Militanz in Hamburgs Reichenviertel: Geländegängig gegen Flüchtlinge
Anwohner blockieren mit ihren Autos Baumfällungen für den Bau eines Flüchtlingsheims. Sie erwirken gerichtlich einen kurzfristigen Baustopp.
Tags zuvor war die künftige Baustelle bereits von mehreren Autos blockiert worden, um Baumfällungen zu verhindern. Die sogenannte Folgeunterbringung liegt mit 192 Plätzen deutlich unter der Referenzzahl der Volksinitiative „für erfolgreiche Integration“, die die Zahl der Flüchtlinge auf 300 pro Quadratkilometer begrenzen möchte.
Mit seiner „Zwischenverfügung“ möchte das Gericht verhindern, dass während des laufenden Eilverfahrens unumkehrbare Tatsachen geschaffen werden – etwa indem Bäume gefällt werden. Dafür genüge es, dass der Eilantrag des Anwohners „nicht offensichtlich aussichtslos“ sei.
Der Anwohner hatte den Umweltrechtler Rüdiger Nebelsieck mit einem Mandat beauftragt, der Bewohner der Elbvororte schon bei der Airbus-Erweiterung vertrat. Nebelsieck hatte argumentiert, dass sein Mandant keinen ausreichenden Zugang zu den Unterlagen der Umweltverträglichkeitsprüfung gehabt habe und nicht genug Rücksicht auf dessen Rechte als Nachbar genommen worden sei.
Das fragliche Baugrundstück liegt am Ende eines idyllischen Weges im Wald. In der Umgebung stehen Einzel- sowie einige Reihenhäuser. Erst kürzlich wurde in der Nähe ein Grundstück verdichtet bebaut.
Dass die neue Unterkunft aus neun Pavillons in Holzständerbauweise mit Spielplatz und Wendehammer auf so viel Widerstand stößt, wundert Susanne Schwendtke vom städtischen Träger Fördern und Wohnen, der die Unterkunft errichten möchte. Bis 2008 habe es hier eine gut funktionierende Flüchtlingsunterkunft gegeben, in der zuletzt auch Wohnungslose untergebracht waren. Zuvor hatte dort ein Studentenwohnheim gestanden.
Die alte Unterkunft habe keine Probleme bereitet, sagt Schwendtke, im Gegenteil: „Die Leute haben uns übel genommen, als wir weggingen.“ Da die geplante Unterkunft zudem vergleichsweise klein und ansehnlich sei, habe der Widerstand überrascht.
Mehrere Flüchtlingsinitiativen und -aktivisten wollen ein Gegengewicht zu der „Initiative für Integration Hamburg“ (Ifi) bilden. Sie wollen den Verein „Hamburg integriert“ zu gründen.
Der Verein soll die Aufgaben und Forderungen der einzelnen Flüchtlingsinitiativen sammeln.
Das Bündnis lehnt die von Ifi in Gang gesetzte Volksinitiative zur Verteilung der Flüchtlinge ab.
Biologin behindert
Helga Rodenbeck, Gründerin der Flüchtlingshilfe-Initiative „Runder Tisch Blankenese“, die auch die frühere Unterkunft betreute, ist nicht überrascht – aber traurig. Es habe schon seit geraumer Zeit in Bürgerversammlungen lautstarke Proteste gegeben, sagt sie. Auf Seiten des Runden Tisches stoße der Widerstand auf Unverständnis. „Uns allen geht es unheimlich gut“, sagt Rodenbeck. Angesichts dessen sei es unglaublich, dass sich Anwohner dagegen sperrten, Menschen in Not zu helfen.
Der Bezirksabgeordnete Robert Jarowoy (Die Linke) ärgert sich über die Art, wie die Rodung verhindert wurde. „Das ist à la Pegida, was da an Widerstand läuft“, findet er. Sein Kollege Uwe Szczesny (CDU) sagt: „Das, was da passiert ist, schwierig hinzunehmen.“
Berichten zufolge blockierten Protestierende nicht nur die Zufahrt, sondern hinderten auch eine Biologin daran, die 42 zu fällenden Bäume zu markieren. Stattdessen markierten sie selbst 200 Bäume. Die Interventionistische Linke konterte auf Youtube mit der Ankündigung eines „Blankenese Chainsaw Massacres“.
Ob der Bezirk Beschwerde gegen den Zwischenbescheid des Verwaltungsgerichts einlegen wird, entscheidet sich frühestens am Donnerstagabend. Weil die Sondererlaubnis für das Fällen der Bäume am Freitag ausläuft, dürfte sich der Baubeginn um mindestens ein Vierteljahr verzögern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist