Milizen in der libyschen Sahara: In der Wüste lauern Krokodile
Tief im libyschen Süden organisieren Milizen des Toubou-Volkes das Leben in Abgrenzung zum Staat. Sie setzen afrikanische Migranten fest.
SEBHA taz | Schon am Stadtrand spürt man, wie sehr sich der libysche Staat aus der Sahara zurückgezogen hat. Alle paar Kilometer markieren provisorische Kontrollstellen die Grenzen neuer Machtgebiete. Zerschossene Autowracks in den Sanddünen am Straßenrand erinnern immer noch an die Kämpfe im Zuge des Sturzes von Gaddafi 2011.
„Mischt euch nicht ein“, warnt ein Graffito in der Innenstadt von Sebha mit ihren 200.000 Einwohnern. Gemeint sind die Handelsrouten zur 2.000 Kilometer langen Südgrenze Libyens. Während sich die Regierung in Tripolis vom Ölexport finanziert, verdienen am Warenverkehr in der südlibyschen Region Fezzan Milizen. Auf Pick-ups transportieren sie Waffen nach Mali, Drogen nach Tripolis und afrikanische Flüchtlinge in Richtung Europa.
Der Gegensatz zwischen Staat und lokalen Milizen ist auch ein ethnischer. 170 Kilometer weiter, kurz vor Murzuk, wird die Hautfarbe der jungen Männer in Armeeuniform dunkler. Es sind Toubou, die Ureinwohner des Fezzan. „Wir Toubou kämpften als Einzige im Südlibyen auf der Seite der Revolution“, erklärt Journalist Mohamed Lino.
Die Mehrheit der arabischen Stämme Sebhas hingegen kämpfte zusammen mit den Tuareg bis zum bitteren Ende an der Seite Gaddafis. Im zwangsarabisierten Libyen bleiben die Widerstände gegen die nichtarabischen Minderheiten groß.
„Ein modernes Festival“
Mit ihrem ersten Kulturfest in der Oase Murzuk präsentieren sich jetzt die in Tschad, Niger und Libyen lebenden Toubou. „An der Küste glauben viele, wir seien noch ein Nomadenvolk, aber die libyschen Toubou sind Libyer wie alle anderen auch“, sagt Menschenrechtsaktivist Mohamed Senussi und verdreht bei den Vorführungen der Kamelreiter die Augen. „Ich möchte ein modernes Festival.“
Ans Rednerpult tritt der Kommandeur der Fezzan-Brigade der libyschen Armee, Ramadan Barasi. „Ohne Toubou, die Söhne der Wüste, wird es in Libyen keine Sicherheit geben“, betont er. Die mehr als tausend Besucher des Festivals sind zufrieden. „Doch leider hat die Armee hier kaum etwas zu sagen“, zischt Touboukämpfer Galma nüchtern.
Ende vergangenen Jahres starben 180 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Toubou und dem Stamm der Abu Seif in Sebha. „Die Mehrheit der Libyer glaubt, die Toubou kämen aus dem Tschad, und die Tuareg würden immer noch von der Gaddafi-Familie bezahlt“, sagt Senussi.
An staubigen Straßenkreuzungen hocken mehrere Dutzend Somalier, Sudanesen und Nigerianer in zerlumpter Kleidung. Sie suchen Arbeit, und ihre Schaufeln, Besen und Farbrollen zeigen, für welche Tätigkeit man die Tagelöhner mieten kann für umgerechnet 5 Euro am Tag. Die Zahl der Migranten nimmt täglich zu. Wer kann, schlägt sich bis Tripolis durch und hofft auf ein Boot zur italienischen Insel Lampedusa. „Nach Schengen“, wie sie sagen.
Einheit Derra Sahara
Weiter südlich in al-Qatrun zeichnet ein ehemaliger Polizeibeamter auf der Karte die Routen der Schmuggler nach. „Über Tschad und Niger kommen Migranten und Drogen. Die Waffen werden im Länderdreieck mit Algerien und Niger übergeben.“
Der letzte große Checkpoint liegt 100 Kilometer vor der Grenze. Hier liegt das ehemalige Militärcamp Luer, das jetzt die Toubou der Einheit Derra Sahara, (Schutzschild der Wüste) nutzen. Der libysche Staat ist hier nicht mehr präsent. „Seit dem Ende der Revolution war noch niemand von der Regierung hier“, sagt der junge Kommandant Sahafedin Barka. „Wir bekommen kein Geld von der Regierung und müssen uns selbst finanzieren.“
Überladene Lastwagen aus dem Tschad mit Wanderarbeitern und Waren werden von den Toubou-Milizionären kontrolliert. „Wer keine Papiere hat, wird zurückgeschickt“, behauptet der Kommandant. 150 Migranten haben die Mitglieder der Derra Sahara eingesperrt. „Das Essen zahlt die Gemeinde in al-Qatrun“, sagt Kommandant Barka. In der Waffenkammer stapeln sich Kartons mit konfiszierten Drogen und Alkohol.
Barka ist Realist. „Gegen die Menschenschmuggler haben wir keine Chance, es sind zu viele. Die religiösen Extremisten aus Ostlibyen haben wir aber aus unserem Gebiet vertrieben. Sie leben von Waffen- und Drogenverkauf. Wir nennen sie Krokodile. Denn nachdem sie verschwunden sind, weiß man nie, wo sie wiederauftauchen.“
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