Minister für straffreies Containern: Dafür noch kein Applaus
Grüne und FDP wollen, dass Containern künftig nur bei Hausfriedensbruch bestraft wird. Ein echter Vorstoß gegen Verschwendung sähe anders aus.
Wer schon einmal Lebensmittel aus Tonnen hinter Supermärkten gerettet hat, weiß: Es lohnt sich, denn weggeschmissen wird ohne Ende. Eine einzige schimmelnde Avocado und zack, landet das komplette Netz im Abfall. Eine leicht zerquetschte Banane und die anhängenden müssen auch dran glauben. Am schlimmsten ist es wohl im Sommer: Kaum beginnt die Grillsaison, landet das unverkaufte Fleisch im Container. Die umsonst getöteten Tiere werden dort beerdigt, zusammen mit Schnittblumen, die noch nicht ihren Glanz verloren haben.
Dieser Lebensmittelverschwendung wollen Grüne und FDP nun beikommen. Wenn auch eher indirekt – sozusagen über die Verbraucher:innen. Am Dienstag erklärten Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP), dass sie den Hamburger Vorschlag aus 2021 unterstützen wollen. Der sieht vor, das sogenannte Containern, also das Retten noch genießbarer Lebensmittel aus Müllcontainern, straffrei zu stellen. Bisherige Versuche, das Containern zu entkriminalisieren, scheiterten an der CDU.
Darüber hinaus wollen die Minister die Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel abschaffen: Anlass für beide Vorschläge sind die anhaltend hohen Lebensmittelpreise. Schade, dass hier erst etwas passiert, nachdem die Inflation die angestiegenen Preise für alle fühlbar machte. Und ebenfalls schade, dass die Verschwendungsbekämpfung dort ansetzt, wo sie wohl die wenigsten Auswirkungen haben wird.
Denn laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sind lediglich 7 Prozent der Lebensmittelabfälle auf den Handel zurückzuführen. Das meiste hingegen, mit 59 Prozent und insgesamt 6,5 Millionen Tonnen – dem Gewicht von ungefähr 1 Million Elefanten –, entsorgen die privaten Haushalte. Zu den erfassten Abfällen zählt zwar ebenso nicht essbarer Müll wie Nussschalen, Kaffeesatz oder Knochen. Vergammelte Lebensmittel, die zu lange in der hintersten Ecke des Kühlschranks verbrachten, dürften aber den Großteil ausmachen.
Es braucht mehr Wertschätzung für unsere Nahrung
Hinzu kommt, dass Containern den Ministern zufolge nur noch bestraft werden soll, wenn Hausfriedensbuch vorliegt, „der über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwands hinausgeht“ oder „den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt“. Da die allermeisten Supermärkte ihre Abfallcontainer nicht offen stehen lassen, sondern hinter Zäunen versteckt halten, hat sich für die Mehrheit der Container:innen de facto nichts verändert.
Wollen Özdemir und Buschmann die Lebensmittelverschwendung ernsthaft anpacken, gibt es weitaus mehr Baustellen, an denen sie arbeiten können. Und die fangen bei der Aufklärung über bestimmte Bezeichnungen an. Vielen Verbraucher:innen ist der Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) und Verfallsdatum nicht klar – Letzteres sollte aus gesundheitlichen Gründen beachtet werden, Ersteres hingegen ist kein Grund, das Essen auf der Stelle zu entsorgen.
Das MHD gibt nur an, ob das Produkt spezifische Eigenschaften wie Geschmack, Farbe oder Konsistenz behält. Noch wichtiger ist, dass wir unsere Lebensmittel wertschätzen, insbesondere Tierprodukte. Der Kapitalismus hat dafür gesorgt, dass uns zu jeder Zeit und an jedem Ort möglichst günstig zur Verfügung steht, wonach uns gerade der Geschmackssinn steht.
Spenden, Gebühren, Verwerten
Insgesamt sollte sich Deutschland ein Beispiel an anderen Ländern nehmen, die der Lebensmittelverschwendung längst den Kampf angesagt haben. So hat Frankreich seinen Supermärkten 2016 gesetzlich verboten, noch genießbare Lebensmittel wegzuwerfen. Stattdessen müssen die Geschäfte das Essen an die Tafel oder an Wohltätigkeitsvereine spenden.
Japan entschied sich 2001 dazu, Lebensmittelabfälle zu Tierfutter und Dünger zu verarbeiten. Und in Südkoreas Hauptstadt Seoul muss die Bevölkerung seit 2016 eine Recyclinggebühr für ihre Lebensmittelabfälle zahlen. Darüber hinaus verlangen Betreiber:innen vereinzelter All-you-can-eat-Restaurants eine Strafe, wenn Gäste ihre eigens zusammengestellten Portionen nicht aufessen. Drohen Konsequenzen, ist das mit der Wertschätzung also plötzlich gar nicht mehr so schwer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag