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Minderjährige GeflüchteteIm griechischen Knast

In Griechenland machen inhaftierte minderjährige Geflüchtete brutale Erfahrungen. Einige fangen an, sich selbst zu verletzten.

Auch Malik kam mit einem Schlauchboot aus der Türkei nach Griechenland Foto: dpa

Athen taz | Nach dem Abendessen auf dem Strefi-Hügel in Athen entspannen sich die Gesichtszüge von Malik Fajr. Es ist sechs Uhr abends und er isst das erste Mal an diesem Tag. Seine Hände umklammern das Sandwich, als er sagt: „Jetzt geht es mir besser. Seit meiner Freilassung versuche ich zu überleben.“

Drei Monate saß Malik, damals 16 Jahre alt, mit anderen Flüchtlingen in einem griechischen Gefängnis für illegalisierte Migranten. Eine juristische Einzelfallprüfung oder ein rechtlicher Beistand wurden ihm nicht gewährt.

Der heute 17-jährige Malik kommt aus Casablanca und will in Deutschland leben und zur Schule gehen. Aber er hängt fest in Griechenland, einem Land, das sich für viele Flüchtlinge zu einer Falle entwickelt hat. Vor allem für jene, die am meisten Schutz bräuchten. Allein reisende minderjährige Flüchtlinge werden inhaftiert. Eigentlich sollen sie in Jugendheimen untergebracht werden, doch es gibt nicht genügend Plätze. Man wolle die Jugendlichen schützen, argumentieren die Behörden. Auf der Straße seien sie nicht sicher vor Menschenhandel und Ausbeutung.

Etwa 1.600 Minderjährige stehen auf der staatlichen Warteliste. Sie warten in überfüllten Camps und auf der Straße. Werden sie von der Polizei aufgegriffen, kommen sie in „polizeiliche Schutzhaft“.

„Es ist klar, dass eine Zelle kein Ort für ein Kind ist“ sagt Giorgos Kyritsis, Sprecher des griechischen Regierungskomitees zur Migrationskrise. „In manchen Fällen gibt es aber keinen anderen Weg, für die Sicherheit der Kinder zu garantieren“, rechtfertigt er das Vorgehen. Nach dem Gesetz dürfen Minderjährige für 45 Tage inhaftiert werden. Tatsächlich dauert die Haft nach Auskunft von Hilfsorganisationen jedoch oftmals Monate.

Maliks Lächeln wirkt gequält

Maliks Reise beginnt im Dezember 2015. Er fliegt von Marokko nach Istanbul und fährt mit einem Schlauchboot nach Griechenland. Dort glaubt er das Schlimmste hinter sich zu haben. Auf Facebook posiert er lächelnd für ein Foto am Strand. Er sei jetzt auf dem Weg nach Deutschland, schreibt er. Dann ist sein Account mehrere Monate inaktiv. Es ist die Zeit, die er in der Haftanstalt für illegale Migranten in Korinth verbringt.

Maliks Lächeln wirkt gequält, wenn er über seine Ankunft in Griechenland erzählt und wie er in das Übergangslager Elliniko im alten Athener Flughafen gebracht wurde. Eines Abends tauchte die Polizei im Camp auf. Sie kontrollierten die Papiere und sagten, man wolle ihn und ein paar andere in ein Camp mit besserer Infrastruktur bringen. Erst als die jungen Männer Stacheldraht und das Schild an der Einfahrt ihres neuen Wohnortes sahen, wurde ihnen klar, was mit dem „besseren Camp“ gemeint war: das Gefängnis für illegalisierte Migranten.

Die Bedingungen im Gefängnis seien brutal gewesen, erzählt Malik, vor allem im Winter. „Warmes Wasser hatten wir nur, weil wir mithilfe der offenen Stromleitungen in unserem Trakt das Wasser erhitzen.“ Im Dezember wagten einige der Gefangenen einen Ausbruchsversuch. „Sie kamen bis zum äußersten Zaun. Dann wurden sie geschnappt und zusammengeschlagen. Alles war voller Blut. Am Stacheldraht hatten sich die Menschen den gesamten Körper aufgeschnitten.“

Sie fangen an, sich zu ritzen

Laut dem griechische Sozialministerium hielten sich Mitte Oktober etwa 359 unbegleitete Minderjährige in geschlossenen Einrichtungen auf. Aussagen eines Polizeioffiziers zufolge waren allein in der Region Kilkis in der ersten Jahreshälfte 77 Kinder in polizeilicher Schutzhaft. Die Zahl der inhaftierten erwachsenen Geflüchteten wird hingegen nicht veröffentlicht. Schätzungen gehen von mehreren Tausend Inhaftieren aus. Unter ihnen Kinder wie Malik.

Einige der Kinder fangen in der Haft an, sich selbst zu verletzten. Sie ritzen sich mit Rasierklingen die Haut auf. Am schlimmsten war es, wenn mal jemand abgeschoben wurde. Da war ein Mann, der hat sich den kompletten Bauch aufgeschnitten. Das verzögerte die Abschiebung, aber letztendlich saß er dann doch im Bus Richtung Türkei.“ Malik beißt auf seinen Fingernägeln herum, den Blick in Richtung Boden gerichtet.

Gemeinsam mit ein paar Freunden unterstützt Julia Schmidt, eine junge Sozialarbeiterin aus Deutschland, inhaftierte Kinder in Griechenland. Ihren richtigen Namen verrät sie nicht. Sie will anonym bleiben, weil sie Angst vor Anfeindungen durch die Polizei hat. Mit einem abgeklärten Blick nippt sie an ihrem Kaffee.

„Wenn du im Gefängnis bist, dann kannst du nachts nicht schlafen. Ich versuche für die Jungen da zu sein. Sobald die Sonne untergeht schreiben wir Nachrichten über Mobiltelefone hin und her. Wir machen Witze und erzählen uns Geschichten.“ Sie erzählt von Elektroschockern, die Polizisten gegen Kinder verwenden.

Sie zeigt Bilder auf ihrem Handy, die ihr die Kinder regelmäßig schicken: das Foto einer Zelle in einer griechischen Polizeistation im Norden Griechenlands. Es ist eng, an den Seiten stehen Etagenbetten, auf dem Boden schlafen Menschen. Die Wände sind schimmelig. Ein anderes Foto zeigt eine Gruppe junger Afghanen, die sich aus Verzweiflung die Beine aufgeschnitten haben.

Zurück zum Dublin-System

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert in ihrem Bericht vom September 2016 die katastrophalen Zustände in griechischen Haftanstalten. Es gebe keinerlei Freizeitbeschäftigungen und Berichte von Misshandlungen durch die Polizei. Kinder würden geschlagen und gefesselt. „Der Mangel an Betreuung, Versorgung und Schutz von Kindern in griechischer Haft bricht internationales und nationales Recht“, sagt die Menschenrechtsbeobachterin Eva Cossé von Human Rights Watch.

Weil er keinen anderen Ausweg sieht, beantragt Malik kurz nach seiner Inhaftierung Asyl. Es dauert zwei Monate bis die Justizbeamten ihn zur Asylbehörde bringen. Als er schließlich entlassen wird, bekommt er seinen Rucksack und ein Ticket nach Athen ausgehändigt. Kurzzeitig lebte er dort in einem Zelt im Stadtpark, wo, wenn er abends schlafen ging, die Drogendealer ihre Arbeit begannen. Zurzeit lebt er bei einem Freund in einer Wohnung und verdient mit Gelegenheitsjobs bei der Trauben- und Olivenernte am Tag etwa 20 bis 25 Euro.

Davon abgesehen, wird die Situation in Griechenland ab März noch dramatischer. Dann will die EU das Dublin-System wieder aktivieren, nach dem ein Flüchtling in dem europäischen Land Asyl beantragen muss, das er zuerst betreten hat. Im Klartext heißt das, die EU-Länder sollen ihre Flüchtlinge wieder zurück nach Griechenland schicken, wo die meisten angekommen sind. Der griechische Einwanderungsminister Ioannis Mouzalas hält das für ein Desaster. Mitte Januar will er mit Italien, Malta und Bulgarien über eine gemeinsame „Front“ gegen die Pläne der EU beraten.

Mouzalas indes hat eigene Pläne, wie er die Situation in Griechenland beruhigen will: Alle Flüchtlinge, die nur eine minimale Chance auf Asyl hätten, sollen in speziellen „Vorabschiebelagern“ interniert werden.

Seit Monaten wartet Malik auf seinen Anhörungstermin bei der Asylbehörde in der Hoffnung, bald nach Deutschland reisen zu können. Sobald er 18 wird, sind seine Chancen auf Asyl allerdings äußerst schlecht: 2015 lag die Anerkennungsquote für marokkanische Asylbewerber in Deutschland bei 3,7 Prozent. Wenn Maliks Asylprozess nicht erfolgreich ist, wird er wahrscheinlich erneut inhaftiert.

Die Recherche der Autoren wurde mit einem Stipendium von Netzwerk Recherche gefördert.

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27 Kommentare

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  • Um tatsächlich Kapazitäten für Asylberechtigte (politisch Verfolgte) zu haben ist es unerläßlich, daß in den Botschaften der Herkunftsländer Asylanträge geprüft werden können. Illegale Migration, das Schlepperwesen und die beschriebenen Zustände in GR könnten hierdurch - bei geschlossenen Außengrenzen - abgestellt werden.

  • Tja, vielleicht sind diese Leute - im Gegensatz zu Ihnen - bereit, auch mal ihre persönliche "Filter Bubble" zu verlassen?

  • Hat Griechenland denn nicht eine Regierung der radikalen Linken? Was ginge da erst ab, wenn Konservative am Ruder wären?

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Also hier im Forum ist ja mittlerweile bei solchen Themen eine tonality wie auf einer AfD-Facebook-Seite.

     

    Und missgünstig und kiebig wird klar gemacht, was man von solchen Leuten hält.

     

    Keine Ahnung warum solche Leute die taz lesen.

  • Die Täter von Silvester 2016 waren bestimmt auch alles "Minderjährige". Das sort dann schon für die nötige Träne.

  • "Seit Monaten wartet Malik auf seinen Anhörungstermin bei der Asylbehörde in der Hoffnung, bald nach Deutschland reisen zu können."

     

    Er beantrag Asyl in Griechenland, um danach weiter zu reisen nach Deutschland? Das ist sicher nicht im Sinne der Dublin II Vereinbarung!

  • "Der heute 17-jährige Malik kommt aus Casablanca und will in Deutschland leben und zur Schule gehen."

     

    Vor was ist er denn aus Casablanca geflohen? Die Wahrscheinlichkeit, seinen Asylantrag genehmigt zu bekommen, liegt relativ niedrig.

  • Für Menschen wie Malik wurde das Asylrecht nicht gemacht. Zumindest steht nirgendwo in dem Artikel, dass Malik in Marokko ein Aktivist war, der von staatlichen Behörden verfolgt wurde. Insofern missbraucht er das Asylrecht, da es eben genau den Menschen Schutz bieten soll, die tatsächlich verfolgt werden.

     

    Aus diesem Grund bedarf es auch eines Einwanderungsrechts, das Menschen die Möglichkeit gibt, legal einzuwandern. Aber auch bei so einem Gesetz wären die Chancen für Malik wohl schlecht, da man wohl ein gewisses Maß an Qualifizierung mitbringen müsste, um eine wie auch immer geartete Green Card zu bekommen. Vielleicht könnte man Innerhalb so eines Gesetzes auch eine Art begrenztes Stipendium für junge unqualifizierte Einwanderer anbieten. Wenn es so ein Gesetz gäbe, müsste es jedoch konsequent angewendet werden um eine breite Akzeptanz bei der Bevölkerung finden. Das bedeutet, dass diejenigen, die nicht legal einwandern eben auch wieder abgeschoben werden. Letztlich müssen sich Länder wie Marokko von alleine entwickeln und Ihrer Bevölkerung Chancen bieten. Deutschland und der Westen kann nicht die Verantwortung für die ganze Armut der Welt übernehmen.

  • Minister Mouzalas duldet in Griechenland menschenunwürdige Bedingungen für Flüchtlinge. Der Versuch andere Staaten in Europa für die Situation in Griechenland verantwortlich zu machen, ist jämmerlich. Man gewinnt zunehmend den Eindruck, daß man sich in Griechenland durch menschenunwürdige Behandlung von Flüchtlingen aus den Dubin-System heraus winden will. Bis vor Kurzen hat dies ja ganz gut geklappt.

    Die miese Behandlungen Flüchtlingen hat in Griechenland kalkül. Man tut in alles Griechenland alles dafür, daß sich die Flüchtlinge auf keinen Fall bleiben möchten.

    Der ehemalige Flüchtlingsaktivist Mouzalas lässt dies alles zu und plant jetzt noch Abschiebelager. Wie die dann aussehen werden, lässt sich unschwer beim Besuch anderer Flüchtlingslager in Griechenland feststelen.

  • 3G
    36119 (Profil gelöscht)

    Was ist jetzt die Lösung für Malik und Millionen junger männlicher Nordafrikaner ohne Job und Perspektive in ihren Heimatländern? Ich würde sagen, 15% für die AfD sind jetzt schon 15% zu viel. Deutscland darf dieser Partei nicht noch mehr Wähler zutreiben. Es ist zudem eine absolut fixe Idee, Deutschland hätte eine wie auch immer geartete Verpflichtung, Leute wie Malik aufzunehmen. Genug ist genug.

    • @36119 (Profil gelöscht):

      Was ist das jetzt für eine Argumentation? Gegen Flüchtlinge sein, um die AfD zu verhindern? Zugeständnisse an die Nazis machen und damit selber nach rechts rücken? Die Rechten geben keine Ruhe, auch wenn es in Deutschland garkeine Flüchtlinge mehr geben würde. Faschismus hat und braucht immer Feindbilder und wenn es keine "Ausländer" mehr gibt, dann bist es bald du und ich. Kein Appeasement an die braue Brut - Genug ist genug!

      • @Festlandfrosch:

        *braune

        • @Festlandfrosch:

          Wäre mir neu, dass AfD das Asylgesetz abschaffen möchte.

  • Ganz elementar gefragt:

     

    Was macht ein 16jähriger aus Casablanca in Istanbul, auf einem Schlauchboot und in griechischer Haft, ausser ein besseres Leben als in Casablanca zu suchen?

     

    Und selbst in Casablanca war er nicht ganz arm, sonst hätte der Flug nach Istanbul nicht finanziert werden können. von der Schlauchbootfahrt ganz abgesehen.

     

    Hat er Familie? Eltern? In Casablanca?

     

    Stehen die hinter seinem Migrationsversuch und haben sie ihn eventuell finanziert?

     

    Es gibt hier viele Aspekte, die der Artikel in keiner Weise beleuchtet.

    • 3G
      36119 (Profil gelöscht)
      @Huck :

      Ganz elementar geantwortet:

       

      Es geht einzig ud allen darum, Deutschland für etwas verantwortlich und haftbar zu machen, wofür es nicht zuständig ist. Das ist in der Tat schon ein starkes Stück.

      • @36119 (Profil gelöscht):

        Die Mitverantwortung des Westens, Europas, des Kolonialismus, des Imperialismus und damit auch Deutschlands am Elend ganzer Weltregionen zu negieren ist in der Tat schon ein starkes Stück!

        • @Festlandfrosch:

          "Maliks Reise beginnt im Dezember 2015. Er fliegt von Marokko nach Istanbul und fährt mit einem Schlauchboot nach Griechenland. "

           

          Wenn Flucht warum - warum? Und warum immer wieder aus Magreb Ländern?

           

          Vom Prinzip her sind die Zustände in der Ukraine oder Russland auch nicht besser - von de kommen aber keine Flüchtlinge

        • @Festlandfrosch:

          Der westen ist für das Elend der Welt sicher mitverantwortlich. Grenzenloses Wirtschaftswachstum ist westliche Ideologie. Wir haben die Grenzen des Wachstums erreicht. Es ist zuende. Der Westen kann das Elend - für das er mitverantwortlich ist - nicht mehr aus der Welt schaffen. Es hilft dem großen Ganzen nichts, einzelne Flüchtlinge aufzunehmen.

           

          Malik muss zurück nach Casablanca. Man sollte Marokko dafür bezahlen, dass es Flüchtlinge wie Malik zurücknimmt und möglichst gut behandelt. Mehr aber nicht.

        • 3G
          36119 (Profil gelöscht)
          @Festlandfrosch:

          Das ist eine Unterstellung. Ich habe nichts derartiges negiert. Was ich jedoch ganz klar bezweifle, ist, dass man Hilfe nur dann gewähren könne, wenn die Leute alle in Deutschland angekommen sind. Im Übrigen, hätte ein wirklich hilfebedürftiger Mensch beispielsweise in Pakistan keine 8000 Euro, um sich und seine Kinder nach Deutschland zu verfrachten. [...]

           

          Die Moderation: Ihr Kommentar wurde bearbeitet. Bitte bleiben Sie sachlich.

          • @36119 (Profil gelöscht):

            ach was fuer ein quatsch. Wer verlaesst freiwillig seine Heimat, um irgendwo eine "Haengematte" nutzen zu koennen? Es gibt immer Gruende, warum man ALLES, sein komplettes Leben, aufgeben will/muss, um irgendwo anders neu anzufangen. und bestimmt kaum, weil man sich irgendwo anders dann einfach ausruhen und faulenzen kann.

          • @36119 (Profil gelöscht):

            Doch implizit schon. Du sagtest, Deutschland sei "nicht zuständig". Wer mitverantwortlich ist, ist dann halt auch konkret zuständig.

            • @Festlandfrosch:

              Ich habe Zweifel, ob diese Position demokratisch mehrheitsfähig ist, zumal viele abstimmende Leute nicht einsehen werden, dass sie mitverantwortlich sein sollen.

  • Selbstverletzung ist auch unter deutschen Jugendlichen ein Problem. Manche ritzen sich, andere trinken exzessiv Alkohol, werden bulimisch oder fettsüchtig.