Mindestlohn kommt fast ohne Ausnahme: Kein Flickenteppich
Die SPD setzt sich bei Lohnuntergrenze weitgehend durch. Ausgenommen sind nur sehr wenige Gruppen, darunter Jugendliche unter 18 Jahren.
BERLIN taz | Die Zufriedenheit war Andrea Nahles (SPD) anzusehen. „Der Mindestlohn kommt ohne Ausnahmen und er kommt pünktlich“, konnte die Bundesarbeitsministerin am Mittwoch in ihrem Ministerium in Berlin verkünden. Die Nachricht des Tages: Die SPD hat sich im Gezerre um den Mindestlohn weitgehend durchgesetzt. Weitgehend, denn ein paar Ausnahmen wird es doch geben.
Zweieinhalb Stunden hatten die drei Parteichefs der Großen Koalition, Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD), in der Nacht zum Mittwoch im Kanzleramt zusammengesessen, um endlich zu einer Einigung zu gelangen. Immer wieder hatten Abgeordnete aus der Union und Vertreter der Wirtschaft Ausnahmen gefordert: mal sollten die Rentner, mal Zeitungsausträger oder Saisonarbeiter keinen Mindestlohn erhalten.
Zum Schluss wurde um die Altersgrenze gepokert. Wirtschaftsvertreter, aber auch einzelne Unions-Abgeordnete forderten, die Bezahlung von 8,50 Euro Stundenlohn erst ab 21 oder gar 25 Jahren zur Pflicht zu machen. Nahles hielt dagegen und brachte, mit Verweis etwa auf das Jugendschutzgesetz, die Grenze von 18 Jahren ins Gespräch.
Bei dieser Grenze von 18 Jahren soll es nun bleiben. Dazu gesellen sich, wie schon im Koalitionsvertrag festgelegt oder in den letzten Monaten vom Bundesarbeitsministerium bereits bestätigt, weitere Ausnahmen: So werden auch Auszubildende oder Ehrenamtliche, da sie in keinem regulären Arbeitsverhältnis stehen, vom Mindestlohn ausgenommen.
Ebenso erhalten Praktikanten, die ein Praktikum verpflichtend für Schule, Ausbildung oder Studium absolvieren, sowie Jugendliche, die auf eigene Motivation hin ein vierwöchiges Praktika zur Berufs- oder Studienorientierung absolvieren, das Minimum von 8,50 Euro nicht garantiert. Alle anderen Praktikanten, die nach der Ausbildung oder dem Studium in einem Betrieb arbeiten, haben hingegen Anspruch auf 8,50 Euro.
Arbeitslose mit Karenzzeit
Neu hinzu kommt als Ausnahme eine Karenzzeit für Arbeitslose, die länger als ein Jahr ohne Stelle sind. Finden sie wieder eine Arbeit, die mit Zuschüssen von der Bundesagentur für Arbeit subventioniert wird, müssen sie im ersten halben Jahr auf den Mindestlohn verzichten. Das Bundesarbeitsministerium geht von derzeit rund 16.000 Betroffenen aus. Es ist ein Kompromiss, der die Handschrift von Horst Seehofer trägt – er hatte zuletzt auf Ausnahmen für Langzeitarbeitslose gedrungen.
Das Werben für weitere Ausnahmen lief jedoch ins Leere: Nun soll es in keiner einzelnen Branche Ausnahmen von den 8,50 Euro geben. Das Arbeitsministerium hatte in den letzten Wochen dazu Gespräche mit den jeweiligen Wirtschaftsverbänden geführt. Sie haben nun unter bestimmten Umständen höchstens noch zwei Jahre Zeit, sich auf die neue Lohnuntergrenze einzustellen. Denn nach wie vor gilt: Der Mindestlohn soll ab 1. Januar 2015 greifen. Nur dort, wo Branchenverträge repräsentativer Tarifpartner existieren, die weniger als 8,50 Euro vorsehen, behalten diese noch bis zum 1. Januar 2017 ihre Gültigkeit.
SPD-Chef Gabriel lobte die Einigung: „Dass der Mindestlohn bald im Gesetzblatt steht, ist ein gemeinsamer Erfolg der SPD, der Gewerkschaften und auch der Union.“ Peter Weiß, Vorsitzender der CDU-Arbeitnehmergruppe, hatte die Forderungen nach einem Mindestlohn-Flickenteppich nochmals zurückgewiesen: „Ausnahmen für einzelne Berufsgruppen vom Mindestlohn sind weder sinnvoll noch rechtlich durchsetzbar. Wir wollen keine Fehlanreize auslösen, sondern die reguläre Beschäftigung stärken“, sagte Weiß zur taz.
Vier Millionen Menschen profitieren
Bereits Anfang April soll der Gesetzentwurf, der nun in den Ministerien zirkuliert, vom Kabinett abgenickt werden. Vier Millionen Menschen könnten dann ab 2015 umgehend von einer Lohnerhöhung profitieren, weitere zwei Millionen kämen spätestens ab 2017 dazu.
Das Gesetz soll zudem die Einführung von einzelnen Branchenmindestlöhnen, die höher ausfallen können als 8,50 Euro, vereinfachen. Zudem soll es künftig leichter möglich sein, einen Tarifvertrag für eine ganze Branche für allgemeinverbindlich zu erklären. Bisher war dafür nötig, dass unter dem entsprechenden Tarifvertrag bereits 50 Prozent der betroffenen Beschäftigten arbeiten müssen. Künftig soll dieses Quorum fallen und durch das Kriterium „öffentliches Interesse“ ersetzt werden. Das Bröckeln der Tarifbindung, das seit Jahren zu beobachten ist, könnte so ausgebremst werden.
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