatzes in Afghanistan heißt es etwa eine gemeinsame Strategie vom Auswärtigen Amt, Innen- und Entwicklungsministerium habe gefehlt.
„Zudem arbeiteten die Ministerien parallel und teilweise in Konkurrenz zueinander, vor allem im Bereich der Stabilisierung“, so eine Zusammenfassung des Berichts. Ähnlich war es beim zivilen Engagement im Irak, aber auch im Bereich der internationalen Umwelt- und Klimapolitik. „Eine Auflösung des Entwicklungsministeriums führt nicht nötiger weise zu mehr Effizienz und Wirksamkeit“, sagt Faust. Vielmehr lautet die Empfehlung: „Die Koordination muss besser werden“. Sie solle deutlich über den Informationsaustausch hinausgehen und gemeinsame Strategien setzen. Das haben bereits etablierte Instanzen, etwa der Austausch von Staatssekretär*innen bislang nicht erreicht.
Strukturelle Benachteiligung des Globalen Südens
Die Abschaffung von Entwicklungspolitik kommt in Deutschland meistens von Rechts und verweist auf mehr Isolation oder den Vorrang von Ausgaben im Inland. Sie ist aber auch eine alte Forderung, zahlreicher Autor*innen aus dem Globalen Süden etwa. Sie sehen Entwicklungspolitik als Zementierung kolonialer Machtstrukturen. Aram Ziai lehrt Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel.
Ziai sagte der taz, eine Abschaffung des BMZ wäre dann möglich, wenn gleichzeitig auf die Durchsetzung anderer nationaler Interessen verzichtet werde, etwa „Märkte im Süden aufbrechen im Sinne deutscher Unternehmen oder Agrarsubventionen aufrechterhalten im Sinne deutscher Landwirtschaftsunternehmen“. Entwicklungspolitik sei zwar bereits an außenwirtschaftlichen oder geopolitischen Zielen ausgerichtet, beinhalte aber als einziges Politikfeld zumindest teilweise eine Orientierung an einem eher unorthodoxen nationalen Interesse, im Sinne von „wir müssen globale Armut lindern, um nicht negativ von Krisen, Terrorismus und Migration betroffen zu sein“.
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